Heute mit Lektorin EJ. fünf Stunden im Café Griensteidl gesessen und über Tiret und das Manuskript zu Die Entführung des Fräulein Madeleine geplaudert. Angenehmst. Abgesehen von der Einführung, also dem ersten Kapitel, das Längen hat, ist der Zug/Drive außerordentlich rasant – um vor dem finalen Showdown noch einmal inne zu halten und danach den Schwenk zum nächsten Band zu machen.
Auch wenn das Ende des dritten Bandes schon recht heftig ist, konnte die gute EJ. auch lachen. Erfreulich. Die französische Revolution ist in den Hintergrund getreten, was nicht in erster Linie beabsichtigt war, aber in keiner Weise stört. Im Ganzen gesehen – wenn man alle vier Bände betrachtet – bekommt man ein Gefühl, wie sich die Revolution von einem luftigen Gedankenspiel zu einem blutigen Gemetzel formt. Ohne es bewusst konzipiert zu haben, entwickelte sich ein „elementarer Bogen“:
Tiret = Luft: der erste Band ist luftig, nicht greifbar, nicht fassbar. Oft hörte ich die Kritik, dass man als Leser nicht wüsste, wohin sich die Geschichte entwickelt. Alles und nichts schien möglich. Das Leichte, das Oberflächliche, das Gespräch behielt die Oberhand. Aktion? Nur in der Nacherzählung (Duport). Gewalt? Nur als Andeutung (Kutsche und die Leichen). Realität? Nur als Appetithäppchen (Grondel, Verletzung Duports).
Tiret² = Wasser: der zweite Band ist ein Kriminalstück und einigermaßen umrissen, aber nichts ist, wie es scheint. Obwohl nun die Welt und die Geschichte greifbarer, fassbarer sind, fließt dem Leser am Ende alles wieder durch die Finger. Was ist Wahrheit? Was Fiktion? Opfer und Täter werden benannt. Eine Verschwörung aufgelöst. Und doch fällt das Konstrukt der Wahrheit in sich zusammen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Tiret³ = Erde: der dritte Band ist klar umrissen, einem Schachspiel nicht unähnlich. Zwei Eröffnungen. Drei Geschichten. Die Wege der verschiedenen Charaktere schneiden sich, interagieren und treffen am Ende zusammen. Die Realität hält Einzug in Tiret. Jede Aktion hat unweigerlich eine Konsequenz zur Folge, die wiederum ein andere Aktion auslöst. Es wird schmutzig, derb, brutal. Trotzdem darf gelacht werden. Der blutige Höhepunkt wird aus mehreren Blickwinkeln in Szene gesetzt und soll einen Vorgeschmack auf den vierten Band liefern. Chronologisch folgt der zweite Band.
Tiret4 = Feuer: der vierte Band schließt den Kreis. Unerbittlich. Und doch mit einem amüsanten Augenzwinkern. 13 und eine halbe Leiche wird man am Ende schließlich zählen. Dazwischen und danach werden viele Stufen geklettert, viele Schmerzen genommen und liebgewonnene Charaktere verabschiedet. Eine heftige Feuerprobe, die schlussendlich dann doch versöhnlich stimmt. Mit der letzten Einstellung darf, ja muss auf den ersten Band Bezug genommen werden.