Das Schreckliche an der Zwei-Minuten-Hass-Sendung war nicht, daß man gezwungen wurde mitzumachen, sondern im Gegenteil, daß es unmöglich war, sich ihrer Wirkung zu entziehen. […] Er glaubte an die Grundsätze der [Partei], verehrte den Großen Bruder, jubelte über Siege, hasste politisch Unkorrekte nicht nur eifrig und unermüdlich aus Überzeugung, sondern wohlinformiert, mit einem Scharfblick, wie ihn ein gewöhnliches Parteimitglied sonst nicht besaß.
1984
George Orwell (1948)
Anmerkung: Als Einführung in die Materie der Manipulation lesen Sie bitte meine folgenden Beiträge Scheiterhaufen und Shitstorm, Mittelalter und Cyperspace: Die Verdrehung des Faktischen und Illusion der Informiertheit.

Sehen Sie sich den obigen Kommentar von User M. im Online-Standard in aller Ruhe an. Ich hoffe, Ihnen fallen all diese (von mir gelb unterlegten) Neusprech-Vokabeln auf. Der Beitrag ist ein Musterbeispiel, wie die Manipulation des gutgläubigen Medien-Konsumenten funktioniert. Über den „derzeit in Brüssel“ lebenden Autor ist nicht viel bekannt – so beschäftigt er sich „seit vielen Jahren mit Rassismus und Rechtsextremismus“. Interessant, dass man damit sein berufliches Auslangen finden kann. Andererseits, in einer Epoche des Terrors und des Extremismus sind wohlinformierte Scharfblicker von größter Bedeutung. Nicht für die Gesellschaft, nope, vielmehr für die Obrigkeit, für den Großen Bruder, wenn Sie so wollen. All diese „Rechthaber“, die wissen, wo die „rote Linie“ endet, die festlegen, was tolerierbar und was „aus den Köpfen“ zu verschwinden hat, sind nur die Einpeitscher der schulterzuckenden Masse.
Ich frage mich, wie es sein kann, dass die Äußerung eines 17-jährigen Jungen solche Wellen, solchen Hass erzeugen kann. Ja, wie kann das sein? Erinnern Sie sich noch an das französische Satire-Magazin Charlie Hebdo? Suchen Sie doch im Internet nach charlie hebdo caricatures jesus und schauen Sie sich die Zeichnungen an. Für einen religiös empfindsamen Menschen sind all diese „Karikaturen“ jenseits der „roten Linie“. Und doch gingen Millionen auf die Straße, um genau für diese „nicht tolerierbare“ Satire- und Karikatur-Freiheit zu demonstrieren. Falls Sie meinen, der 17-jährige Bursche hätte sein Posting ernst gemeint, dann ist es eine Vermutung und nicht bewiesen. Genausogut könnte man die Charlie Hebdo Texter der absichtlichen Verunglimpfung christlicher und muslimischer Werte bezichtigen.
Oder wie wäre es mit Hollywood-Ikone Mel Brooks und Seinfeld-Co-Producer Larry David. Als im Jahr 1967 Mel Brooks Film The Producers in die Kinos kam, sorgte der „Nazi-Witz“ mancherorts für Sprachlosigkeit und Entsetzen. „Jewish organization at the beginning didn’t get the joke“, merkte Mel Brooks in einer „Making-of“-Dokumentation amüsiert an. Falls Sie den Film gesehen haben, wissen Sie vermutlich, warum. Starker Tobak – trotzdem war der Film letztendlich erfolgreich, so erfolgreich, dass sich Hollywood im Jahr 2005 für ein Remake entschloss. Und in Larry Davids (sehr empfehlenswerter) Comedy-Serie Curb your enthusiasm nimmt der Autor vergangene und gegenwärtige jüdisch-israelische Ereignisse spitzfindig aufs Korn. Für sensible Seelen ist der Witz äußerst grenzwertig.
Ein letztes Beispiel an „Grenzwertigkeiten“ wäre der allseits bekannte Maler und Aktionist Hermann Nitsch. Sie können sich sogar in Wikipedia ein aktionistisches Appetithäppchen Die Eroberung Jerusalems: Raum 22 Schlachthaus auf der Zunge zergehen lassen. Ich habe einen längeren Auszug des „Werks“ durchgesehen und bin der Meinung, dass hier definitiv eine „rote Linie“ übertreten wurde. Aber das dürfte niemanden ernsthaft stören. Seltsam, nicht? Wird hier am Ende mit zweierlei Maß gemessen? Wie soll sich da ein junger Mensch im „alle Tiere sind gleich, manche sind gleicher“-Dschungel überhaupt noch zurechtfinden? Vielleicht ist aber genau das der Plan der Obrigkeit, nämlich die Masse so lange einzuschüchtern, bis diese still und folgsam die vorgegebenen Themen der Hass-Tagesschau nachgeifert.
Und gibt es bei alledem nicht ein großes Paradoxon? Darf man in Zukunft „zu Gewalt aufrufen“ gegen jemanden, der „zu Gewalt aufgerufen“ hat? Darf man in Zukunft „Hass predigen“, gegen jemanden, der „Hass predigte“? Darf man in Zukunft einen Menschen „verachten“, weil er „menschenverachtend“ denkt? Und falls es schlussendlich nicht gelingt, den „Rassismus“ aus den Köpfen zu vertreiben, müssen diese dann abgeschlagen werden? Gut möglich, dass ein freundlicher Mob, der sich Toleranz2.0 auf die wehenden Fahnen geschrieben hat, die blutige Aufgabe übernimmt. Sie werden es nicht glauben, aber solche „Säuberungen“ kommen immer wieder in der Menschheitsgeschichte vor. Deshalb gilt: Wer sich mit der Historie beschäftigt ist klar im Vorteil.
Falls Sie nun fragen, wie man in Zukunft mit alledem umgehen soll, so ist die Antwort leicht: Die christlich-humanistischen Werte entstauben und mit gutem Beispiel vorangehen. Anders gesagt: Stellen Sie sich vor, der 17-jährige Bursche wäre Ihr Sohn. Würden Sie ihn zur Polizei schleifen und aburteilen? Würden Sie ihn auf den Marktplatz anketten, damit die Menge ihn bespucken und beflegeln kann? Ich denke, wir sollten das Gespräch und nicht die Guillotine suchen.