Social Media, Facebook und die gesellschaftlichen Folgen

Ganz schön blurry.

Wenn Sie sich den Bildschirm-Schnappschuss ansehen, werden Sie vermutlich feststellen, dass der Inhalt ziemlich verschwommen ist. Sie müssen sich aber keine Sorgen machen, ihr Augenlicht ist noch immer so gut wie eh und je. Ich möchte nur zeigen, dass eine »sozial-mediale« Überforderung zu Schwindel, Unschärfe und anderen unangenehmen Befindlichkeiten führt. Seit Herbst des letzten Jahres habe ich meine Social Media Aktivitäten so gut wie eingestellt. Ich wollte ein Buch schreiben. Ich habe ein Buch geschrieben. Ja, jede kreative Tätigkeit braucht ein gewisses Maß an Abgeschiedenheit, geistiger Ruhe und sozialer Ordnung – wir können davon ausgehen, dass diese in facebook und anderen sozialen Netzwerken nicht gegeben ist. Warum? Weil die Plattformen so konzipiert sind, damit der größtmögliche kommunikative Verkehr zwischen den Teilnehmern stattfindet, was zur Folge hat, dass der Mensch negativ gestresst wird, weil er dem kommunikativem Verkehr natürlich folgen und daran teilnehmen/teilhaben will, aber es physiologisch nicht möglich ist. Kurz: man möchte auf vielen Hochzeiten tanzen – und die virtuelle Gleichzeitigkeit im Web scheint es möglich zu machen (nur um später festzustellen, dass es keine Gleichzeitigkeit geben kann – wir verringern nur die Zeitspanne zwischen dem einen und dem nächsten Ereignis). Social Media, es steht zu befürchten, macht die Teilnehmer nicht gesünder, nicht glücklicher – eher ist das Gegenteil der Fall.

update: Museum für Kommunikation in Bern mit der Ausstellung Warnung: Kommunizieren gefährdet. Risiken und Nebenwirkungen: Allzu viel ist ungesund … vom 4. November 2011 bis 15. Juli 2012.
Ich frage mich, ob sich bereits Psychologen und Soziologen mit der virtuellen Kommunikation in aller Breite, in aller Tiefe auseinandersetzen oder ob sie es nur als Beiwerk des gewöhnlichen Lebens sehen. Wie dem auch sei, aus meiner eigenen Erfahrung kann ich nur sagen, dass diese virtuell soziale Komponente eine gefährliche Eigendynamik in allen Beteiligten auslöst. Vor einem Jahr hätte ich darüber höchstens eine Augenbraue hochgezogen, aber mir keine weiteren Gedanken darüber gemacht. Ich versuchte den strengen Social-Media-Kritikern entgegenzuhalten, dass es jeder Teilnehmer selbst in der Hand habe, wie intensiv er sich in der virtuellen Gemeinschaft einbringt. Aber je länger ich facebook, googleplus, xing und der Timeline von Twitter fernblieb, umso sonderbarer kam mir mein vergangenes Social-Media-Leben vor. Ich verbrachte täglich viele Stunden im sozialen Netz. Nur nebenbei. Glaubte ich. Und in dieser Selbsttäuschung liegt eine der Gefahren.

Vorweg: Wir müssen uns klar werden, dass jede kommerzielle Einrichtung nur einen Zweck heiligt: PROFIT. Bevor Sie mit der Achsel zucken, lehnen Sie sich zurück und lassen Sie diese Erkenntnis wirken. Es gibt im gegenwärtigen Wirtschaftssystem kein kommerzielles Unternehmen, das der Menschheit und dem Einzelnen helfen würde wollen, gesünder, freier und unabhängiger zu werden. Es widerspricht dem Profit-Gedanken, der am besten bedient wird, wenn der Konsument unglücklich, unbefriedigt, abhängig/süchtig und kränklich ist. Sie können natürlich der Meinung sein, dass durch dieses Wirtschaftssystem die größten wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften erbracht wurden, die der Menschheit so ungemein dienlich sind. Ach? Beginnend mit der Französischen Revolution von 1789 setzte der »industrielle Kapitalismus« ein, der es schaffte innerhalb kürzester Zeit die Gesellschaft auf den Kopf zu stellen, den Einzelnen aus seiner gewohnten Umgebung und Tradition zu reißen, zu entwurzeln und auszubeuten. Daran hat sich bis heute nichts geändert – nur die psychologischen Propaganda-Tricks und Werbe-Kniffe sind ausgereifter, subtiler und erfolgreicher, weshalb wir der (konditionierten) Meinung sind, dass wir in den besten aller Welten leben.

Social Media verhält sich analog eines Kopfschmerzmittels: es löst ein unangenehmes Symptom, behandelt aber nicht die  Ursache. Der Mensch braucht die Interaktion mit anderen Menschen. Ohne emotionale und physische Interaktion würde er nicht leben, sondern vegetieren und bald sterben. Diese gesellschaftlich-persönliche Verbindung drückt sich auch laut Dr. Gabor Maté in den chemisch-physiologischen Prozessen des Körpers ab, in dem zum Beispiel die Ausschüttung von Dopamin bzw. Endorphine erhöht oder reduziert wird. [siehe hierzu den Vortrag von Dr. Maté: link]

Zurück zu Social Media. Der Mensch hat also ein Ur-Bedürfnis nach einer gesunden Interaktion mit anderen Menschen. Das soziale Web bietet die Befriedigung dieses Bedürfnisses an. Dabei wird aber vergessen, dass wir es hier mit einer virtuellen Interaktion zu tun haben, die nur für die Ratio, nicht für den Körper existiert. Damit können wir gut leben, weil unsere Gesellschaft generell den Geist vor den Körper stellt und so tut, als wäre es möglich, die beiden zu trennen. Dem ist freilich nicht so. Dahingehend muss man sich nur anschauen, welche Auswirkungen emotionaler Stress auf die körperliche Gesundheit des Individuums hat.

Social Media verhält sich analog einer echten Hühnersuppe und einer Fertigsuppe. Beide schmecken und riechen nach Hühnersuppe, aber nur die eine enthält die wichtigen Nährstoffe, die der Körper benötigt. [siehe dazu Dr. Grimm: link] Die Unternehmen wissen es, trotzdem wird den Konsumenten vorgegaukelt, sie könnten auf eine echte Hühnersuppe verzichten. Facebook ist kein Ersatz für persönliche Interaktion, wir wissen es alle und nicken. Aber genauso wissen wir, dass Fertiggerichte und Junkfood ungesund sind, trotzdem werden diese gekauft und verzehrt. Warum? Weil das System uns keine andere Wahl lässt, so lange wir uns im System befinden. Die Schuld dem Einzelnen zu geben ist nur der gelungene Versuch eines profitorientierten Establishments, den Status Quo aufrecht zu erhalten. Vereinfacht dargestellt, würde es sich so verhalten, dass man Kindern, die gerade lesen gelernt haben, einerseits eine Schüssel mit Pilzen, giftigen wie ungiftigen, und andererseits ein dickes wissenschaftliches Buch über Pilze gibt. Zu behaupten, die Kinder können sehr wohl nachlesen, welcher Pilz nicht gegessen werden darf, weil giftig, ist grob fahrlässig, trotzdem ist es die Argumentation des Establishments, wenn es heißt: Der Konsument hat die Wahl. [laut Dr. Grimm fällt bei der Herstellung von Zitronensäure, welches in vielen Fertigprodukten zu finden ist, die gleiche Menge an Gips als Abfallprodukt an. Wie das?]

Facebook hat einen geschätzten Marktwert von etwa $ 100 Milliarden Dollar. Der Marktwert ist freilich gründlich überzogen, aber für den Börsengang (IPO) in diesem Jahr braucht es einen Hype (Börsensprech: Blase), um die gewöhnlichen Leute über den Tisch zu ziehen. Damit einhergehend muss die Führungselite von Facebook natürlich den Investoren einen Bizness-Plan vorweisen können, der es in sich hat. Die letzten Veränderungen der Benutzer-Oberfläche zeigen, dass facebook die kommerzielle Hausaufgabe gelernt hat. Deren Ziel ist es, die weltweit 800 Millionen Teilnehmer auf eine Weise zu vereinnahmen, dass diesen gar nichts anderes übrig bleibt, als ihre Zeit in Facebook zu verbringen. Damit einhergehend natürlich auch deren Motivation, Freunde oder Bekannte zur Social Media Plattform zu bringen. Facebook wird alles unternehmen, um den Einzelnen das Gefühl zu geben, er würde ein für ihn wichtiges Ereignis versäumen, ist er nicht eingeloggt oder widmet er nicht dem Kommunikationsstrom all seine Aufmerksamkeit. Da es aber nicht möglich ist, ständig den Ereignissen in Facebook zu folgen, treten Stress und Schuldgefühle auf. Der springende Punkt ist, dass es nicht in erster Linie die Social Media Plattformen sind, die Stress und Schuldgefühle auslösen, sondern all deine Kontakte, die dir wichtig sind, die dir das Gefühl geben, geschätzt und akzeptiert zu sein. Man könnte sagen, dass die Social Media Plattformen ein Abbild des gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sind, die nur die schlechtesten Eigenschaften im Menschen befeuern. Jene, die nicht mitmachen wollen oder können, verhungern vor (vermeintlich) vollen Schüsseln. Dass die Unternehmen der USA jährlich 400 Milliarden Dollar für Werbung und Marketing ausgeben – die Hälfte davon allein für den Online-Bereich – sollte hoffentlich mehr als genug sagen, oder? Fortsetzung folgt …

12 Kommentare zu „Social Media, Facebook und die gesellschaftlichen Folgen“

  1. Lieber Richard,
    Sie haben seit Herbst des letzten Jahres Ihre Social Media Aktivitäten so gut wie eingestellt, weil sie ein Buch schreiben. Ich kann Sie gut verstehen, wie Sie nun mit etwas Abstand das mediale, soziale Getümmel betrachten.
    Ich habe mein Hobby Internet auch vernachlässigt, weil wir umgezogen sind. Entrümpeln, Kartons packen, Möbel schleppen, Rückenschmerzen, rissige Hände, Farbengeruch, Bilder aufhängen, Lampen aussuchen, Regale bauen, Hühnersuppe essen, Bücher einsortieren, neue Nachbarn kennenlernen … wie schön kann doch das Leben sein!
    Aber ich freue mich auch darauf, wieder durch die Blogs zu ziehen und zu erfahren, was R.K.Breuer und andere kluge Menschen zu berichten haben, denn hier in meinem kleinen Dorf gibt es nicht sehr viele, die beim Reden auch etwas sagen.

    Gruß Heinrich

    1. Ja, Herr Heinrich, entrümpeln sollte ich jetzt auch mal. Vielleicht im beginnenden Frühling, da putzt es sich ja gleich mal beschwingter. Wichtig ist, dass man das Social Media Angebot als „Genussmittel“, nicht als „Suchtmittel“ erfährt. Schön, Sie wieder an „Bord“ zu wissen 🙂

  2. Hallo Richie, ich selbst habe vor kurzem meinen Facebook-Account gelöscht, und der angesprochenen emotionale Druck kommt eher von den Facebook-Freunden, die es tw. geradezu als krankhaft empfinden, wenn man seine Registrierung auf einer Website, was Facebook letztendlich ist, löscht. Wenn man nicht, so wie Du z.B., FB als Promotionplattform für eigene Sachen nützen kann, so ist Facebook ab einer gewissen Anzahl an „Freunden“ (ab ca. 100 nach meiner Erfahrung) informationstechnisch relativ nutzlos, wenn man nur alle paar Tage hineinschaut, weil man nur irgendeinen uninteressanten Blödsinn von halbfremden Leuten zu lesen bekommt. Hätte ich noch einen FB-Account, würde ich jetzt „gefällt mir“ drücken 😉 lg Thomas

    1. Einen Account „Löschen“ hat ja etwas Definitives, was in der heutigen schnelllebigen Zeit nicht verstanden wird. Zugegeben, ich tue mir da auch schwer, weil ich mir gerne alle Türen offenhalten möchte. Aber dadurch ist es schwer, endgültig loszukommen.

      Vermutlich braucht es einfach einen nüchternen Umgang mit den neuen Medien. Würde jeder ohne Hemmungen zum Telefon greifen, würden wir uns auch etwas einfallen lassen. Gut möglich, dass wir in den nächsten Jahren die neuen Medien wie die alten verwenden: einigermaßen sinnvoll.

  3. Lieber Herr Breuer!

    Ich stimme dir voll und ganz zu, was diese Überkommunikation über soziale Netzwerke betrifft. Ich selbst genieße sogar schon die Tage, an denen ich nicht in Facebook einlogge. Und man stelle sich vor: Kaum bist du ein paar Tage nicht dort, bekommst du eine Nachricht, wie viele ungelesene Nachrichten du den hättest. Unglaublich, oder? Die wollen dir tatsächlich ein schlechtes Gewissen einreden. Ich sch*** natürlich auf das schlechte Gewissen. Deshalb esse ich auch kein künstliches Fast Food und Packerlsuppen-Zeug mehr.
    Der Stress, der durch diese viele Kommunikation erzeugt wird, ist real spürbar. Das fängt aber schon bei e-mails im Outlook an, die du durch ein kleines Fenster rechts unten angekündigt bekommst. Das allein stresst schon.
    Ich für meinen Teil bin momentan auf dem Verweigerungstrip und versuche die Kommunikation komplett zu entschleunigen. Back to the roots, quasi.

    Schönen Tag und LG

    A.

    1. Ganz schön förmlich, meine liebe A., aber ja, diese hochoffizielle Nachricht, man würde vermisst werden, auf den sozialen Plattformen, können einem ganz schön zusetzen. Weil eine der Mitteilungen vielleicht die Märchenfee betrifft, die dir über facebook die Lottozahlen der nächsten Ziehung geflüstert hat. Tja. Chance vertan.

      Yep. Entschleunigung ist der Trend. Hoffentlich geht es nicht zu schnell dabei 😉

      1. natürlich förmlich, ich war ja im Dienst. Interessant ist, dass du Nachrichten um 20:34 schreiben kannst obwohl es erst 19:55 ist. Du kannst sogar in der Zukunft kommunizieren!! Social Media sei Dank!! 😉

  4. Hallo Richard, danke für deinen Beitrag.
    Ich studiere soziale Arbeit und würde gerne meine Bachelorarbeit über die negativen Auswirkungen der Abhängigkeit von social media schreiben. ( ursachenforschung, Entstehung, Auswirkungen etc.)
    Ich befasse mich schon etwas länger mit dem Thema, da ich am eigenen Leibe erfahren habe wie blind, blöd und einsam die stetige Nutzung von Facebook, whatsapp und co macht.

    Das Problem was ich nun habe besteht darin das das Internet zu diesem Thema , wie bei allem was natürlich nicht ans Licht kommen soll, stillschweigt und ich so nur wenig nützliche Informationen für meine Arbeit finde.
    Das zweite Problem ist, dass ich eher die verschwörungstheoretische Sicht diesbezüglich einnehme aber diese natürlich nicht als Bachelorarbeit an einer deutschen Hochschule kundtun kann , ohne sofort in die nächste Schublade gesteckt zu werden und meine Arbeit nocheinmal schreiben zu müssen ..^^ 🙂 ..

    Ich wäre dir sehr dankbar wenn du vielleicht ein paar Buchempfehlungen , wissenschaftliche Artikel, Links etc. für mich hättest die sich mit dem thema Kommunikation, Stress, psychische Auswirkungen,Gruppenzwang oder whatever da alles zugehört beschäftigen 🙂

    Lg und weiter so .. toller Blog 🙂

    Shara

    1. Leider habe ich jetzt keine großartigen Empfehlungen für dich, da ich mich (noch) nicht eingehend mit diesem Thema befasst habe. Aber als Einführung hätte ich vielleicht Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer anzubieten. Bei ihm geht es jetzt nicht vorrangig um Social Media, sondern um die Internet-Nutzung von Kindern und was diese in den jungen Köpfen auslöst. Hier ein guter Vortrag von ihm:

      Aus verschwörungstheoretischer Sicht ist Social Media nichts anderes als social engineering – das gute facebook ist u.a. mit CIA-Gelder finanziert worden. Wer meint, Zuckerberg hätte im Alleingang so ein Projekt aus dem Hut gezaubert, der glaubt natürlich auch an das Christkind 😉

      Ich drück die Daumen für deine wissenschaftliche Arbeit.

      P:S.: Merci für das Lob.

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