Gedanken zum Halbfinale 2 der Europameisterschaft in Frankreich 2016
DEUTSCHLAND : FRANKREICH 0:2
Wer hätte das gedacht? Der amtierende Weltmeister muss die Koffer packen und Monsieur Griezman darf sich mit Senhor Ronaldo um den Pokal streiten. Das Spiel selbst war, nun ja, ein seltsames. In den ersten Spielminuten erinnerten die Franzosen frappant an die Österreicher in der Begegnung gegen Ungarn. Da wie dort wurde Hals über Kopf das gegnerische Tor gesucht. Wie aufgedreht wirkten die französischen Spieler, während die sonst so abgeklärten Deutschen ein wenig unschlüssig wirkten, da sie nicht wussten, ob das übermotivierte Angriffsfurioso nur ein Strohfeuer darstellte – oder einen Flächenbrand. Nach etwa fünf Minuten war das Feuer erloschen. Die Franzosen bekamen plötzlich Angst vor der eigenen Courage. Mon Dieu, dürften sie erschrocken sein, wir spielen ja gegen den amtierenden Weltmeister, der sogar Italien im Viertelfinale aus dem Turnier kickte. Von da an zogen sich die Franzosen tief in ihre Hälfte zurück und ließen die Deutschen kommen – ein taktisches Konzept, das mehr an Island als die Grande Nation erinnerte und für gewöhnlich nur in die Hose gehen kann. Warum das Defensivkonzept trotzdem aufging, wissen nur die Fußballgötter. Vielleicht hatte auch Recke Schweinsteiger bei alledem – im wahrsten Sinne des Wortes – die Hand im Spiel. Monsieur Griezman verwertete den Elfmeter – Sekunden vor dem Halbzeitpfiff – eiskalt! Eigentlich unvorstellbar, dass er keine Nerven zeigte, bedenkt man, was auf dem Spiel stand.
Die erste Halbzeit war demnach für die Deutschen gelaufen. Dabei hatten sie, wie so oft, mehr vom Spiel. Toni Kroos wird nach dem Abpfiff sagen, sie hätten das beste Spiel im Turnier abgeliefert. Man kann nicht abstreiten, dass der Weltmeister den Ball in den eigenen Reihen halten konnte und den Gegner laufen ließ. Aber Ballbesitz, wie auch Spanien bereits schmerzlich erfahren musste, schießt keine Tore – außerdem ist das nüchterne Tiki-Taka-Ballherumgeschiebe nicht sonderlich schön anzuschauen. Weiters sollte man nicht vergessen, dass eine Mannschaft nur so druckvoll spielen kann, wie es der Gegner zulässt. Frankreich hätte höher verteidigen, hätte mit Gegenpressing den Druck abfedern können – aber dazu bedarf es natürlich das Herz in der Brust, nicht in der Hose. Selten, aber doch, getrauten sich die Franzosen in die gegnerische Hälfte, übten Druck auf den Ballführer aus und stellten die Passwege zu. Siehe da, die Folge war eine deutsche Fehlerkette, die schließlich zum entscheidenden zweiten Treffer führte: Einen Querpass im Strafraum kann der junge Kimmich nicht kontrollieren, der Ball springt ihm einen Meter weit weg; Pogba schnappt sich den Ball, Mustafi – der für den verletzten Boateng ins Spiel gekommen ist – versucht Pogba den Ball abzunehmen, wird aber von ihm schulbuchmäßig verladen, die Flanke kann Neuer weder fangen noch wegfausten, sondern nur ablenken, direkt vor die Füße von Griezman, der den Ball geradewegs ins Tor rollt – Schweinsteigers Versuch, den Schuss zu blocken, kommt um den Tick zu spät – hatte er diese Situation am Ende verpennt?
War die deutsche Mannschaft an diesem Tag die bessere? Non! Wäre sie es gewesen, hätte sie den Sieg davontragen müssen. Der alles entscheidende Faktor war der Umstand, dass die Équip Tricolore einen französischen Müller in Überform auf dem Spielfeld hatte. Während der echte Müller seine Unform auch in diesem Spiel prolongierte und als ›falsche 9‹ den verletzten Stoßstürmer Gomez nicht einmal im Ansatz ersetzen konnte, löste Monsieur Griezman mit seinen beiden Treffern das Ticket fürs Finale. Das Turnier hat gezeigt, dass auch in Zukunft keine Mannschaft auf einen gelernter Stürmer verzichten wird können – Deutschland hat jetzt zwei Jahre Zeit, einen neuen Klose zu finden. Viel Glück bei der Suche.
Da fällt mir ein, dass der italienische Schiedsrichter Nicola Rizzoli auch das Finale der Weltmeisterschaft 2014 gepfiffen hatte. Apropos. Können Sie sich noch erinnern? Torhüter Neuer springt den heranstürmenden Higuain mit angezogenem Knie auf Kopfhöhe an und faustet den Ball weg? In zivilisierten Ländern würde man von Tötungsabsicht, roter Karte und Elfmeter sprechen – aber Rizzoli entscheidet auf ein Foulvergehen von Higuain. Damit hat er den Ausgang des Finales entscheidend beeinflusst. Sogar der Schweizer Ex-Schiedsrichter Urs Meier bekannte im deutschen TV, dass Rizzoli damals falsch lag. Allerhand, diese unrühmliche Aktion vor der Partie gegen Frankreich noch einmal ins Gedächtnis der deutschen Fußballfans zu rufen und so die Saat des Zweifels zu säen.
Nun steht das Finale zwischen Frankreich und Portugal an. Vieles deutet auf einen lauen Stehfußballkick hin. Die letzte Begegnung der Europameisterschaft wird wohl von Einzelaktionen eines Ronaldo bzw. eines Griezman entschieden werden. Vielleicht sollte man am Sonntag ein Nachmittagsschläfchen machen – dann fallen einem nicht bereits Minuten nach Anpfiff die Äuglein zu.