Die Komplexität, die uns auf den Kopf fällt

 

13.10.2007

Also gut. Wo fange ich da jetzt an. Erste Anekdote. Am Wochenende bei A. Es stand das obligate virtuelle Fußballgekicke auf dem Programm. Mit der modernen Videospielkonsole, nennen wir sie PS3 (für Nostalgiker: ich bin mit dem ATARI VCS 2600 groß geworden), geht das ja recht problemlos von der Hand. Doch weil der TV-Schirm belegt war (echtes Fußballgekicke aus Deutschland), mussten wir auf den Monitor ausweichen (wobei dieser schon eine beachtliche Größe aufweist). Also steckt man HDMI hier und HDMI dort ein. Voilà. Schon hat man ein Bild. Und der Ton? Ach ja. Der Monitor hat natürlich keine Lautsprecher. Hm. Aber A. hat einen Top-Surround-Receiver mit etwa 10 Trillionen Anschlüsse auf der Rückseite. Und die PS3 hat einen optischen Audio-Ausgang (Licht, you know!). Also optisches Kabel hier anstecken und dort anstecken. Voilà. Kein Ton. Hm. Wir beginnen im Menü der PS3 Einstellungen vorzunehmen. Kein Ton. Wir beginnen am Surround-Receiver Einstellungen vorzunehmen. Dann im Menü, das am TV-Schirm angezeigt wird! Wir lesen die Anleitung. Werden auch nicht schlauer. Kein Ton. Hm. Schließlich geben wir die Sache auf. Wir nehmen die PC-Surround-Anlage und stöpseln die Kabeln in den Monitor. Denn dieser nimmt das Audiosignal aus dem HDMI-Signal und leitet es freundlicherweise nach außen, über mehrere Anschlüsse. Voilà. Wir haben einen Ton. Diese Aktion dauerte über eine Stunde. Ja, ja.

Zweite Anekdote. Gestern wurde ich dem altersschwachen familiären PC vorgeführt. Das Betriebssystem Windows XP ließ sich nicht mehr hochfahren. Blauer Schirm. Der Versuch, ältere Startpunkte zum Laufen zu bringen, schlug fehl. Genauso wie die „hauseigene Reparatur“, die sich auf der CD befindet. Hm. Der Alptraum eines jeden Users. Vor einem nicht funktionstüchtigen Schrotthaufen zu sitzen. Also dachte ich laut nach. Entschied mich, das System neu aufzusetzen. Ja, das klingt lapidar. Ist es aber nicht. Jeder, der das schon mal gemacht hat, weiß, was das bedeutet. Viel Zeit. Viel Mühe. Viel Schweiß.

Die Idee, es mit Linux und der Distribution Ubuntu (sehr stylisch!) zu probieren schlug auch Fehl. Hier hätte ich vielleicht schon hellhörig werden müssen. Wie dem auch sei. Ich formatierte die C-Partition und begann mit der Neuinstallation. Tja. Da erschien er wieder. Der blaue Schirm. Und damit schien klar, dass es sich wohl um einen Fehler im Hauptspeicher-Modul handelt. Vielleicht. Aber gehen wir davon einmal aus. Irgendwo ist eine Adresse im Speicher hinüber. Hie und da, wenn er angesprochen wird, kippt das System und meldet sich freundlicherweise ab („Probieren Sie Treiber zu deinstallieren …“). Wie gesagt, nur eine Vermutung. Hm. Und jetzt?

Man müsste beginnen, die Speicherbausteine auszutauschen. Wobei, es gilt die richtigen zu finden. Auch nicht gerade trivial, mit so einem alten Schrott-System. Und dann, dann heißt es, das System aufzusetzen und zu hoffen, dass es wirklich „nur“ an den Speicherbausteinen gelegen ist. Wie dem auch sei, ich fand eine alternative Lösung, die mit dem Thema nichts mehr zu tun hat. Immerhin.

Diese beiden Anekdoten sollen nur zeigen, in welche Misere wir uns hochgeschraubt haben. Wir haben es nur noch mit Black Boxes zu tun. Mit Kisten, die blinken und brummen und so lange unsere besten Freunde sind, so lange sie tun, was man von ihnen verlangt. Aber wehe, das System biegt falsch ab oder will nicht mehr. Dann stehen oder sitzen oder liegen wir und versuchen mit untauglichen Mitteln, das Problem zu lösen. Wenn wir denn das Problem wüssten – tatsächlich behandeln wir ja vorrangig nur Symptome (analog der westlichen Medizin).

Dieser Blog-Beitrag wird übrigens auf einem altersschwachen PC geschrieben, dem ich innig verbunden bin. Er ist aus den billigsten Komponenten zusammengesetzt, die ich vor vielen Jahren finden konnte – in der Meinung, ich würde mir sowieso in einem Jahr einen ordentlichen Computer mit viel Power und gehörigem Luxus kaufen. Aber es kam nie dazu. Weil es immer in den Fachmagazinen hieß, dass in einem halben Jahr die ultimative Lösung zu erwarten sei. Und so wartete ich. Hie und da gönnte ich ihm eine Erweiterung, eine Ergänzung. Der Kern ist dem Pensionsalter schon recht nahe, aber er schnurrt brav dahin. Sein Brummen, das mich tagtäglich umgibt, ist mir lieb geworden. Was, wenn es einmal durch ein helles, nervtötendes Sirren ersetzt werden würde. Oder gar ein lautloses Nichts? Da fällt mir gerade ein, dass ich mal die Grafik-Karte austauschen wollte. Aber die neue surrte und machte alles, nur kein ordentliches Bild. Tja. Also wieder zurück zum Anfang. Alte Grafik-Karte. Altes Glück.

Wir haben uns also mit elektronischen Geräten umgeben, die uns Vergnügen bereiten oder Entlastung bringen sollen. Aber mit jedem Tag, mit jeder Woche, mit jedem Monat steigt die Gefahr, dass diese Geräte nicht mehr wollen. Dann ist ein trauriger, tragischer Moment gekommen. Weil wir uns in eine Abhängigkeit begeben haben. Und jeder Verlust führt uns diese Abhängigkeit drastisch vor Augen.

Neben der Abhängigkeit ist es aber die Komplexität, die uns früher oder später auf den Kopf fallen wird. Die verkaufte und beworbene Technologie schert sich keinen Deut um die Benutzerfreundlichkeit oder Langlebiegkeit. Man setzt voraus, dass sich Menschen mit den verschiedensten Systemen beschäftigen. Als wäre es das Normalste in dieser Welt. Wir lernen von Kindesbeinen an, was es heißt, technische Probleme zu lösen („Keine Batterie!“ oder „Kein Strom!“) und forcieren den Wunsch, nach den neuesten Dingen.

Bevor dieser Beitrag ausufert, komme ich zum Schluss und zu der Frage, ob wir wirklich in den besten aller Welten leben. Wir leben in einer hochtechnisierten (westlichen) Welt, ja, in der es darum geht, die Konsumenten dazu zu bringen, sich für den neuesten Schnickschnack zu begeistern. Es geht schon längst nicht mehr um Qualität (vielleicht war das auch nie ein Thema), sondern um größtmögliche Produktionszahlen zu den geringsten Kosten. Durch die Konkurrenz spielt der Preis oder der technologische Vorsprung immer eine Rolle. Wen wundert es also, wenn manche Gadgets viel zu früh auf den Markt geworfen werden, nur um der Konkurrenz eine Nasenlänge voraus zu sein?

In den besten aller Welten würden wir (vermutlich) das Optimum an Langlebigkeit und Benutzerfreundlichkeit suchen. Natürlich klingt das äußerst schal und wenig spannend. Aber im Prinzip ähnelt es dem Softdrink-Paradox: damit die Leute das Gesöff kaufen, muss man Zucker zugeben. Durch den Zucker wird das Getränk wohlschmeckend. Durch den Zucker steigt das Risiko einer psychischen oder physischen Abhängigkeit (ein lukrativer Nebeneffekt für jedes Unternehmen). Aber je mehr Zucker die Leute zu sich nehmen, umso mehr Zucker muss den Getränken beigegeben werden, damit diese Abhängigkeit und der süße Geschmack noch erzielt werden können. Die Frage ist nun: Wie viel Zucker verträgt der Mensch, bevor er falsch abbiegt?

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4 Kommentare zu „Die Komplexität, die uns auf den Kopf fällt“

  1. Das letzte Gerät, das ich nach sehr, sehr langer Zeit nicht der Wegwerfkultur unterwerfe ist mein iPhone 3GS (!). Hochwertig gefertigt, teuer, hechelt nicht dem neuesten Technik-Schnick-Schnack hinterher. Hab Schalter und Akku tauschen lassen. In einer Werkstatt (sic!). Mit Lötkolben und allem drum und dran. Mit ein bisschen Liebe und Pflege sieht das Ding aus wie neu.
    Ich wollt es einfach gesagt haben, weil ich unausgereifte Produkte für ein riesen Ärgernis halte und das oben erwähnte eine lobenswerte Antithese darstellt.

    Im Übrigen ein sehr feiner, weil treffender Eintrag!

    1. Merci für den Kommentar, Gottfried. Yep. Wir werden ja überschüttet mit unausgereiften Produkten. Da fällt mir gerade „the story of stuff“ ein … werde ich gleich hier reinhängen. Tolles Video, das die Wegwerfgesellschaft treffend zeichnet.

      Ja, es gibt Geräte, die schnurren brav vor sich hin. Bis auch sie den Geist aufgeben und man sich wieder mit unausgereiften Dingen herumärgern muss. That’s the way …

  2. Ja, arg. So ist das oft. Darüber habe ich auch meine Gedanken gemacht, über die vielen Abhängigkeiten. Die erschrecken einen. Aber so ist es leider.
    Zucker tut meinen Magen gar nicht so gut, aber ich schaffe es nicht ohne. Genau so diese blöden Zigaretten. Wer hat sich in den Achtzigern gewagt irgendetwas negatives über Zigaretten zu sagen.
    Außer ein paar arge Lehrer.
    Bei mir war´ zumindest so. Jetzt lachen sie alle über mich: „Hahaha! host nix gwusst!! azö des jemand anderen aber.“
    Ali

    1. Aha. Ali braucht ne Zucker-Entwöhnungskur 😉 Also, ich bin mit gezuckertem Milchkaffee aufgewachsen, dazu meist ein Marmeladbrötchen. Würde ich das heute auf meinem Frühstückstisch sehen, würde ich mich übergeben. Brrr. Nur noch ungezuckerter schwarzer Kaffee, so, wie er sein soll. Ach ja, heiß muss er natürlich sein. Ja, ja.

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