Spanien : Deutschland 1 : 0
Gesetzt dem Falle, die Spanier wären nur halb so effektiv wie die Deutschen in ihren letzten beiden Spielen, dann hätte es wohl für diese eine schmerzlichere Niederlage gegeben. So blieb es bei diesem einen Kopftor von Puyol. Ausgeschieden sind sie trotzdem (besser: sie haben das große Finale verpasst und spielen noch um Platz 3). Aber seltsam, all diese Tugenden, die eine germanische Mannschaft so auszeichnet, waren fast 80 Minuten lang in der Kabine, nicht am Feld. Was ging da bloß in den Köpfen der Spieler vor?
Spanien war den Deutschen in allen Belangen überlegen. Das konnte man mit freiem Auge sehen, dazu brauchte es keine Statistik. In der zweiten Halbzeit gab es überhaupt eine spanische Powerplay-Phase, in der die deutsche Hintermannschaft alle Füße und Köpfe zu tun hatte, um die Angriffe abzuwehren. Wenn man sich ein Bild der beiden Mannschaften vor Augen führen möchte, wie sie agierten, dann ist der jeweilige Anstoß. Die Deutschen machen den Ankick zur 1. Halbzeit und spielen den Ball zurück, lassen ihn dort in den hinteren Reihen zirkulieren. Man merkt, hier herrscht Vorsicht. Die Spanier hingegen, sie spielen den Ball nach dem Ankick zur 2. Halbzeit sofort in die Spitze, das Mittelfeld rückt nach und auf.
Herr Löw hat sicherlich lange über die Strategie gegen die Spanier nachgedacht. Er kam vermutlich zum Schluss, dass es nur einen Weg gab, die Iberer zu schlagen: die Schweizer Lösung musste her. Hitzfeld, der Trainer der Eidgenossen, hat es der Welt gezeigt (es war die 2. Niederlage der Spanier nach über 50 Spielen), dass man mit der richtigen Beton-Abwehr und der nötigen Effizienz im Toreschießen (die ist ihnen gegen Honduras ziemlich abhanden gekommen) auch dem Europameister eine Niederlage zufügen kann. Hitzfeld wiederum hat sich die Taktik von Rehagel und seinen Griechen abgeschaut (EM 2004). Wer das Spiel der Spanier gegen die Eidgenossen gesehen hat, hätte am liebsten die Schweizer sofort von der WM ausgeschlossen. Weil sie nicht spielten, sondern mauerten und jegliches Kurzpass-Spiel der Spanier zerstören wollten – was ihnen auch gelungen ist. Für den Offensiv-Fußball eine herbe Schlappe.
Nun könnte man natürlich argumentieren, es gäbe gegen die spielstarken Spanier kein anderes Rezept, als Beton anrühren und hoffen, dass der Ball irgendwann irgendwie in deren Tor kullert. Vielleicht ist das richtig. Vielleicht aber auch nicht. Herr Löw hätte sich nur das Spiel der Spanier gegen die Chilenen ansehen müssen. Da machten die Südamerikaner die Räume der Spanier eng, attackierten diese schon in ihrer eigenen Hälfte und brachten diese in Bedrängnis. Keine Spur mehr von ihrem sonst so sicheren Pass-Spiel. Hätte der chilenische Torhüter nicht gerade seinen entbehrlichen Ausflug gemacht, der zum Führungstreffer führte und hätte der Schiedsrichter nicht einen Chilenen vom Platz gestellt, die Spanier wären vielleicht sogar schon in der Gruppenphase nach Hause gefahren. Und gegen Paraguay sah es auch nicht rosig für sie aus. Auch da hielten die Südamerikaner dagegen, spielten mit und drängten genauso aufs Tor wie die Spanier. Hätte Cardozo nicht den Elfmeter vergeben, wer weiß, wie das Spiel geendet hätte. Wir sehen: es bedarf nicht immer nur Beton.
Ich bin auch der Meinung, dass die Spanier alles andere als sicher und selbstbewusst waren (nach dem Sieg gegen Deutschland sieht es natürlich anders aus). Diese knappen und nervenzerfetzenden Siege waren in den Köpfen der Spieler. Vielleicht spekulierte Herr Löw wieder mit einer glücklichen Fügung, die zu einem Tor für die deutsche Mannschaft führt. Denn dann hätten die Spieler das machen können, was sie am liebsten machen: den Gegner eiskalt auskontern und mit Schimpf und Schande aus dem Stadion schießen. Ein klein wenig hätte ich es ihnen auch vergönnt, so gedemütigt zu werden, wie sie es mit den Engländern und Argentiniern gemacht haben. Weil sie der Welt glauben machen wollten, sie wären so stark und um so viele Tore besser, wie sie eben dem Gegner geschossen haben. Aber diese Rechnung stimmt nur bedingt. Weil eine Mannschaft, die in der Offensive ihr Heil sucht, um die drohende Niederlage abzuwehren, wird durch einen weiteren Gegentreffer völlig aus der Bahn geworfen. Diese mentale Schlappe führt zu Auflösungserscheinungen („Wozu sollen wir noch spielen, es ist vorbei?“), die der Gegner weiter kaltblütig ausnutzen kann. Das ist nicht sehr nett, aber eben Fußball. Gut gesehen bei den Portugiesen, die eine auflösende Nordkoreanische Mannschaft mit 7 oder 8 Toren in ein Debakel laufen lassen. Später, im Achtelfinale, sind sie nicht in der Lage, auch nur eine nennenswerte Offensiv-Aktion gegen die Spanier zu machen. Schon gar nicht, als diese den Führungstreffer geschossen haben.
Zurück zum Deutschland-Spiel. Hätte Pedro entweder den Killerinstinkt eines Müllers oder das Auge für seinen Mitspieler (wie ein Müller), er hätte alles klar machen können. Aber statt Torres zu bedienen, wollte er sich „unsterblich“ machen. Tatsächlich machte er sich nur lächerlich. Weil er einerseits nicht imstand war, einen der deutschen Verteidiger auszutanzen, andererseits, weil er nicht in der Lage war, den Querpass auf Torres zu spielen. Man stelle sich vor, den Deutschen wäre dann doch noch der Lucky Punch geglückt? Pedro hätte besser Asyl in Südafrika angesucht, aber nach Spanien hätte er nicht mehr zurück dürfen.
Jetzt spielen die Löw-Mannen am Samstag um Platz 3 gegen Uruguay. Ich könnte mir vorstellen, dass es ein recht flottes Spiel sein wird. Zwar wird man beiden Mannschaften ihre Enttäuschung ansehen, aber die Südamerikaner haben die bessere Motivation auf ihrer Seite: es geht gegen DAS Deutschland und sie haben die Möglichkeit, als krasser Außenseiter mit einem Achtungserfolg das Turnier zu beenden. Die Deutschen hingegen, sie sind nun Opfer ihrer großspurigen WM-Träume. Gerade nach ihrem Kantersieg gegen Argentinien gab es für die Fans und (vor allem) den Medien kein Halten. Vielleicht sind sie auch an dieser Bürde zerbrochen. Das kleine Finale gegen einen undankbaren Gegner (weil kein Schwergewicht) kann nur noch Pflichtaufgabe sein. Ja, Motivation sieht anders aus.
Das große FINALE lautet demnach Spanien gegen Holland. Damit könnte Spanien nach dem Europameister-Titel auch den Weltmeister-Titel mit nach Hause nehmen. Spielerisch haben die Oranjes natürlich keine Chance, mit den iberischen Ballartisten mitzuhalten. Aber dass die spanische Verteidigung schwächelt und schwankt, wenn man sie unter Druck setzt, hat das Turnier gezeigt. Die Deutschen haben verabsäumt, von Beginn an, dagegen zu halten. Jetzt wird man sehen, ob die Oranjes aus diesem Fehler lernen werden.