Morrissey, Der Spiegel und die subtile Manipulation eines Interviews

Britischer Musiker, Verschwörungstheoretiker und Enfant terrible der Medienzunft Morrissey gab dem deutschen Magazin Der Spiegel im November d. J. ein Interview, welches für die Ausgabe 47 (18.11.) unter dem Titel

Morrisseys Weltbild – ‚Die Person, die als Opfer bezeichnet wird, ist lediglich enttäuscht‘

in Druck ging. Mehrere Wochen später, am 11. Dezember, distanzierte sich der Sänger auf facebook von diesem Interview und unterstellte dem Spiegel Verleumdung (›slander‹). Das Management des Magazins wies die Vorwürfe zurück und veröffentlichte den 43 minütigen Audio-Mitschnitt des Interviews.

Ich habe mir das Interview, welches in Englischer Sprache geführt wurde, angehört und mit dem Artikel verglichen. Da ich als Autor gut zwischen den Zeilen lesen kann, sowohl in der deutschen als auch in der englischen Sprache, dachte ich mir, ich halte meine Eindrücke und Überlegungen für meine Leser fest.

Was ist mir also aufgefallen?

Aufmacher des Artikels

Für gewöhnlich werden Überschrift und Teaser (Aufmacher) eines Artikels von der Redaktion, nicht vom Journalisten, verfasst. Hier ist eindeutig der Versuch zu erkennen, Morrissey in einem negativen Licht zu präsentieren und ihm gleich zu Beginn des Artikels zu unterstellen, er hätte nicht mehr alle Sinne beisammen (›Im Ernst?‹). Hier der Teaser im gesamten Wortlaut:

Morrissey lobpreist das Brexit-Referendum, verteidigt Kevin Spacey und Harvey Weinstein und bezeichnet Berlin als „Vergewaltigungshauptstadt“ – wegen der offenen Grenzen. Im Ernst?

Das ist journalistisch unseriös und manipulativ. Der Sänger versuchte seine – in den Augen der Kulturmarxisten fragwürdigen – Standpunkte in einem offenen Gespräch darzulegen und zur Diskussion zu stellen. Doch für die Redaktion des Magazins ist eine Diskussion nicht erwünscht. Der Leser wird gleich zu Beginn des Artikels in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt. Da sich der Text hinter einer Paywall versteckt und nur die ersten Fragen gratis abrufbar sind, ist davon auszugehen, dass das Interview nur von einer Minderheit gelesen wurde. Kulturmarxistische Agitatoren haben deshalb leichtes Spiel mit gutgläubigen Medienkonsumenten, die nicht wahrhaben wollen, dass auch ein seriöses Magazin wie Der Spiegel die freie Meinungsäußerung untergräbt und den äußerst wichtigen gesellschaftlichen Diskurs verhindert.

Stimmung und Ton des Interviews

Das Gespräch fand in Los Angeles statt, wo Morrissey sein neues Album mit einem Konzert präsentieren wollte. Der freien Journalistin Juliane Liebert wurde das Interview kurzfristig angeboten und nach Rücksprache mit dem deutschen Magazin wurde es angenommen. Ich gehe davon aus, dass die Journalistin vom Morrissey-Management deshalb ausgewählt wurde, weil sie gegenüber dem Sänger als loyal eingeschätzt wurde. Hört man sich den Audio-Mitschnitt an, könnte man meinen, die Journalistin flirtet mit ihrem Interviewpartner. Die gute und vor allem gelöste Stimmung, die bei diesem Gespräch vorherrschte, ist in keiner Weise im Artikel erwähnt. Im Gegenteil. Man hat das Gefühl, das Interview wäre eine äußerst nüchterne Angelegenheit gewesen. Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, dass Frau Liebert auf Morrissey bewusst angesetzt wurde, um einen Weg zu finden, seine Glaubwürdigkeit (credibility) zu untergraben. In Fachkreisen nennt man diese Aktion honey trap. Und vielleicht ist alles auch nur Show.

Die Ära des Kulturmarxismus

Im Artikel fehlt der Hinweis, dass vorab vereinbart wurde, keine politischen Fragen zu stellen. Obwohl Morrissey längst wissen müsste, dass es in der Ära des politisch korrekten Kulturmarxismus eine nicht ungefährliche Angelegenheit ist, gegen den Strom zu schwimmen, antwortete er trotzdem auf die eine oder andere recht delikate Frage. Ich gehe davon aus, dass sich der Sänger während des Interviews sehr wohl fühlte und glauben wollte, dass Frau Liebert auf seiner Seite stand. An einer Stelle im Interview distanzierte sich beispielsweise Frau Liebert von ›jenen Journalisten‹, die nur Negatives über den Sänger zu berichten hätten, da sie zwar seine Musik gut fänden, aber seine politische Anschauung ablehnten.

Medienkritik? Da kommt Trump gerade recht

Morrissey, der mit (britischen) Zeitungen bereits schlechte Erfahrungen gemacht hatte, geht im Interview sehr schonungslos mit den Medien ins Gericht. Die Redaktion des deutschen Magazins hat Morrisseys ausufernde Medienkritik auf das Phänomen Trump abgewälzt. Interessanterweise machte die Journalistin diesen ungewöhnlichen gedanklichen Spagat und man könnte meinen, sie hätte sich das vorher zurechtgelegt. Die Redaktion ging dann so weit, eine Frage im Text aufzunehmen, die so nicht gestellt wurde: ›Das klingt nach Trumps Fake News, aber Sie haben sich gerade bei einem Konzert gegen Trump ausgesprochen?‹ Ist es nicht erstaunlich, mit welchen Tricks die Medienkonzerne arbeiten, um die vielen Leichen, die sie im Keller haben, einfach anderen Sündenböcken unterzuschieben und diese dann mit lautem Geschrei an den Schlagzeilen-Pranger zu stellen?

Im Übrigen halte ich Morrisseys Sichtweise gegenüber Trump und dem Wahlkampf für ausgesprochen oberflächlich. So erwähnt er den Umstand, dass Bernie Sanders weniger mediale Aufmerksamkeit als Trump erhielt, vergisst aber hinzuzufügen, dass die Partei der Demokraten alles tat, um Hillary Clinton zur Kandidatur zu verhelfen – auf Kosten des populären Senators. Weiters sollte Morrissey längst wissen, dass Los Angeles und Kalifornien Hochburgen der Demokraten sind. Es mag also nicht verwundern, wenn gerade dort der Sieg des republikanischen Kandidaten Niedergeschlagenheit und Trübsal auslöst. Repräsentativ für das restliche Amerika ist diese persönliche Erfahrung freilich nicht.

Quälgeist oder Ungeziefer?

Bei der Übersetzung des Wortes ›pest‹ wage ich zu behaupten, dass die Redaktion mit Absicht daneben griff. So verglich Morrissey Trump mit einem lästigen Kleinkind, das alles angreifen möchte und dem man deshalb auf die Finger klopfen müsste (im Audiomitschnitt ist diese Schauspielerei zu hören). Der Sänger zeichnet das Bild eines Quälgeistes, einer Nervensäge, einer Plage. Zu schreiben, Trump wäre in den Augen von Morrissey ›Ungeziefer‹ ist nicht haltbar, es sei denn, man würde dem eloquenten Briten unterstellen, dass er nervige Kleinkinder für Ungeziefer hielte. Mit diesem vermeintlichen Übersetzungsfehler hat die Redaktion jedenfalls zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen. Auch daran mag man erkennen, wie subtile Manipulation funktioniert.

Eine moralische Frage

Auf dem Audio-Mitschnitt ist zu hören, dass die Journalistin ankündigt, nun eine moralische Frage zu stellen (›a moral question‹) und führt aus: ›Wenn hier ein Knopf wäre, und wenn Sie draufdrückten, Trump tot umfiele – würden Sie drücken oder nicht?‹. Im Artikel selbst wurde jedoch vergessen, zu erwähnen, dass es sich hier um eine moralische Frage handeln würde. Moralische Fragen sind kein Abbild der Wirklichkeit, sie sind vielmehr gedankliche Experimente, die helfen sollen, unsere moralische Tiefe auszuloten. Eine klassische moralische Frage ist beispielsweise: »Wenn Sie in der Zeit zurückreisen könnten und Sie die Möglichkeit hätten, den jungen xxx (bitte hier den Namen eines Despoten einsetzen) zu töten, würden Sie es tun?« – Sie daraufhin als Psychopath hinzustellen, der vor Mord nicht zurückschrecken würde – so Sie diese Option gewählt hätten – ist perfide und unseriös.

Spacey oder Savile?

Hat Morrissey die unmoralischen Praktiken eines Kevin Spacey oder Harvey Weinstein verdeitigt? »Man muss diese Dinge in die richtigen Relationen setzen«, sagte er gleich zu Beginn seiner ausschweifenden Antwort. Damit ist eigentlich alles gesagt. Nur jene, die jegliches gesunde Maß aus den Augen verloren haben, glauben sich als moralische Richter aufspielen zu können. Wir kennen weder die Umstände noch die Fakten und oftmals steht Aussage gegen Aussage. Bedeutet es, dass ich oder Morrissey damit Vergewaltigung und sexuelle Nötigung herunterspielen wollen? Nope. Ist es nicht erstaunlich, dass man sich heutzutage in Interviews und Gesprächen explizit gegen Pädophilie und Vergewaltigung aussprechen muss, weil man sonst in Verdacht gerät, diese gutzuheißen? Während die Medienmeute auf Kevin Spacey einprügelt, verhält sie sich äußerst zurückhaltend, wenn es darum geht, beispielsweise der Organisation eines Marc Dutroux oder dem Netzwerk eines Jimmy Savile nachzuspüren, die bis in die höchsten politischen Ämter reich(t)en.

Vergewaltigung oder sexueller Übergriff?

Was hat es mit Morresseys Aussage, Berlin sei »Vergewaltigungshauptstadt« (capital of rape) auf sich? Meiner Meinung nach spielt hier die sprachliche Komponente eine wesentliche Rolle, will man Morrissey (und andere) verstehen. Das englische Wort rape wird im Deutschen gemeinhin als Vergewaltigung übersetzt, ein Begriff, der dem Leser ein starkes, sehr spezifisches Bild über Tat, Täter und Opfer vor Augen führt (siehe eine filmische Umsetzung in Angeklagt). Mit diesen Bildern im Kopf kann man die Aussage über eine ›Vergewaltigungshauptstadt‹ nur kopfschüttelnd zurückweisen. Ich würde deshalb im allgemein gehaltenen kontextlosen Gebrauch des Wortes rape dazu tendieren, dieses als ›sexueller Übergriff‹ zu übersetzen. Morrisseys Einwurf lautet demnach, dass Berlin Hauptstadt der sexuellen Übergriffe ist.

Statistiken?

Ist sie es? Wollen wir darauf eine faktische Antwort, bräuchte es aussagekräftige Statistiken. Aber da wir nur jener Statistik trauen dürfen, die wir selbst gefälscht haben, können wir davon ausgehen, dass wir niemals erfahren werden, wie hoch die tatsächlichen sexuellen Übergriffe gegenüber Frauen und Kindern in Berlin und anderen europäischen Städten (siehe diesbezüglich das mediale Diskussionsverbot in Schweden) sind. Die Dunkelziffer ist hier besonders hoch, da Scham und Ausgrenzung der Opfer eine zentrale Rolle spielen. Das Thema ist leider deshalb so heikel, weil es von rechten Strömungen missbräuchlich benutzt wird, um die Einwanderungs- bzw. Flüchtlingspolitik in aller Schärfe zu kritisieren. Aber wie bereits Huxley einmal sagte, verschwinden Fakten nicht deshalb, in dem man sie einfach ignoriert. Genau das ist es aber, was Politiker, Medien und gutgesinnte Menschenfreunde in diesem Falle machen. Sie tun so, als würde alles im grünen Bereich liegen, verweigern jegliche Diskussion und halten auch die kleinste Kritik für rechtes Gedankengut. Auf diese Weise köcheln Argwohn und Misstrauen im Stillen. Wie das einmal ausgehen mag, will man sich besser nicht vorstellen. Morrissey getraut sich mit dieser in den Raum gestellten Behauptung ein wichtiges Thema anzusprechen. Berlin als Hauptstadt der sexuellen Übergriffe zu sehen ist für ihn nur die Einleitung für die Frage nach der europäischen Identität in der nahen und fernen Zukunft.

Identität Europas

So greift Morrissey zuguterletzt ein Thema auf, dass die linksliberalen Medien wie der Teufel das Weihwasser scheuen, nämlich die Frage, ob die kulturell-gesellschaftlichen Identität europäischer Länder schützenswert ist. Frau Liebert entgegnete – ganz im Zeichen einer konditionierten Kaderjournalistin – dass die Vereinigten Staaten durch Zu- und Einwanderung entstanden ist. Dass sich diese Migration nicht gerade vorteilhaft auf die Kultur, Sprache und Entwicklung der indigenen Völker ausgewirkt hat, sollte sich eigentlich schon herumgesprochen haben. Frau Liebert dürfte jedenfalls die Politkommissäre stolz gemacht haben, empfindet sie ihr Deutsch sein als Unglück. Und so musste ausgerechnet ein Brite einer Deutschen erklären, dass sie sich dafür nicht zu schämen brauche, sondern vielmehr stolz sein dürfe. Morrissey konnte freilich nicht ahnen, dass das Wort Stolz in Verbindung mit Deutschland hierzulande bereits ein orwellsches Gedankenverbrechen (thought crime) darstellt und man sich damit den Hass der Inneren Parteifunktionäre in den Redaktionsstuben zuziehen würde.

Was ist nun die Moral dieser Geschichte?

Und ich empfehle allen meinen Freunden, dass sie / Aufhören sollen, Nachrichten zu gucken! / Die sind nur gemacht, um euch Angst einzujagen / damit ihr euch klein und einsam fühlt /  damit du das Gefühl bekommst, dass du deinem eigenen Verstand nicht mehr trauen kannst.

And I recommend to all my friendns that they / Stop watching the news! / Because the news contrives to frighten you / To make you feel small and alone / To make you feel your mind isn’t your own.

Spent The Day In Bed (2017)
Morrissey

 

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