Burgtheater im Mai 2015: Bei Einbruch der Nacht von Peter Turrini

Lange
Bald schon 30 Jahre her, die Widmung des Kärntner Dramatikers für den Wiener Postbeamten.

Ich setzte bei der Kellnerin ein, was ich hatte: kopierte Poesie, angelesenes Wissen, viele Wörter. Sie fand meine Art fein und die der anderen grob, aber gevögelt hat sie nicht mit mir. […] Im Dorf lebte ein Komponist, in einem sehr schönen, kultivierten Haus. Ihm zeigte ich damals meine Gedichte, die ich in Serie schrieb und die immer das gleiche Thema hatten: die Welt ist ein absurdes Jammertal […] Er brachte Ordnung in meine Lesewut. […] Ich verbrachte Tage, Wochen in seiner Bibliothek, er schrieb mir Entschuldigungen für die Schule [Handelsakademie]. […] Der Komponist, mein geistiger Ziehvater […]
Biographie des Lesens
Peter Turrini
entn. Lesebuch zwei, S. 347f., Europa Verlag 1984

»Zum 70. Geburtstag von Peter Turrini zeigt die Burg sein autobiographisch gefärbtes Stück Bei Einbruch der Nacht über Kärnten, Kunst und Konvention, Selbstsucht und -überschätzung, politische und künstlerische Ignoranz, Wahrheit und Verstellung.« [Pressetext] Uraufführung: 2006

Sehr geehrter Herr Turrini,

Sie werden sich nicht erinnern können, aber in den frühen 1980er Jahren erhielten Sie all ihre Briefe und Päckchen von einem Postbeamten, dem Sie, warum weiß ich nicht mehr, eines Ihrer neuen Bücher mitgegeben hatten, samt einer Widmung. Dieses Buch befindet sich in meinem Besitz. Nicht zufällig, nein, ist doch der Postbeamte mein Vater. Ich erinnere mich jedenfalls, dieses Buch, das er nach Hause brachte, immer wieder aufgeklappt und die von Ihnen hingekritzelte Widmung angesehen zu haben – vermutlich suchte ich damals das Außerordentliche, das Besondere, in diesem simplen Kugelschreiberblau.

Wenige Tage ist es her, als ich in der Burg Ihr Stück Bei Einbruch der Nacht sah. Ja, ich war Augen- und Ohrenzeuge dieses Dramas. Ich kann Ihnen versichern, dass es nur zwei Zuseher gab, die vorzeitig den Saal verließen, der Rest des Publikums blieb bis zum Ende. Ehrlich gesagt, ich war schon seit geraumer Zeit nicht mehr in der Burg, deshalb kann ich nicht beurteilen, ob das Gezeigte und Gespielte im Rahmen des Gewöhnlichen blieb oder diesen sprengte. Nichtsdestotrotz muss ich meinen Hut ziehen und Ihnen Respekt zollen. Um solch ein Stück im Alter von 62 Jahren auf die Bühne zu bringen, meiner Seel‘, da gehört eine Menge Chuzpe dazu.

Zugegeben, hätte ich nicht vorab gelesen, dass dieses Stück autobiographisch gefärbt ist, ich hätte Ihnen hier, an dieser Stelle, vorgeworfen, nur noch ein dramatischer Agent Provocateur zu sein. Heutzutage ist die Kunst des Provozierens, die Kunst des Schockierens, die einträglichste aller Kunstformen – jedenfalls so lange, so lange sich der Künstler an die verordneten Tabu-Themen hält. Man fragt sich, warum dem so ist, aber so ist es nun mal. Im Übrigen wusste ich wirklich nicht, dass Sie in Kärnten geboren und aufgewachsen sind und dass sie Ihre Jungendjahre im/am Tonhof verbringen durften, ein herrschaftlicher Gutsbesitz, der seit den 195oer Jahren als „Künstler-Sommerresidenz“ galt. So steht es im Internet. Und diese Residenz samt ihrer Bewohner, so scheint es mir, war Blaupause für das besagte Theaterstück. Starker Tobak.

Als Schriftsteller und Künstler, der ich mich fühle, verstehe ich den inneren Zwang, Erlebtes erlesbar zu machen. Ich habe mich deshalb während des Stückes beinahe minütlich gefragt, wie viel davon ist kreative Überzeichnung, wie viel davon ist verfälschte Wahrheit. Als Künstler steckt man immer noch in der Haut eines Menschen, mit all seinen Stärken und – vor allem – Schwächen. Er möchte die Empfindungen, die eigenen, in die Welt schreien und weiß doch, dass sie keiner verstehen würde. Deshalb beginnt er, die Wahrheit in Kleider zu stecken. Ja, er legt erdachten Charakteren erdachte Sätze in den Mund und vermischt Mann mit Frau, Frau mit Mann, Junge mit Mädchen, Mädchen mit Junge und trotzdem geht am Ende die Gleichung auf. Der Schutz des Künstlers besteht nun mal darin, Wahrheit und Empfindung so maßlos übertrieben darzustellen, dass der gewöhnliche Bürger – unmöglich ahnend, wie die wirkliche Welt da draußen tatsächlich beschaffen ist – nur von einer blühenden Phantasie ausgehen kann.

Wie dem auch sei, Ihr Stück ist nicht nur eine Form der Vergangenheitsbewältigung, sondern auch Zeichen der sich anbahnenden Zustände. Ich möchte sogar soweit gehen, zu behaupten, dass die von Ihnen dramatisierte „Künstler-Sommerresidenz“ bald überall sein wird – kurz und gut: Moral, christlich-familiäre Werte, Tradition, Kultur, Herzensbildung, Sprache, Sexualität, gesunder Menschenverstand, Respekt, Würde, Weisheit, all das ist in den letzten Jahrzehnten Stück für Stück verloren gegangen, besser: wurde und wird dem gewöhnlichen Bürger entrissen, förmlich aus ihm herausgerissen. An deren Stelle treten nun die neoliberalen Heilsversprechungen Gott Mammons, dessen Mantras allgegenwärtig sind: „Habe und du bist“, „Nimm und dir wird gegeben“, „Lüge und dir wird geglaubt“, „Hasse und du wirst geliebt“, „Verkaufe und du wirst geachtet“, „Töte [aus der Luft] und dir wird vergeben“, „Verleumde das Gestern und dir wird verziehen“, „Folge den Worten der Propheten in den Schafskleidern und die Welt wird zum Frieden finden“ …

Zu guter Letzt bleibt mir nur die Hoffnung, dass Sie, Herr Turrini, Ihre Wahrheit noch zu Papier, zur Sprache bringen. Die Vergangenheit ist ein großes Rätsel, ein Mysterium, ein Puzzle. Gefärbte Wahrheit bringt uns in der Entschlüsselung unseres Daseins nicht weiter, ja, es hilft nur jenen, die mit Absicht ein unschönes Damals verklären und vernebeln und die mit allen Mitteln versuchen, den gewöhnlichen Bürger – er ist ja naiv wie ein kleines Kind – hinters Licht zu führen.

Es gäbe noch viel zu sagen, doch belassen wir es vorerst dabei. Besser, der geneigte Leser füllt die fehlenden Stellen selber aus. Der Sohn eines Wiener Postbeamten grüßt den Sohn eines italienischen Kunsttischlers, irgendwann im Mai des Jahres 14 n. nine eleven.

R. K. B.

Gedanken zum Wiener Stadtgespräch mit Ulrike Hermann

Hermann_Wien_Mai2015

Der eine oder andere Gedanke zum gestrigen Wiener Stadtgespräch mit Ulrike Hermann, Wirtschaftskorrespondentin der genossenschaftlich organisierten Berliner Zeitung TAZ und Autorin von Sachbüchern, die sich kritisch mit dem Kapitalismus auseinandersetzen. Wer sich für das zweistündige Gespräch, geführt von Peter Huemer, interessiert, hat die Möglichkeit, die Aufzeichnung demnächst hier anzugucken und anzuhören.

Ja, Ulrike Hermann trifft mit ihrer Kritik den richtigen Ton, macht auf neoliberale Irrtümer aufmerksam („es gibt heutzutage keinen freien Markt, die Wertschöpfungskette wird von transnationalen Konzernen vollkommen beherrscht“), fordert ein Umdenken der Mittelschicht in Bezug auf Vermögens- und Erbschaftssteuer sowie Bankgeheimnis („es gibt keine Vermögensdaten, niemand weiß, wer von den Top 1% wie viel wirklich hat“), lehnt das „Freihandelsabkommen“ TTIP ab („Konzerne könnten dann Regierungen verklagen, wenn sie das Gefühl haben, ihre Profite würden durch ein neues Gesetz geschmälert“), wünscht sich, dass Österreich gegen das Lohndumping Deutschlands protestiert („Schäuble kapiert es wirklich nicht: Höhere Löhne sind gut für die Wirtschaft“), glaubt an ein Platzen der Finanzblase in absehbarer Zeit („viele wissen schon gar nicht mehr, wohin mit dem Geld und kaufen sich einen Picasso um 180 Mio Dollar“) und prophezeit mit dem Versiegen der Rohstoffe auch das Ende des Kapitalismus.

Über die Entstehung des Kapitalismus gegen Ende des 18. Jahrhunderts in England gibt es viele Theorien (lt. Hermann über dreißig). Sie geht davon aus, dass es die hohen Löhne im Land waren, die Fabrikanten dazu „zwangen“, in moderne und effiziente Gerätschaften zu investieren. Auf diese Weise schufen sie Kapital und setzten die Wachstumsspirale in Gang. Ich gehe wiederum davon aus, dass die Entstehung mit den englischen Kolonien zu tun hatte: zum einen konnte London Nahrungsmittel und Rohstoffe zu günstigen Preisen importieren (auf diese Weise konnte man die zuvor so dringend benötigten Landarbeiter in die neuen Fabriken stecken), zum anderen konnte London die produzierten Güter zu hohen Preise in die Kolonien exportieren – nicht umsonst revoltierten die amerikanischen Siedler gegen den „Kaufzwang“ englischer Produkte, nicht umsonst wurden souveräne Staaten mit Waffengewalt gezwungen, ihre „Märkte“ zu öffnen (bezeichnende Beispiele dafür sind China und Japan). Kurz und gut: Ohne Überfluss an Nahrungs- und Lebensmittel, sowie an Rohstoffen und Skrupellosigkeit gäbe es keinen Kapitalismus. Das sind jedenfalls meine two cents dazu.

Erfreulich, dass sich Ulrike Hermann getraut, nicht nur die Vermögensverteilung anzuprangern („rund 70 % der Deutschen besitzen so gut wie nichts“), sondern auch die Anonymität der Vermögensinhaber. Und in der Anonymität liegt die Macht! Das sage nicht ich, das sagte der Industrielle Walther Rathenau, Sohn des Unternehmensgründer der AEG, im Jahre 1912. Da liegt der Hase im Pfeffer.

Ein halbes Dutzend Männer an der Spitze der fünf Großbanken (Big Five Banks) könnten das Gerüst der Staatsfinanzierung zum Einsturz bringen, in dem sie von einer Verlängerung amerikanischer Staatsanleihen Abstand nehmen.“ „Half a dozen men at the top of the Big Five Banks could upset the whole fabric of government finance by refraining from renewing Treasury Bills.“

Financial Times, 26. September 1921.
zit. n. Caroll Quigley in Tragedy & Hope.

EUROVision Song Contest 2015: FINALE #ESC

Ja, die Sache mit dem Copyright
Ja, ja, die Sache mit dem Copyright.

update: So haben Juroren und Publikum abgestimmt! LINK

Yep. Die Pop-Überflieger ABBA wussten es bereits in den 1980ern: The Winner takes it all. Ihr Landsmann Måns Zelmerlöw gewann für Schweden das große Finale des europäischen Gesangswettbewerbs. Ziemlich klar auch noch dazu. Nur der russische und der italienische Beitrag konnten anfänglich dagegen halten. Aber am Ende setzt sich nun mal Qualität durch. Wirklich? Nope. Natürlich nicht. Das war ein Witz. Wenn Sie ernsthaft an dieses Märchen glauben, gehen Sie womöglich mit Lipizzaner-Scheuklappen durch die Welt da draußen. Jede Massenveranstaltung – Betonung liegt dabei auf Masse – wird von den Veranstaltern auf den Millimeter geplant. Überraschungen gibt es nur dann, wenn die Macher im Hintergrund eine solche zulassen wollen. Falls Sie mir nicht glauben, schlagen Sie nach bei Sigmund Freuds Neffe Edward Bernays und lesen Sie in seinem in den USA im Jahre 1928 erschienenem Werk Propaganda, wie wichtig es für die Elite ist, die Masse zu lenken und zu führen.

»Unsere muss eine Herrschafts-Demokratie sein, administriert von der gebildeten Minderheit, die weiß, wie man die Massen kontrolliert und führt«.

Mit anderen Worten, die europäische Song-Contest-Veranstaltung ist nichts anderes als gut gemachte Massen-Manipulation. Denn egal, ob Sie sich für den Event interessierten oder nicht – Sie hatten keine Chance, nicht nicht an dieses Ereignis erinnert zu werden. Längst ist der Mainstream-Medien-Apparat übermächtig und gibt vor, worüber wir zu reden und nachzudenken haben.

Zurück zum Singsang-Biz. Der österreichische und der deutsche Beitrag gingen ohne Punkte nach Hause. Hm. Derweil fackelten wir Ösis sogar das Klavier auf der Bühne ab. Der brennende Dornenbusch rund um einen Jünger Jesu lockte keinen Zuschauer hinterm Smartphone hervor. Ja, nicht einmal die erzkatholischen Italiener oder Polen oder Iren (okay, seit gestern müssen Sie diese von der Liste streichen) beschenkten uns für diese Darbietung mit einem Pünktchen. Enttäuschend. Einziger Trost, wie so oft, ist das geteilte Leid mit Deutschland. Das war bekanntlich vor vielen Jahrzehnten nicht anders, wenn ich mich recht erinnere. Kann mich aber auch täuschen.

Musikalisch fand ich den Beitrag von Zypern äußerst gelungen. Sehr sympathische Old-School-Trällerei. Der Mann hat – in meinen Ohren – eine formidable Stimme. Im Gegensatz dazu haben mich die zwei drei kleinen Italiener nicht gerade von der Couch geworfen. Macht nix, die Tenöre haben ihre Fangemeinde und das ist ja bekanntlich alles, was zählt, im Musik-Biz, nicht? Der Beitrag von Slowenien hat mir übrigens auch gefallen, Kopfhörer hin oder her. Und die ungarische Gesangstruppe erinnerte seltsamerweise mehr an Irland als an Ungarn.

Zu guter Letzt stellt sich mir die Frage, woher die Buchmacher wussten, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Schweden und Russland geben würde. Ist mir schleierhaft. Zugegeben, die beiden Gesangsstücke sind nicht schlecht, aber sind sie um so vieles besser als all die anderen? Ja, wie verflixt noch mal können Journalisten und Buchmacher überhaupt den musikalischen Geschmack Europas auf die letzte Note kennen? Ist mir ein großes Rätsel. Gestern wusste ich noch nicht mal, wo Aserbaidschan liegt oder dass Georgien guten Wein produziert oder dass die geographische Grenze Europas nicht klar definiert ist und ziemlich weit nach Osten reicht. Früher einmal, lange ist es wohl her, lernte ich, dass die eine Hälfte von Istanbul in Europa, die andere in Asien liegt. Am Bosporus schieden sich nicht nur die Geister, sondern auch die Kontinente. Erst mit der Zerbröckelung der UdSSR in den 1990ern wurden die Grenzen neu gezogen – man reiche mir ein Lineal!

Also. Haben Sie eine Erklärung, wie die Wettquoten und Favoriten für diesen Wettbewerb zustande kamen? Und ist es nicht ein wenig schockierend, zu erfahren, dass Italien, Belgien, Polen und Australien dem späteren Siegerlied die maximalen Punkte gab? [Hier die Liste] Ich meine, ist es vorstellbar, dass Polen und Australier, Belgier und Italiener den gleichen Musikgeschmack haben?

Dass die Punktevergabe irgendwie mit den nachbarschaftlichen Beziehungen zu tun haben soll, hört man ja immer wieder. Die Indizien sprechen eine klare Sprache, dass dem tatsächlich so ist (okay, sehen wir mal von der Ösi-Piefke-Hassliebe ab). Mit anderen Worten, die Leutchen, die zum Telefon gegriffen haben – vermutlich aber auch die Jury-Mitglieder – stimmten aus persönlich-geographischen Gründen, nicht unbedingt aus musikalischen. Somit bleibt am Ende des Tages nur der Gedanke, dass die Qualität des Gesangsmaterials so gut wie wurst ist. Anders gefragt: Hätte Zypern das schwedische Lied im Programm gehabt, hätte man sie gewinnen lassen?

P.S.: Wie mir gerade aufgefallen ist, haben einige Länder aus finanziellen Gründen am Song-Contest 2015 nicht teilgenommen, beispielsweise Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Andorra oder Luxemburg (Bankenkrise?). Wir sehen: Am Ende regiert immer noch das Geld, nicht die Musik. Kurz: Wer zahlt, schafft an, darf singen.

EUROVision Song Contest 2015: Semifinale 2 #ESC

Die Sache mit dem Copyright, wissen Sie?
Ja, es ist nicht das Original-Logo. Die Sache mit dem Copyright, wissen Sie?

Okay. Das waren jetzt die letzten 17 Teilnehmer. Abgesehen von den 7 Fix-Startern haben wir nun alle gehört und gesehen. Warum neben dem Vorjahresgewinner noch weitere 6 Länder fix qualifiziert sind, konnte ich nicht herausfinden.

Die gestrige Show war wieder ordentlich in Szene gesetzt. Der Wow-Effekt der ersten Übertragung konnte natürlich nicht mehr erreicht werden – man hat ja alles schon mal gesehen, irgendwie. Freilich, die Bühnen-Animations-Überdrüber-Darbietung der Schweden war nicht von schlechten Design-Eltern; der Singsang konnte da nicht mithalten. Warum der gute Zelmerlöw als Mitfavorit gehandelt wird, erschließt sich mir nicht. Vielleicht, weil er ein Feschak ist und mit seinem Liedchen „Heroes“ ein klein wenig an David ‚Helden für einen Tag‘ Bowie erinnert? Wie dem auch sei, an Hingucker gab es auch diesmal keinen Mangel. Dabei ist mir aufgefallen, dass so mancher der Teilnehmer noch nicht mal volljährig ist. Lolitaesk, nicht? Scheinbar haben die Organisatoren keine Hemmungen, junges Gemüse in den Druckkochtopf zu werfen. Andererseits, früh übt sich, wer im Event-Vorhof der Musikbranche-Hölle bestehen will. Schlag nach bei Tony Vegas.

Zurück zum Geschäft. Freuen tue ich mich vor allem für Zypern. Deren Beitrag ist bemerkenswert melodiös und der junge Sänger (Brille!) trällert in einem hippen Old-School-Singsang. Für mich eine Entdeckung. Der norwegische und slowenische Beitrag – jeweils ein Mann-Frau-Duo – punkteten mit eigenwillig-modernem Arrangement. Ja, diese zwei Balladen haben das gewisse Etwas.

Am authentischsten (klischeehaftesten?) kommt für mich der Beitrag von Monte Negro daher. Man spürt während der Darbietung den Balkan im Ohr. Ob das gut oder schlecht ist, sei dahingestellt. Österreich hatte ja so seine Problemchen mit dieser finsteren Gegend. Ex-Thronfolger Franz Ferdinand könnte darüber sicherlich mehr erzählen, aber das ist ein anderes Lied. Vielleicht wird es ja mal die schottische Indie-Band gleichen Namens auf die Bühne bringen.

Überraschend, dass der irische Beitrag aus dem Bewerb gekickt wurde. Die Ballade der 17-jährigen Molly Sterling war wohl – im Gegensatz zu ihrem Namen – nicht irisch genug. Vielleicht hätte sie ihr Klavier mit einer Geige vertauschen sollen. Ihr Styling – hartes, dunkles Leder – passte übrigens überhaupt nicht zum weichen Song. Also ehrlich, wer ihr dieses Outfit eingeredet hat, gehört in ein Dubliner Pub gesperrt, bei Wasser und Brot.

Und sonst? Überrascht hat mich der Beitrag von Aserbaidschan. Hand aufs Herz: Wissen Sie, wo dieses Land auf dem Globus zu finden ist? Google Earth sei Dank, weiß ich es jetzt. Yep. Der Sänger ist sympathisch und die Ballade – englischer Text! – eingängig. Einzig die Choreografie der beiden Nebendarsteller, also, da hätten die Macher vielleicht eher Anleihen vom Wiener Staatsopernballett nehmen sollen und nicht vom Heumarkt [Wer es nicht weiß, dort wurde im Sommer gecatcht und gewrestlet; zum großen Gaudium des Wiener Publikums]. Eine Randnotiz ist der israelische Beitrag sicherlich wert. Die Jungs lassen es ordentlich krachen. Man könnte meinen, ihnen gehörte die (Bühnen-) Welt. Respekt. Schätze, wenn alles vorbei ist, werden sie Samstag Nacht die Könige im Wiener Bermuda-Dreieck sein und bis zum Abwinken abfeiern. Yeah. Ach ja, da fällt mir noch etwas ein. Seit gestern weiß ich nämlich, dem ORF sei Dank, dass Israel gerade mal die Fläche von Niederösterreich hat. So viel Blut und Tränen und Schweiß, die geflossen sind und noch fließen werden, für so wenig Land. Man möchte es nicht glauben. Willkommen in Europa.

EUROVision Song Contest 2015: Semifinale 1 #ESC

Wo geht's hier zum ESC-Fan-Café?
Wo geht’s hier zum ESC-Fan-Café?

Schlapperlot. Da war ja einiges los, auf der Bühne – die LEDs tanzten Tango. Respekt. Kudos für die Bühnen-Designer und all jene, die dieses Technikkunstwerk zum Funktionieren brachten. Lobend auch zu erwähnen sind die kurzen Postkarten-Clips, die wie ein Weihnachtskalender daherkommen. Jeder Clip birgt ne (positive) Überraschung. Hach. Wär die Welt nur allerweil so happy. Dass die Gestalter aber auch mal daneben greifen können, zeigte der Clip, der das Austragungsland vorstellen und in einem hübschen Licht präsentieren sollte. Äh. Also wirklich. Ich dachte, mich tritt ein Lipizzaner. Dieser Teil ist gänzlich misslungen und völlig für die Katz.

An der Show an sich gibt es nichts zu bemängeln – abgesehen vielleicht von den aufgesetzten Witzchen der Moderatorinnen. Ja, alles in allem eine ordentliche Vorstellung.

Im ersten Semifinale wurden 6 Nationen nach Hause geschickt. Leid tut es mir vor allem um den Mazedonischen Beitrag, der mir gut gefallen hat. Ja, wirklich Schad um den in Wien lebenden Daniel Kajmakoski, der den Heimvorteil nicht nutzen konnte. Vielleicht hatten die Jury-Leutchen auch ein wenig Schiss vor den drei schwergewichtigen Rappern aus den Vereinigten Staaten – man hört ja allerhand von Ausschreitungen und Plünderungen und so.

Der ungarische Beitrag ist zurückhaltend und hebt sich wohltuend vom sonst recht lauten Singsang ab. Und das Duo aus Estland kann sich sehen und hören lassen. Gefällig auch der griechische Celine-Dion-Gassenhauer. Von den bisherigen 16 Beiträgen scheint mir der rumänische am authentischsten. Teilweise in der Landessprache gesungen, macht der Interpret auf die Probleme der Auswanderung in seinem Heimatland aufmerksam (oftmals sehen die guten Leutchen, die alle Grenzen niederreißen wollen, ja nur eine Seite der Medaille; auf den springenden Punkt gebracht: Gehen die tatkräftigsten Bürger ins Ausland, geht das Inland langsam aber sicher vor die Hunde). Eine Erwähnung ist auch der russische Beitrag wert. Nicht nur ist Polina Gagarina ein Hingucker, sie kann auch vom Stimmumfang überzeugen und steckt m. E. die serbische Wuchtbrumme allemal in die Tasche.

Politisch gesehen musste der ORF natürlich – unterschwellig – die Anti-Putin-Schiene fahren. Diese Propaganda ist ärgerlich. So versucht man dem Zuschauer zu vermitteln, dass die gleichgeschlechtliche Beziehung in Russland ein Verbrechen und damit verboten sei. Dies ist freilich nicht der Fall. Man höre hierzu Putin, der in einem Interview mit der BBC deutlich machte, dass das Gesetz vorrangig dazu gemacht ist, die Propaganda von nicht-traditioneller Sexualität einzuschränken.

Nun gut. Dann warten wir jetzt mal auf das zweite Semifinale.