ein empfehlenswerter Vortrag von Gunter Dueck
Durch das Social Web auf den Vortrag von Gunter Dueck aufmerksam geworden. Ich habe ihn mir angesehen und kann ihn empfehlen. Auf den ersten Blick scheint es, als würde Dueck seltsam verschroben sein. Auf den zweiten Blick bestätigt sich das. Aber im positiven Sinne. Er ist ein philosophischer Querdenker. Kein Wunder also, wenn er im Thinktank eines großen US-Computer-Konzerns (der mir nach der Ausbildung eine Job-Absage erteilte und ich deshalb in die Bankenwelt eintrat – davon später mehr) seinen Gedanken nachgehen kann. Diese Gedanken drehen sich vorrangig um eine weltweite virtuelle Vernetzung und welche Folgen das auf die Gesellschaft der Zukunft hat. Im obigen Vortrag übertreibt er, schießt über das Ziel immer wieder hinaus, um dem Publikum ein Gespür für die nahende Umwälzung zu geben, die dieses virtuelle Vernetzung mit sich bringen wird.
ist der Mensch unwillig oder engagiert?
Im Besonderen ist mir aber die Zitierung des MIT-Professors Douglas McGregor aus den frühen 1960ern im Gedächtnis haften geblieben. Weil sie in der Tat auf einfache Art und Weise ein Menschenbild erklärt, wofür mir sonst die Worte fehlten. Hier also in Kürze aus Wiki abgeschrieben:
Theorie X: Der Mensch ist unwillig. Der Mensch hat eine angeborene Abneigung gegen Arbeit.
Theorie Y: der Mensch ist engagiert. Für den Menschen hat Arbeit einen hohen Stellenwert und ist wichtige Quelle der Zufriedenheit, denn er ist von Natur aus leistungsbereit und von innen motiviert. Ich kann das für mich bestätigen – immerhin sitze ich um 8 Uhr Morgens vor dem Monitor und schreibe diesen Blog. Keiner zwingt mich dazu. Ich könnte auch länger schlafen oder am Computer spielen oder mir einen schönen Tag machen. Tue ich aber nicht. Weil es mir wichtig ist, meine Gedanken einerseits auszudrücken, andererseits auch andere davon in Kenntnis zu setzen. Gut, vielleicht ist das auch nur ein ego-zentriertes Fehlverhalten.
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zwei Unternehmen, zwei Welten: Bank vs. Software
Als ich vor vielen Jahren den Bankgeschäften den Rücken kehrte und zu einer größeren Softwarefirma wechselte, konnte ich die beiden Management-Prinzipien am eigenen Leib erfahren. In der Bankenwelt herrschte für das Fußvolk ein rigoroses, autoritäres Regime. Man hatte als Arbeitnehmer zu funktionieren und sich den Regeln zu unterwerfen. Punkt. Auf der anderen Seite der laissez-faire Stil der Softwarefirma, in der es keine (formellen) Hierarchien und kaum Regeln gab. Man notierte seine Arbeitszeit in einer Liste. Niemand kontrollierte, ob man die Stunden auch wirklich gemacht hatte. Oder ob man »produktiv« gewesen sei. Man konnte stundenlang mit Kollegen einen Kaffee trinken und über Gott und die Welt quatschen. Niemand störte sich daran. Nur ich hatte damit ein Problem. Indoktriniert, wie ich nun einmal war, blickte ich nach zehn Minuten über die Schulter und fragte mich, wann der Chef oder die Chefin käme, die mich aufforderte, endlich mal was zu arbeiten. Aber es gab keinen Chef, keine Chefin. Es kam niemand. Wirklich.
Ein paar Jahre konnte ich also diese Matrix-Organisation schätzen lernen. Ich erkannte, dass die klugen, die engagierten Leute aufblühten und viel Energie und Aufwand in das Produkt steckten. Man wollte tatsächlich etwas Gutes, Funktionierendes erschaffen. Aber es gab auch jene, die nicht mit den Engagierten Schritt halten konnten. Sie zogen sich zurück und taten so, als ob sie etwas tun würden. Vermutlich hätte man diese in den Arbeits-Prozess einbinden können, aber wir, die Engagierten, waren zu sehr damit beschäftigt, unseren Job gut zu machen. Auch waren wir nicht geschult darin, andere, weniger engagierte Menschen zu motivieren, auf sie einzugehen. Ich merkte, dass sie hie und da zur Last wurden – wenn man ihnen eine Aufgabe zuwies, die sie in keiner Weise zufriedenstellend lösten. Tja.
Die Zeit verging. Der Geschäftsführer, der ein Anhänger dieser Matrix-Organisation war, der davon ausging, das seine Angestellten allesamt freiwillig im Unternehmen wären und einen guten Job machen möchten. Er propagierte die Y-Theorie. Damals war das für mich ein kleines, nein, ein großes Wunder. Dass es in der Arbeitswelt solch eine Firma gab, die ihre Mitarbeiter nicht kontrollieren wollte. Noch zu seinen »Lebzeiten« musste er dem Eigentümer Tribut zollen und die informelle Hierarchie – es waren dies die erfahrensten Mitarbeiter – formell anerkennen. Die Funktion des Teamleiters war geboren. Dieser hatte nun auch die eine oder andere organisatorische Tätigkeit zu machen. Aber alles blieb im Rahmen. Und dann, dann wurde der Geschäftsführer vom Eigentümer (eine österreichische Großbank) ausgetauscht. Das hatte viele Gründe. Wie dem auch sei, ein neuer, teutonischer Softwaremensch wurde an die Spitze des Unternehmens gestellt. Ich dachte, er würde nun neue, frische Impulse mitbringen. Mitnichten.
vom laissez-faire Stil zum autoritären Pyramidenspiel
Es kam, wie es kommen musste. Ich ahnte es. Weil ich die Anzeichen gut kannte. Aus der autoritären Bankenwelt. Immer sind es die kleinen Schritte, die in Summe große Veränderungen herbeiführen. Der neue Geschäftsführer bekräftigte die Hierarchie der Teamleiter und erweiterte ihr organisatorisches Aufgabengebiet. Es gab nun offizielle Teamleiter-Meetings, wo hinter verschlossenen Türen Entscheidungen getroffen wurden. Schließlich wurde bekanntgegeben, dass es eine neue Hierarchiestufe gäbe: die Bereichsleiter, die unter sich Teamleiter hatten. Ihre Aufgabe war zu aller Anfang vorwiegend fachlicher Natur. Der neue Geschäftsführer wollte sich von den Bereichsleitern erklären lassen, wie es um den einen oder anderen Software-Baustein stand. Das leuchtete natürlich ein. Aber mit der Zeit wurden Regeln und Vorgaben aufgestellt. Für die Einhaltung der Regeln und Vorgaben waren die Bereichsleiter verantwortlich. Diese delegierten nach unten, zu den Teamleitern. Und ehe man noch wusste, wie einem geschieht, gab es Kontrollen und Meetings und willkürliche Deadlines für willkürliche Überprüfungen. Die Matrix-Organisation gab es nicht mehr. Nur wir Alpha-Leute, auf deren Schultern das Projekt gestemmt wurde, hatten eine gewisse Narrenfreiheit – so lange wir uns keine gröberen Schnitzer erlaubten.
Ich kann also mit Fug und Recht behaupten, die Transformation von der Y-Theorie zur X-Theorie mitgemacht zu haben. Das ging sehr einfach und kann ohne Probleme sogar von einem durchschnittlich intelligenten Menschen durchgeführt werden. Weil wiederum durchschnittlich intelligente, weniger engagierte Menschen erpicht sind, in der Hierarchie aufzusteigen. Die motivierten, fachlich versierten Alpha-Leute hatten nichts dagegen. Sie interessieren sich nicht für Organisatorisches, sie wollen am Produkt arbeiten. Und das ist die Crux. Die X-Leute kommen nun in Positionen, wo sie Einfluss nehmen können, auf die Unternehmensstruktur. Da sie selbst nicht gerne arbeiten, gehen sie davon aus, dass es die anderen auch nicht tun. Ihr Selbstbild steht stellvertretend für das Bild, das sie von den anderen haben. Weiters müssen sich die durchschnittlich intelligenten und weniger engagierten Menschen behaupten. Sie wissen um ihre fachliche Inkompetenz und müssen diese mit Regeln und Kontrollen kaschieren. Wir haben es nun mit einer Unternehmensstruktur zu tun, die hochgradig unproduktiv ist. Die X-Leute müllten ihre Untergebenen mit allerlei organisatorischem Unnützen zu. Schon alleine die Arbeitszeiterfassung, die später eingeführt wurde, war ein Job im Job. Den X-Leuten war es egal. Sie waren froh, nun ihre Arbeitszeit mit Organisatorischen ausfüllen zu können (da sie ja der Job nicht die Bohne interessierte), während die Y- oder Alpha-Leute, die das System am Laufen hielten, von ihrem Tun abgehalten und schließlich demotiviert wurden – was wiederum zur Folge hatte, dass gerade diese wichtigen Stützen des Unternehmens die ersten waren, die das Galeerenschiff verließen.
Und jetzt stelle man sich vor, man möchte eine hierarchische Unternehmensstruktur in eine Matrix-Organisation umformen. Es ist nahezu unmöglich. Weil sich die Vielzahl an X-Leute mit Händen und Füßen wehren. Sie haben am meisten zu verlieren. Gewiss, die Idee, dass aus X irgendwann Y-Leute werden, ja, die gibt es. Aber wie man demotivierte Leute wieder motivieren kann, weiß ich nicht. Vermutlich geht das. Irgendwie. Vielleicht, wenn der Job wieder interessant für sie wird.
ein schönes Plädoyer
Zu guter Letzt schließe ich das Kapitel mit dem Wunsch ab, dass unsere Gesellschaft alles daran setzt, die Y-Theorie zu forcieren und umzusetzen. Gunter Dueck plädiert dafür. Schön.
der hässliche Teil des Beitrags
Nun zum hässlichen Teil des Beitrags. Im Wiki-Eintrag steht klipp und klar, dass für Y-Leute die Arbeit einen hohen Stellenwert hat. Für sie ist der Job wichtige Quelle der Zufriedenheit. Klingt gut. Aber was geschieht, wenn man einem Y-Menschen die interessante Arbeit entzieht? Oder ihn in eine Galeere steckt? Der Y-Mensch verkümmert. Er zieht sich zurück. Burnout und Depression und Krankheit sind die Folgen. Die X-Menschen sind gegen einen Job-Verlust resistenter. Ist es nicht der eine Job, dann eben ein anderer. Ihrem Selbstwertgefühl tut es keinen Abbruch. Im Gegensatz zum Y-Menschen. Als Lösung flüchtet dieser in die freie Anstellung. Er macht sich selbstständig. Und steckt all seine Energie, seine Motivation in sein ureigenes Projekt. Willkommen im Prekariat.
der hässlichste Teil des Beitrags
Nun zum hässlichsten Teil des Beitrages. Die Y-Menschen, die den Sprung in die Selbstständigkeit gemacht haben, werden für ihr Risiko selten (finanziell) belohnt. Sie beuten sich aus. Weil ihnen der Job so lebensnotwendig ist, stecken sie noch mehr Lebenskraft hinein. Aber je mehr Energie und Kraft sie hineinstecken, umso schrecklicher muss ihr Scheitern am Ende werden. Die Gesellschaft beraubt sich ihrer besten Leute. Weil sie die Y-Menschen nicht erkennt, zuweilen nicht erkennen will. Für eine Hierarchie aus mäßig intelligenten und mäßig engagierten Leuten stellen Y-Menschen eine Gefahr dar. Ihr Ziel ist es, sie in die Galeere zu bekommen, wo sie, angekettet und unter den Trommelschlägen des Taktgebers, rudern und rudern und rudern. Somit ist gewährleistet, dass sie keinen Unfug anstellen. Unfug? Das System zu Hinterfragen, zum Beispiel, das ist natürlich Unfug. Großer Unfug. Oder so einen Beitrag zu schreiben, um 8 Uhr Morgens.
Besser kann man es wirklich nicht schreiben. Super Artikel lieber Richie.
R² muss es wissen – schließlich gehörte er zum Y-Haufen der Software-Schmiede dazu 😉
und auch du Richie 😉 wir waren damals voller tatendrang wir zwei 😉