Das war es also, das BuchQuartier 2017. Der Markt der Independent- & Kleinverlage im Wiener MuseumsQuartier ist Geschichte. Samstag und Sonntag gesellte ich mich zu all den kleinen und kleinsten Verlagen mit einem Verkaufstisch in den sogenannten Freiraum, während die Platzhirschen der österreichischen Verlagsszene in der Ovalhalle Aufstellung nehmen durften. Es fühlte sich an, als würde man wieder zur Schule gehen. Dort die lässig coolen Maturanten, die bereits per Du mit der Lehrerschaft sind und da die Erstklässler, die bereits zufrieden sind, wenn sie von den Älteren nicht angepöbelt werden. So mag es auch nicht weiter verwundern, wenn auf der einen Seite der Rubel rollte, auf der anderen der Trubel sich trollte. Das Wortspiel dürfen Sie gerne mit nach Hause nehmen.

Wie dem auch sei, der Samstag war für mich ein glatter Reinfall. Ich hatte demnach 9 Stunden Zeit – von 11 bis 20 Uhr -, darüber zu sinnieren, woran es liegen könnte, dass meine Bücher einzig und allein mit Blicken, nicht mit klingenden Münzen gewürdigt wurden. Der einzige Lichtblick an diesem Tag, wenn man so will, war eine Salzburgerin vom Nachbartisch, die – wie in der Schulklasse – mit dem Stuhl zu mir rückte und über Gott und die Welt tuschelte. Diese gute Frau hat das Herz am rechten Fleck. Beide kamen wir überein, wie sehr sich die Welt da draußen verändert hatte. Freilich nicht zum Guten, aber das versteht sich von selbst. Das System zwingt die Leute förmlich dazu, kälter und distanzierter zu werden. Das so sattsam bekannte goldene Wiener Herz ist tief vergraben und man muss schon ausgesprochenes Glück haben, möchte man auf eine Goldader stoßen. Seit die Bit und Byte Technologie Einzug in unser Leben genommen hat – ich bin übrigens mit Videospiel und Homecomputer aufgewachsen, gehöre somit der ersten Generation der Computerkids an – nimmt unser Alltag kafkaeske Züge an. Möchten wir eine verlässliche Auskunft, werden wir von künstlich intelligenten Mitarbeiter-Apps ins Leo geschickt oder mit einem indischen Call-Center verbunden. Rationalisierung, Einsparung und Privatisierung sind die Schlagworte jener Kaufleute, die weder Gewissen noch Seele haben. Der Rest – wir alle zusammen – müssen im Gleichschritt mitmarschieren, wollen wir erfolgreich sein oder geraten unter die Räder. Das ist eigentlich das Perfide an diesem System, dass es uns nicht mit vorgehaltener Pistole in die Knie zwingt. Es lässt uns die Wahl, die freilich keine ist. Am Ende werden auch die ehrlichsten Menschen zu Lügnern, werden die ehrbarsten Leute zu skrupellosen Dieben, werden die Gläubigsten zu Atheisten. Wie das alles ausgehen mag, will man sich nicht recht vorstellen. Jeder, der mit offenen Augen durch die globalisierte Welt geht und noch nicht völlig abgestumpft ist, spürt die Veränderung. Es ist das Inhumane, das Un-menschliche, in das der Mensch nun geworfen wird. Die Vergangenheit war mit Sicherheit kein Zuckerschlecken, aber der Mensch blieb Mensch – im Guten wie im Schlechten. Die Zukunft der künstlich intelligenten Welt wird das Humane degradieren, verachten und schließlich ächten, bis das Menschliche im Menschen nur noch eine vage Erinnerung ist. Dahinter steckt Kalkül. Das ist meine Meinung. Ein System fällt nicht vom Himmel. Um es durchzusetzen, braucht es jenen Menschenschlag, der bereit ist, über Leichen zu gehen. Davon dürfte es, wie wir wissen, genügend geben. Leichen wie Leute.
Und so raufte ich mir an diesem kalten Samstag stundenlang meine Haare und versank dabei in eine fatalistische Geisteshaltung, die seltsamerweise meinen inneren Blick schärfte. Ich erkannte mit einem Schlage die immense und wohl unüberbrückbare Kluft zwischen Erfolg und Misserfolg. Der Erfolgreiche badet in der Wonne des Augenblicks, während der Erfolglose auf dem Trockenen sitzt und jeder Fata Morgana verzweifelt nacheilt. Der eine kann den anderen nicht verstehen, ja, es sind zwei völlig unterschiedliche Wahrnehmungen von ein und derselben Welt. Während sich der eine in einer lauen Sommernacht glaubt, müht sich der andere in einem imaginären Wintersturm.
Gottlob warf ich die Flinte nicht ins Korn und meine Bücher auf die Müllhalde der Enttäuschten. Ich krempelte meine Ärmel hoch und sagte mir: Jetzt erst recht! Für den Sonntag ordnete ich den Tisch neu, strukturierte die Bücher klarer und übersichtlicher, legte endlich das für gute Stimmung sorgende Rotkäppchen aus – dank der amüsanten Illustrationen von GE. – und ersann einen kurzen Anbahnungstext, der im Einklang mit einem aufs Papiersackerl gekritzelten Angebot stand:
Buch + Schokov + persönliche Widmung = 20,-
Ein besseres Angebot gab (und gibt) es wohl nirgendwo – aber ausschlaggebend für’s Kaufinteresse war es scheinbar nicht. So merkte ich – wieder einmal – dass es für unbekannte Autoren und Verleger vor allem darauf ankommt, als Verkäufer eine Wirkung zu erzielen, einen gewissen Eindruck zu machen. Kurz und gut, wenn die Wellenlänge zwischen dem Autorverleger und dem potenziellen Leser die gleiche ist, wenn es sozusagen zwischen den beiden funkt, dann ist alles möglich. Und so war es auch mit diesem äußerst sympathischen und völlig entspannten Ehepaar, das an meinem Tisch kam und wir ins Gespräch. Herrliche Plauderei. Einblicke. Ausblicke. Es rührte mir das Herz als die beiden schließlich – beinahe ungesehen und ungelesen – mir ein paar Bücher abnahmen und eine Widmung verlangten. Von da an war ich von diesem guten Omen förmlich beseelt und ging die Sache nun aktiver als noch am Vortag an. Der Erfolg, wie es schön heißt, stellte sich dann auch tatsächlich ein. Jetzt ärgere ich mich, dass ich den Samstag wohl viel zu früh aufgegeben, sozusagen abgeschrieben und eine passiv fatalistische Haltung eingeschlagen habe. Aber wäre der sonntägliche Messeverkauf ebenfalls ein Schlag ins Gesicht gewesen, wer weiß, was ich heute getippt und gedacht hätte.
Zu guter Letzt seufze ich still in mich hinein, weil ich diesem Tiroler Dirndl, welches noch am Sonntag zu später nachmittäglicher Stunde unvermutet vor meinem Tisch aufkreuzte, keines meiner Bücher aufschwatzen konnte. Freilich, Erik und Rotkäppchen waren bereits allesamt verkauft, aus historischen Romanen machte sie sich nichts und vom Filmklassiker Der dritte Mann hatte sie noch nie gehört. Tja. Was soll man da als Autor machen? Wenn ich es mir so tagträumend schön rede, dann könnte ich mir vorstellen, in einem der kostbaren euphorischen Momente zur Feder zu greifen und ihr ein Buch zu schreiben. Leider habe ich nicht die leiseste Ahnung, wofür sich dieses Dirndl interessieren könnte. Ihre tirolerische Sprachfärbung, hach, klingt noch in meinem verwienerten Ohr und lässt mich förmlich dahinschmelzen wie Schnee am Bergisel im Frühling.
Was ist nun die Moral meines BuchQuartier-Messe-Auftritts anno 2017?
Am Ende zählt der Mensch und die Beziehungen, die er kurz- oder längerfristig eingeht. Die Wellenlänge macht den Unterschied! Glück und damit Erfolg ist ein Vogerl. Wer aktiver ist, ist weniger passiv. Eine fatalistische Haltung – geistig wie körperlich – ist geschäftsschädigend. Und sonst? Möchte ich abklären, ob es nicht auch eine kleine Buchmesse in Innsbruck gibt. Da würde ich vielleicht nicht in Erfolg baden, dafür aber im Tiroler Singsang all der bezaubernden Dirndln. Schöne neue Autorenwelt!
Sag Bescheid, wenn du die Messe in Tirol heimsuchst, dann bilden wir eine Fahrgemeinschaft
Ich lern schon mal jodeln 😉