Bestseller 2.0 mit neobooks, epidu, euryclia

Metal moveable type
Metal moveable type von Willi Heidelbach (Wiki)

Bevor ich mich nächste Woche in Frankfurt, auf der Messe, herumtreibe und Ausschau nach der Zukunft des Buchmarktes halte, noch schnell ein paar Zeilen über neue Formen, einen Bestseller zu finden.

Alles beginnt damit, dass sich Marion Schwehr für Madeleine und meinen Club der 99 interessierte und sich als Förderin einstellte. Im Zuge unseres Gesprächs erzählte sie mir, dass sie an einer Plattform namens euryclia arbeite, die es möglich machen sollte, das althergebrachte Subskritptions-Modell in der Buchbranche wieder salonfähig zu machen (Tagline: „Mach’s zum Buch“). Kurz die angedachte Idee: wenn sich rund 1000 Subskriptienten, also Vorbesteller, für einen Text finden, wird dieser verlegt. Somit sollte es möglich sein, Texte zu publizieren, die nichts mit dem gewöhnlichen Einheitsbrei der großen Publikumsverlage zu tun haben. Das verlegerische (finanzielle) Risiko wird minimiert, vielleicht sogar gänzlich ausgeschaltet. Mündige Leser (die soll es ja bekanntlich geben), die sich nicht durch Werbekampagnen und gehypte Medienstars ablenken lassen, haben nun die Möglichkeit, endlich wieder anspruchsvolle Literatur aus dem Heuhaufen der Massenpublikationen herauszulösen. All das mit der Hilfe des Webs und der Macht des Social Media Apparatus. So jedenfalls mal die Theorie. Noch ist euryclia nicht an den Start gegangen. Ich jedenfalls bin sehr angetan von der Idee, weshalb ich mich entschlossen habe, zu sehen, wie es dort einen Text von mir ergeht. Das Design ist schlicht und für die junge Web2.0-„klickklickklick“-Generation vermutlich ein Abturner. Hat natürlich auch seine guten Seiten, weil Marion Schwehr qualitativ hochwertige Texte anbieten möchte (eventuell mit einer vorgeschalteten Filterung).

Wenig später erreichte mich die Einladung des Droemer Knaur Verlags, der mit seinem Imprint-Verlag neobooks in eine ähnliche (aber nicht die gleiche/selbe) Kerbe schlägt (Tagline: „Wir entdecken die Bestseller von morgen“). Auch dort soll es möglich sein, dass Autoren ihre Texte einstellen und die Community (Leserschaft) Empfehlungen abgibt, die dazu führen, dass sich das Verlagslektorat jene Texte herauspickt, die die meisten Empfehlungen erhalten haben. Nach eingehender Prüfung entscheidet der Verlag, ob sie den Text als ebook oder printbook ins Verlagsprogramm aufnehmen und der Autor zu einem Verlagsautor wird. Ich habe mich gestern umgesehen auf der Seite. Sie ist noch in der BETA-Phase, weshalb man davon ausgehen kann, dass das eine oder andere noch geändert wird. Ich habe mal eine Leseprobe von Tiret hochgeladen. Das geht prinzipiell einfach, mühsamer ist da natürlich all die Infos einzutragen. Aber einen Pluspunkt bekommen die Leutchen von neobooks für  das hübsche zeitgemäße Design. Hut ab.

Im Großen und Ganzen könnte man neobooks als eine weitere hübsch gemachte Literatur-Community (siehe lovelybooks oder buechereulen) ansehen, mit dem Unterschied, dass jeder (ja, wirklich jeder) seinen Text  nicht nur hochladen und zur allgemeinen Prüfung (oder Gaudium) vorlegen, sondern in späterer Folge auch als ebook verkaufen kann. Wenn die neobooks-Macher diesen ebook-shop einigermaßen benutzerfreundlich hinbekommen und Kooperationen mit Distributoren eingehen, dann könnte es ein großer Wurf werden. Noch ist nämlich amazon nicht am deutschsprachigen Markt angekommen. In den USA kann jeder seinen Text zu einem ebook formatieren und über amazon.us verkaufen lassen. Das geht so einfach, man möchte es nicht glauben. Kein Wunder also, dass amazon in den USA mehr ebooks verkauft als printbooks. Jeder, der ein ebook zum Verkauf einstellt, übt Druck auf seinen Bekanntenkreis aus („guckt doch mal“) und zieht so potenzielle Käufer an. Ich schätze, in kurzer Zeit wird dieses „mach-bei-uns-ein-ebook-kauf-bei-uns-ein-ebook“ zu einem Selbstläufer. Kein Wunder also, dass deutsche Verlage hellhörig werden (und eine Möglichkeit sehen, am Buchmarkt der Zukunft zu profitieren). Gewiss, so einfach ist es natürlich nicht, aber über die Fallstricke später mehr.

Leander Wattig („Ich mach was mit Büchern“) hat mich später auf EPIDU aufmerksam gemacht (Tagline: „Mehr als nur ein Verlag. Lies heute die Bücher von morgen und bestimme, welches Buch wir verlegen!“). Auch hier ist es eine Community, die abstimmen kann, welche Bücher verlegt werden sollen. Aus den fünf besten Texten wählt das Lektorat jenen aus, der schlussendlich professionell verlegt wird und der bescheidene Hobby-Autor entpuppt sich als Verlagsautor. So einfach kann es gehen. Freilich, neben einen guten Text wird auch der Autor Überzeugungsarbeit leisten müssen (was EPIDU unumwunden in der Vorstellungs-Promotion sagt). Das Design der Plattform ist okay, aber nicht so spritzig und coolio wie neobooks. Von einem angeschlossenen ebook-shop habe ich bis jetzt nichts gelesen.

Natürlich gibt es noch eine Reihe anderer Plattformen, die Texte in elektronischer Form veröffentlichen und verkaufen. Mit einem Verlag bzw. dem professionellen Verlegen haben diese aber (im Moment) nichts am Hut. Für Hinweise in diese Richtung bin ich jedenfalls dankbar.

Conclusio?

Generell finde ich die Idee hervorragend, Texte abseits der gegenwärtigen Verlagsfilterung zu präsentieren. Dadurch wäre es (theoretisch) möglich, Bücher zu publizieren, die in der heutigen kommerziellen Bücherwelt keine Chance hätten, sei es, weil sie zu abgehoben, zu weltfremd, zu unangenehm, zu schwer usw. sind. Also alles Eitel Wonne? Mitnichten. Die große Problematik hat der gute Balzac auf den Punkt gebracht (vor rund 150 Jahren), als er bereits damals meinte, dass die Masse das Genie verdeckt. Und ist die Community-Masse überhaupt repräsentativ für die Leserschaft da draußen? In jeder Community entwickelt sich eine soziale Hackordnung, mit guten wie mit schlechten Seiten. Man sehe sich nur an, wie Newbies zumeist von Alteingesessenen behandelt werden, wenn sie einen falschen Ton treffen. Die Aufgabe dieser Plattformen wird wohl sein, ein angenehmes Klima zu schaffen, wo sich jeder zu Hause fühlt. Leider wird das so gut wie unmöglich sein. Warum? Weil die Autoren auch abstimmen. Und wie schwer es einen trifft, wenn ein anderer das eigene Werk in der Luft zerreißt (es reicht ja schon, keine Empfehlung zu bekommen), muss ich nicht weiter ausführen. Ich fürchte, wir leben bald in einer Welt von Frustrierten. Weil es sich so einfach gestaltet, Texte (Musik, Bilder, …) hochzuladen, glaubt jeder an seinen Bestseller. Ich vergleiche es gerne mit dem Ausfüllen und Abgeben eines Lottoscheines. Freilich, der Lottogewinn ist möglich, aber die Wahrscheinlichkeit so gering, dass man erst gar nicht davon ausgehen sollte. Dumm, wenn viele im Lottogewinn ihre einzige Daseinsberichtigung sehen.

Eine gute Lösung ist noch immer die Kaufkraft. Wer ein paar Münzen für einen Text bezahlt, bzw., wer  verbindlich ein Buch vorbestellt, der zeigt damit klar und deutlich an, dass er dem Text eine Empfehlung ausspricht. Alles andere ist eine kindliche Spielerei. Leider. Ich weiß, wovon ich spreche. Nach einer Buchpräsentation beklatscht und schultergeklopft zu werden, ist die eine Sache, die Verkaufszahlen eine andere. Deshalb würde ich all diesen Plattformen raten, in ein Bezahlmodell zu wechseln (hierzu könnte man ja ein Credit-System entwickeln/verwenden oder mit Bezahl-Diensten kooperieren), um die Spreu vom Weizen zu trennen.

neobooks macht es dahingehend richtig, dass sie nicht versprechen, die von der Community empfohlenen Texte zu publizieren. Und wenn sie es tun, in welcher Form. Ein ebook zu machen, ist kein großes Ding, freilich, der Text muss natürlich trotzdem lektoriert und korrigiert werden. Das ist heutzutage auch nicht gerade günstig, aber immer noch billiger, als danach auf einer Auflage an Büchern sitzen zu bleiben. Unangenehm wird es, wenn die Community ihren Unmut Ausdruck verleiht, wenn eines der empfohlenen Büchern nicht veröffentlicht wird. Verletzter Stolz – für den Autor genauso, wie für all jene, die für diesen Text abgestimmt haben – treibt hässliche Blüten im Web2.0 – das sei den Plattform-Betreibern mal gesagt. Wer hier nicht gegensteuern kann, wird sich wundern, wie schnell negative Publicity zu einem Verlags-Bashing wird. Gesehen habe ich das bei der amazon vs. MacMillan Konfrontation, wo im amazon-Forum die Wogen gegen MacMillan hochgingen. Wie viel Öl die amazon-Leute zusätzlich ins Feuer gegossen haben, kann ich nicht sagen, aber sie haben es sicherlich genossen, sich als Opfer zu präsentieren.

Die größte Chance sehe ich bei euryclia, wenn Marion Schwehr es schafft, eine funktionierende Filterung zu implementieren, ohne dabei wie ein herkömmlicher Verlag zu agieren. Das ist ja die Krux an der Sache. Vermutlich gibt es hunderte von guten literarischen Perlen da draußen, aber wie soll man die jemals finden? Für einen Verleger ist es ja nicht nur der Text, sondern auch der Autor, der eine Rolle spielt. Ist er zuverlässig? Ist er reif? Mental im Gleichgewicht? Oder fackelt er die Bude ab, wenn man den Titel seines Werkes ändern würde wollen? Vor hundert Jahren, da lernten sich die Verleger und die Autoren noch (gut) kennen. Ja, da prallten Welten aufeinander. Davon sind wir heutzutage sehr weit entfernt.

Was ich mir so dabei denke!

Man muss wohl unterscheiden, zwischen einer hippen Book-Community und einer ernsthaften Literatur-Plattform. Beide haben unterschiedliche Ausrichtungen und man sollte nicht versuchen, beide unter einen Hut bringen zu wollen. Das kann nur schief gehen (weder Fisch noch Fleisch). Wer sich mit ernsthafter Literatur beschäftigen möchte, muss sich aus dem Web2.0 lösen und viele offline-Beziehungen knüpfen (die wiederum in späterer Folge ins Web einfließen), um einen gewissen Qualitätsanspruch zu erreichen. Es gibt genügend Autoren, die mit dem Web nicht viel anfangen können, aber trotzdem gute Bücher schreiben oder geschrieben haben. Genauso gibt es auch Multiplikatoren, die nicht im Web sind (Lesezirkeln, Buchhandlungen, Journalisten …) und trotzdem großen Impact auf Verkaufszahlen haben. Wenn man sich viel im Web aufhält, vermeint man, die Welt vor sich zu haben. Derweil ist es doch nur ein kleiner Teil.

Die größte Gefahr von Communitys und Plattformen ist, dass es derer zu viele gibt. Der gewöhnliche User will  sich nicht mit Dutzenden von Plattformen und Communitys herumschlagen. Deshalb ist ja google und iTunes und amazon und facebook so eine Macht. Weil es keine (guten) Gründe gibt, zur Konkurrenz zu gehen (so lange, bis es dann doch gute Gründe gibt – siehe myspace, die mitansehen mussten, wie facebook ihnen die Show stahl). Jede neue Plattform muss sich gegen diese wenigen, aber mächtigen Players durchsetzen und das bedeutet viel, sehr viel Geld in die Hand nehmen zu müssen (okay, es gibt noch vereinzelt Selbstläufer im Web, aber das ist die Ausnahme, nicht die Regel – siehe Twitter). Deshalb hätte ich eigentlich angenommen, die großen Publikumsverlage würden sich zu einem Joint-Venture zusammenschließen und etwas Großes auf die Beine stellen. Denn eines ist klar: wenn einmal amazon und apple und google beginnen, das Feld zu beackern, dann gehen die Lichter für die anderen alsbald aus.

Und was ist mit den Autoren? Um die geht es ja (angeblich)? Ach, das ist eine traurige Geschichte. Als ich vor wenigen Tagen in einer trauten Runde mit eingesessenen Verlagsautoren zusammengekommen bin – weit nach Mitternacht und nach einer Menge Alkohol – kippte die Stimmung. Weil X., sehr betrunken, mir als Eigenverleger Vorhaltungen machte („Was du machst, ist Scheiße!“). Ich war für X. ein rotes Tuch. Weil X. meinte, ich würde mich so billig verkaufen, dass die Event-Organisatoren die Honorare für Lesungen weiter drücken konnten („Du kannst das System nicht ändern!“). Zugegeben, ich akzeptiere ein geringes Honorar, wenn man mir die Möglichkeit einräumt, meine Bücher selber zu verkaufen. Das ist kaufmännisch natürlich eine wunderbare Lösung für alle Beteiligten. Zugegeben, die Verlagsautoren bleiben da auf der Strecke, wenn jemand nur das kaufmännische Kalkül in Rechnung stellt. Aber das sollte es ja nicht sein, oder? Wenn du morgen eine Lesung organisierst, dann willst nicht den billigsten, sondern den besten Autor, den du für dein Budget bekommen kannst. Aber diese hitzige, nahe an der Eskalation vorbeigeschrammte Auseinandersetzung (Kellner: „Ich möchte, dass ihr jetzt geht!“), zeigt, in welcher  schlimmen Verfassung die Autorenschaft heutzutage ist. Weil es immer mehr gibt, die von sich behaupten: „Hey, ich bin auch Autor!“ – und mit diesen Plattformen, mit den ebooks, werden es immer mehr. Kaum jemand hat noch einen gesunden Durchblick, welcher Text, welches Buch qualitativ überzeugen kann. Die Zeit, in alle hineinzublättern, hineinzulesen hat man nicht mehr. Es müssen Kriterien herangezogen werden. So gilt: nur wer in einem Publikumsverlag verlegt wird, kann mit Fug und Recht behaupten, dass er Autor sei. Aber wie viele Publikumsverlage gibt es? Unzählige! Und dann gibt es da noch diese hässlichen Zuschussverlage (die größten kennt man, aber die kleinen?), die Print-on-Demand-Verlage und die ebook-Verlage. Mit jedem Tag entsteht ein Multimedia-Verlag mehr. Warum? Weil es so einfach ist, weil es de facto nichts kostet. Und je mehr Verlage es gibt, umso mehr Texte, umso mehr Autoren, die verlegt werden und sich abgrenzen müssen, gegenüber den „Hobby-Autoren“. Ich befürchte, die Auseinandersetzung zum Thema „Wer ist ein Autor? Was ist ein ordentlicher Publikumsverlag?“ werden in Zukunft noch hitziger geführt. Vermutlich auch auf all jenen Plattformen, die angetreten sind, den nächsten Bestseller zu finden.