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WM2014: Resümee der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien – Teil 2

Spielplan der WM 2014
Mein zerwurschtelter Spielplan

Zweiter und letzter Teil meines Resümees über die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien, die vor wenigen Tagen endete und bereits eine gefühlte Ewigkeit zurückliegt. Im Gedächtnis sind nur noch vage, zusammenhanglose Bilder vorhanden. Erinnerungsfetzen, die zwischen Faktischem und Gefühltem pendeln, dominieren in späterer Folge die Diskussionen rund um diese eine Weltmeisterschaft, als Deutschland drauf und dran war, den Fußball zu dominieren und Brasilien drauf und dran war, eine lächerliche Fußnote zu werden. Dieses Turnier lebte anfänglich von den Überraschungen – positiven wie negativen – aber nach den Achtelfinalspielen war Schluss mit lustig und die üblichen Verdächtigen setzten sich wieder einmal durch. Nichts Neues unter der Fußballsonne, wenn man so will. Leider. Als neutraler Beobachter bin ich immer auf der Suche nach einem Stück Geschichte, das ich miterleben darf und das für eine Weile im kollektiven Gedächtnis seine Runden dreht. Ja, ich wünschte mir – wie so viele andere – das Besondere, das Außergewöhnliche. Zugegeben, davon gab es reichlich, bei dieser WM, aber der letzte Pass, wenn man so will, der kam freilich nicht an. Schad drum.

Für mehrere Wochen war wieder einmal großes Kino auf kleinen Bildschirmen angesagt. Seltsam, wie man in dieses Ereignis hineingezogen wird und sich darin gemütlich einrichtet. Man hatte seinen Spielplan immer griffbereit bei der Hand, trug Ergebnisse ein, kritzelte mögliche KO-Gegner an die Seite und freute sich auf das nächste Spiel, das garantiert in die Fußballgeschichte eingehen würde. Glaubte man. Glaubte ich. Diese Hoffnung ließ mich auch ein 3-Uhr-früh-Spiel verfolgen – mit müden Augen. Überhaupt, diese Mitternachtsspiele, die einem viel Substanz kosteten und trotzdem bäumte man sich (auf der Couch bereits gefährlich dösend) auf – oder ließ das Geschehen im Halbschlaf vorüberziehen. Oftmals war der Schlusspfiff nicht nur für die Spieler und Trainer eine Erlösung. Hier und heute, ja, da denkt man bereits mit verklärten Augen zurück, an diese Abende, als alles für ein Fußballfest angerichtet war. Man freute sich, gemeinsam, mit vielen Hunderten von Millionen Menschen auf das Kommende. Der nüchterne Alltag, das lästige Problem, die dunkle Zukunft, all das wurde für ein paar Stunden vergessen. Schöne, heile Fußballwelt.

 

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Kommen wir zu den Überraschungsmannschaften der Weltmeisterschaft 2014:

Chile Mir gefielen die Südamerikaner bereits 2010 und ich ging damals davon aus, dass sie 2014 einen Sprung nach vorne machen würden. Und das taten sie auch. In einem „Finalspiel“ – für Spanien ging es um alles oder nichts – schickten sie den damals amtierenden Welt- und Europameister nach Hause. Das war eine herausragende Leistung. Im Achtelfinalspiel gegen Brasilien spielten sie über eine Stunde lang gut mit, aber danach ließen wohl die Kräfte nach. Zwar konnten die Chilenen das Unentschieden bis zum Ende der Verlängerung halten, aber im Elfmeterschießen verloren sie dann die Nerven und das Spiel. Schade. Rückblickend betrachtet ist es ein Rätsel, warum sich Chile nicht gegen Brasilien durchsetzen konnte. War es einzig Neymar, der den brasilianischen Laden zusammenhielt? Waren die Chilenen eingeschüchtert? Ich hätte es ihnen gerne vergönnt, den Aufstieg ins Viertelfinale, aber ich glaubte zu bemerken, dass sie (noch) nicht die Klasse und Kondition hatten, um ganz vorne mitzuspielen.

Kolumbien  Die sympathischen Kolumbianer fielen durch einen erfrischenden Kombinationsfußball auf und spielten sich in die Herzen der Fans. Den Ausfalls ihres Superstars Falcao konnten sie überraschend gut wegstecken. Maßgeblichen Anteil am Erfolg der kolumbianischen Mannschaft hatte der junge James Rodriguez, der mit sechs Treffern Torschützenkönig des Turniers wurde. Sein Treffer gegen Uruguay (mit der Brust angenommen und volley abgezogen) gehört mit Sicherheit zu den schönsten dieser WM. Im Gegensatz zu Chile oder Costa Rica hatten sie eine Gruppe mit leichteren Gegnern erwischt. Auch der Achtelfinalgegner Uruguay schien keine ernsthafte Hürde darzustellen. Doch im Viertelfinale kam es mit Brasilien zum südamerikanischen Schlager, der weniger mit spielerischen Höhepunkten glänzte als mit Härteeinlagen auf beiden Seiten. Leidtragende waren in beiden Fällen die Spielmacher Rodriguez und Neymar, die ordentlich abgeklopft wurden. Trauriger Höhepunkt dieser unfairen Taktik war das rücksichtslose Tackling gegen Neymar, der mit einer Rückenverletzung vom Feld getragen werden musste. Ob die Brasilianer nur ernteten, was sie in der ersten Halbzeit säten, ist ein strittiger Punkt. Die Begegnung war von Beginn an zerfahren und keine Mannschaft wollte die andere ins Spiel kommen lassen – Brasilien würde ich hier nicht die Alleinschuld geben. Stimmt es, was man so hört, dann sollen südamerikanische Spiele generell härter und rauer geführt werden. Vielleicht hätte der Schiedsrichter gleich von Anfang an rigoroser gegen kleine Mätzchen und taktische Fouls vorgehen müssen. Tja. Wie so oft bei dieser WM, war es der Unparteiische, der die Partie und damit die Spieler nie in den Griff bekam. Wie dem auch sei, die kolumbianische Mannschaft machte einen guten Eindruck und es wäre interessant gewesen, wie sie sich gegen einen starken europäischen Kontrahenten geschlagen hätte. Gegen die beiden Betonmischmaschinen Griechenland (3:0) und Uruguay (2:0) fand Kolumbien jedenfalls ein überzeugendes Mittel. Respekt.

Algerien Für mich die mit Abstand größte positive Überraschung des Turniers. Weil die Mannschaft gegen den späteren Weltmeister Deutschland eine beeindruckende Show ablieferte und nur knapp mit 2:1 verlor. Diszipliniert, technisch und spielerisch sehr stark, körperlich äußerst robust, lauffreudig und bereit, den Extra-Meter zu gehen, brachten sie die Löw-Truppe an den Rand einer Niederlage. Dass es nicht reichte, ist einerseits Teamtorhüter Manuel Neuer zu verdanken, der eine grandiose (aber riskante) Partie spielte, andererseits die mangelnde Kaltblütigkeit der Algerier vor dem gegnerischen Tor. Erst in der Verlängerung, als Kräfte und Konzentration merklich nachließen, mussten die Nordafrikaner die beiden Treffer hinnehmen. Die souveränste Leistung eines Teams in einer Halbzeit gelang im Spiel gegen Südkorea. Wie die Algerier die Asiaten unter Druck setzten und dabei drei Tore erzielten, muss man einfach gesehen haben. Trainer Vahid Halilhodzic zählt für mich zu einem der besten Trainer dieser WM. Mal schauen ob er seine gute Leistung auf türkischer Klubebene mit Trabzonspor bestätigen kann.

Costa Rica Wer hätte noch vor der WM gedacht, dass der Außenseiter der „Todesgruppe“ mit Italien, Uruguay und England auch nur den Funken einer Chance hätte? Niemand! An ihrer soliden Defensive (nur 2 Gegentreffer in fünf Spielen) mit dem überragenden (Neo-Real Madrid) Torhüter Keylor Navas zerbrachen nicht nur Italien, Uruguay, Italien und Griechenland, sondern auch die Niederlande, die sich nach einer Nullnummer erst im Elfmeterschießen durchsetzen konnten. Apropos. Der holländische Trainer van Gaal wechselte für das Elfmeterschießen den Ersatztorhüter Tim Krul ein, der dann tatsächlich zwei Elfmeter parieren konnte. Dass dieser die Elfmeterschützen Costa Ricas mit kleinen Mätzchen aus der Fassung zu bringen versuchte, trübt in meinen Augen das Bild des niederländischen Sieges. Hatte das der amtierende Vize-Weltmeister wirklich notwendig? Oder war die Angst vor Costa Rica, die im Achtelfinale gegen Griechenland alle fünf Elfmeter staubtrocken verwandelten, dermaßen groß? Wie dem auch sei, die Niederlande waren das bessere Team, sie hatten mehrere Stangenschüsse und ließen so manchen Sitzer sträflich aus. Costa Rica wurde im Viertelfinale die Grenzen aufgezeigt. Aber das Beispiel Costa Rica zeigt, zu welchen Leistungen ein Underdog fähig ist. Ja, für viele war das kleine Land das Salz in der WM-Suppe. Köstlich!

USA Ei, Trainer Klinsmann hat aus durchschnittlichen und in Europa unbekannten Spielern eine formidable Fußballmannschaft geformt, die es bis ins Achtelfinale schafften und dort gegen Belgien eines der denkwürdigsten Spiele ablieferten. US-Torhüter Tim Howard hatte in dieser Begegnung mehr Bälle zu halten als jeder andere Torhüter in einem Achtelfinale, ever! Es ist bewundernswert, dass die US-Mannschaft gerade gegen Belgien, dem Geheimfavorit der WM, eine offensive Spielweise an den Tag legen wollte. Ein Schlagabtausch hätte es wohl werden sollen, aber dazu waren die US-Boys nicht spielstark genug. Der Versuch der US-Mannschaft sich gegen die rollenden Angriffe der Belgier zu stemmen, war großes Kino! Muss man gesehen haben. An Dramatik war das Spiel kaum zu überbieten. Auch wenn die Klinsmann/Herzog-Truppe unterlegen war, so hatte sie doch den (glücklichen) Sieg auf dem Fuß. Schade, schade. Mir gefällt diese so unbekümmerte Spielfreude der US-Amerikaner – ja, sie haben das Fußballerherz am rechten Fleck und auch wenn sie (noch) nicht die spielerischen Qualitäten haben, ihr Bereitschaft, alles zu geben, ist überzeugend. Es wird meiner Meinung nicht mehr lange dauern, bis eine effiziente und schlagkräftige US-Fußballtruppe jeder Mannschaft aus Europa oder Südamerika die Stirn bieten kann.

Spanien Tja. Wer hätte gedacht, dass der Welt- und Europameister bereits in der Gruppenphase ausscheiden würde? Das erste Spiel gegen die Niederlande war eine Hinrichtung, die keinen Zweifel ließ, dass die glorreiche Zeit des vernationalten Barca-Ensembles vorbei war. Die spanischen Spieler wirkten müde und unkonzentriert – vielleicht war es der kräfteraubende Liga-Dreikampf zwischen Barcelona, Real Madrid und Athletico Madrid, der bis zum letzten Spiel andauerte. Dass Trainer-Urgestein Del Bosque auf Athletico-Stürmer Diego Costa setzte, der ein Fremdkörper in der Mannschaft war, konnte bereits als Zeichen gewertet werden, dass er dem althergebrachten Spielsystem nicht mehr vertraute. Dass er im Tor auf Legende Iker Casillas setzte, der in der abgelaufenen Saison bei seinem Verein Real Madrid nicht mehr die erste Wahl war, darf als  eine noble, wenngleich riskante Geste gewertet werden. Die Patzer, die sich Casillas im ersten Spiel leistete, passten freilich zum schwachen Auftritt der ganzen Mannschaft. Die spanischen Funktionäre werden – wohl oder übel – die goldene Generation verabschieden und eine neue Nationalmannschaft auf die Füße stellen müssen. Am Spielermaterial sollte es nicht scheitern. Die spanische Vormachtstellung im Weltfußball ist jedenfalls mal dahin.

Frankreich Der fulminante Auftaktsieg – ohne den zu Hause gebliebenen Ribbery – gegen die Schweiz (5:2) kam überraschend – erfreute aber Fans und Analytiker. Schon glaubte man, dass die Franzosen endlich zu ihrer alten Stärke zurückfinden würden. Aber im angekündigten Achtelfinal-„Schlager“ gegen Deutschland zeigte sich, dass die Mannschaft von Trainer Deschamps noch nicht die Qualität und das Gefüge besitzt, um Weltspitze zu sein. Doch man sollte nicht gar zu kritisch mit den Franzosen sein, ist doch die gezeigte Leistung eine löbliche Steigerung gegenüber der blamablen Vorstellung während der letzten Weltmeisterschaft. Ich denke, die Grande Nation ist auf dem besten Wege.

Italien Mamma mia! Italien ist am Sand. Zwar konnte die Squadra Azzurra ihr Auftaktspiel gegen eine schwache englische Mannschaft gewinnen, aber dann war Schluss. Gegen Außenseiter Costa Rica 0:1 verloren. Das Schicksalsspiel gegen Uruguay – mit Beißer Suarez – ebenfalls mit 0:1 verloren. Finito. Heimreise. Nach 2010 bereits das zweite Aus in einer WM-Gruppenphase. Unverständlich. Weil es nicht an der Qualität der Spieler liegen kann, die in Top-Clubs auf höchstem Niveau ihre Brötchen verdienen. Sieht man sich die drei Spiele der italienischen Nationalmannschaft an, so fehlt den Spielern eindeutig das Feuer, die Leidenschaft, sicherlich auch Mut und Selbstvertrauen. So war der „gezähmte Widerspenstige“ Balotelli nur noch ein Schatten seiner einstigen Durchschlagskraft. Während sich die Franzosen in dieser WM aus dem Sumpf ziehen konnten, stecken die Italiener mehr denn je drin. Quo vadis, Italien?

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Meine Elf der WM 2014

Keylor Navas (Costa Rica)

 Lahm (D), Mascherano (ARG), Garay (ARG), Blind (NL)

Schweinsteiger (D), James Rodriguez (COL), Müller (D)

Neymar (BRA), Messi (ARG), Robben (NL)

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die dramatischsten Spiele der WM 2014

Griechenland : Elfenbeinküste 2:1

Deutschland : Ghana 2:2

Belgien : USA 2:1 n. V.

Deutschland : Algerien 2:1 n. V.

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die denkwürdigsten Spiele der WM 2014:

Brasilien : Deutschland 7:1

Spanien : Niederlande 1:5

Schweiz : Frankreich 2:5

Südkorea : Algerien 2:4

WM2014: Resümee der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien – Teil 1

WM2014_Gedankliches_1Die Weltmeisterschaft 2014 ist endgültige Geschichte. Wie bereits bei den letzten großen Fußballturnieren – EM 2008, WM 2010 und EM 2012 – versuche ich mich auch diesmal an ein Resümee. Einfach ist es freilich nicht, muss man doch so viele Eindrücke und Überlegungen auf den springenden Punkt bringen. Gesehen, die Fußballspiele, habe ich sie alle. Im Gedächtnis hängen geblieben sind natürlich immer nur Ausschnitte.

Gleich vorweg: Viele Tore in einem Fußballturnier machen es nicht automatisch zu einem guten oder gar „dem besten“. Es gibt Nullnummern, die begeistern, knappe Siege mit nur einem Tor, die dramatischer nicht sein können. Deutschlands Gruppenspiel gegen Portugal (4:0) hat mich nicht sonderlich mitgerissen, während Deutschlands Achtelfinalspiel gegen Algerien (0:0) mich förmlich vom Hocker haute. Und das ist es, um was es mir vor allem geht: Dramatik. Ein Fußballspiel kann uns etwas über Sieg und Niederlage am Rasen und im Leben erzählen, wie man gegen das Schicksal und die Aussichtslosigkeit ankämpft, wie man seinen Mann steht und seine Würde behält oder verliert. Das Spiel, wenn man so will, wird zum Spiegelbild des Lebens. Kein Wunder also, dass sportliche Wettkämpfe die zivilisierte Menschheit seit jeher in den Bann gezogen haben und weiterhin ziehen werden. Fein, fein. Da bei Großereignissen viel Ehr, aber noch mehr Geld im Spiel ist, liegt es auf der Hand, dass Korruption und Manipulation nie gänzlich ausgeschlossen werden können, aber das ist eine andere Geschichte, die ich hier nicht erzählen möchte.

Die deutsche Mannschaft unter Trainer Joachim Löw ist Fußballweltmeister 2014. Ist Deutschland verdient Weltmeister geworden? Ja, ich denke schon. Die Gründe für den Erfolg sind gar nicht so sehr in den WM-Spielen selbst zu finden, als  vielmehr in der nun Früchte tragenden Nachwuchsarbeit, die um 2000 generalstabsmäßig in Deutschland implementiert wurde. Wenn man weiß, welche Meister die Deutschen beim Organisieren sind, könnte den anderen großen Fußballverbänden bald schwarz-rot-gold vor Augen werden. Ein Blick auf die Talente, die dieses System nun beinahe monatlich anspült, ist beachtlich und die deutschen Vereine, die bei den Fans groß angeschrieben sind, zeigen eins ums andere, wie man schlagkräftige Teams aus jungen talentierten Spielern macht. Bestes Beispiel dafür ist sicherlich der BVB Dortmund, der in der Saison 2010/11 überraschend mit jungen und unbekannten Spielern den Meistertitel holte. Neben der Nachwuchsarbeit ist es wohl der europäische Spitzenverein Bayern München, der maßgeblich am Erfolg der Nationalmannschaft beteiligt ist, sind doch sieben Bayern-Spieler im Kader der Nationalelf: Neuer, Boateng, Lahm, Schweinsteiger, Kroos, Götze, Müller. Podolski und Klose sind Ex-Bayern-Spieler. Es ist deshalb kein Wunder, dass die deutsche Nationalelf während der WM so gut harmonierte und etwaige Tiefschläge gut wegsteckte. Weiters konnten sich die Bayern-Spiele seit April auf die Weltmeisterschaft vorbereiten, da bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der Verein als Meister feststand. Im Gegensatz dazu mussten die Spieler von Barcelona und Real Madrid bis zur letzten Minute in Meisterschaft bzw. Championsleague an ihre Grenzen gehen. Das mag auch der Grund sein, warum ein Lionel Messi, Christiano Ronaldo oder die spanische Mittelfeldachse mit Xavi, Alonso, Iniesta müde und ausgelaugt wirkten, während die Bayern-Spieler, wie Robben, Müller oder Lahm, unglaubliche Laufleistungen an den Tag und auf den Rasen legten.

Ob Deutschland wegen oder trotz Joachim Löw den Weltmeistertitel holen konnte, ist für mich nicht eindeutig zu beantworten. Fakt ist, dass er vor allem dann goldrichtig die Formation umstellte, wenn er durch äußere Ereignisse dazu gezwungen wurde. Für mich steht außer Frage, dass es die Bayern-Spieler waren, die maßgeblichen Anteil am Erfolg hatten. Real Madrid Spieler Özil (müde) und der Schalker Höwedes (überfordert), die beide auf der linken Seite eingesetzt wurden, fanden nie wirklich ins Spiel – vielleicht ließ man sie auch nicht mitspielen. In jeder Sandkiste gibt es bekanntlich eine Hackordnung – und es ist der Trainer, der dies einigermaßen auszugleichen hat („Toni, jetzt gib doch dem Mesut auch mal das Schauferl!“). Ob Löw dafür die Autorität besitzt, wage ich zu bezweifeln. Eher sieht es für mich aus, dass er von den Ereignissen mitgerissen wird und er nur vorgibt, was sich längst abgezeichnet hat. Andererseits, der Erfolg gibt jedem Trainer recht und es werden die nächsten Herausforderungen zeigen, ob er diesen gewachsen ist.

Argentinien Anfänglich hat mich die argentinische Elf verärgert, weil sie unansehnliche Spiele ablieferte und es vorrangig Lionel Messi war, der durch Einzelaktionen die Entscheidung in den jeweiligen Gruppenspielen und im Achtelfinale herbeiführte. Aber das Halbfinale gegen die Niederlande und das Finale besänftigten mich dann doch wieder, weil man merkte, dass sie sich steigerten und – vor allem im Defensivbereich – Herz zeigten. Auch darf man nicht vergessen, dass alle Gegner Beton anrührten und versuchten, Messi aus dem Spiel zu nehmen. So gesehen war das Finale wohl das einzige Spiel der argentinischen Nationalmannschaft mit einem offensiv eingestellten Gegner. Es hätte nicht viel gefehlt und Argentinien wäre Weltmeister geworden – aber Higuain, Messi und Palacio ließen jeweils einen Sitzer aus. Und hätte der Schiedsrichter Neuers Sprungattacke gegen Higuain nicht mit Ausschluss und Elfmeter ahnden müssen? Darüber herrscht in Fachkreisen, wie so oft, Uneinigkeit – je nach dem, ob man Argentinien oder Deutschland als Weltmeister haben wollte. Man fragt sich auch, wie Argentinien gespielt hätte, wären die Offensivkräfte – und vor allem Messi – fit und in Form gewesen. Ich weiß, eine müßige Frage. Wie dem auch sei, man muss dem Team für die Leistung Respekt zollen.

Niederlande Als die Niederländer vor vier Jahren, im WM-Finale gegen Spanien, das Fußballspiel zu einem Kampfsport erhoben, war ich ziemlich säuerlich auf die Oranjes zu sprechen. Aber es war nicht nur das Finalspiel, sondern vor allem die Art und Weise, wie sich die niederländische Elf in das Endspiel förmlich schummelte. Bei dieser WM, Gott sei’s gedankt, versuchte sie wieder Fußball zu spielen – auch wenn mir die Taktik von van Gaal nicht sonderlich gefiel: Beton anrühren, warten und hoffen, dass Robben (oder van Persie oder Sneijder) ein Tor macht. Holländischer Offensivfußball war gestern, Effizienz und Risikolosigkeit ist heute. Robben gehört unbestritten zu den herausragendsten Spielern des Turniers. Würde er auch noch die Schwalbentänze und dieses theatralische Gehabe nach einem Foul sein lassen, er würde zu den Größten zählen. Die holländische Nationalelf wird sich bald mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie es in Zukunft nach Robben, van Persie und Sneijder weitergehen wird. Der Nachwuchs wird im Land freilich gehegt und gepflegt – aber der Pool, aus dem gefischt werden kann, ist nun mal nicht groß – und wie hoch sind die Chancen einen neuen Cruyff, Bergkamp, van Basten, Kluivert, Robben oder van Persie zu finden? Eben.

Brasilien Ach du Schande. Die Mannschaft von Trainer Scolari ist eines der größten Mysterien dieser Weltmeisterschaft. Die Demütigung vor eigenem Publikum, das erste Mal gegen Deutschland (7:1), das zweite Mal gegen die Niederlande (3:0), ist nicht zu begreifen. Zuvor schaltete die Elf mit Chile und Kolumbien zwei der spielstärksten Mannschaften aus, rangen in der Gruppenphase Kroatien (zugegeben, nur mit Schiedsrichterhilfe) nieder und hätte gegen Mexiko beinahe gewonnen. Jenes Mexiko, welches im Achtelfinale  der Niederlande größte Schwierigkeiten bereitete. Ist das Implodieren der Seleção im Halbfinale und im kleinen Finale nur mit dem Ausfall von Neymar zu erklären? War Neymar dieser eine wichtige Schlussstein, der – unter Spannung und Last – eine Konstruktion zusammenhält? Ließen sich Chile und Kolumbien zu sehr vom Rundherum blenden? Waren sie zu eingeschüchtert, um ihr Spiel zu spielen? Gewiss, im Viertelfinale legten die Brasilianer eine härtere Gangart ein und versuchten auf diese Weise das Kombinationsspiel der Kolumbianer zu zerstören. Aber reicht das alleine aus, um zu gewinnen, bei einer Weltmeisterschaft? Die Zertrümmerung der Brasilianer durch die deutsche Elf hat diese Weltmeisterschaft ad absurdum geführt. Es scheint, als könnte eine, pardon, Wirtshausmannschaft mit einem Superstar wie Neymar bis ins Halbfinale einer Weltmeisterschaft vordringen. Wie kann das sein? Vielleicht ist die Antwort einfach jene, dass Fußball zu aller erst im Kopf entschieden wird. So lange die Spieler der Seleção an ihre „Unverwundbarkeit“ glaubten, konnten sie die anderen täuschen und Spiele für sich entscheiden. Aber als sich dieser Glaube mit dem Ausfall von Neymar und dem zweiten schnellen Gegentreffer der Deutschen in Luft auflöste, gab es nichts mehr, was sie retten hätte können. Kurz und gut, Trainer Scolari hatte versagt. Er hätte den (richtigen) Spielern nicht nur den Glauben vermitteln sollen, sondern auch ein geeignetes Spielkonzept. Wie es beispielsweise Fred oder Jô in die Formation schafften, bleibt ein Rätsel. Genauso die Weigerung von Scolari, die beiden brasilianische Spieler des spanischen Meisters Athletico Madrid einzuladen (Miranda, Filipe). Jetzt, mit neuem Trainer, braucht es einen radikalen Neuanfang. Wir dürfen gespannt sein, wie sich in naher Zukunft die neue Seleção präsentieren wird.

Fortsetzung folgt …

 

Was wäre wenn?

Mit ein wenig Phantasie könnte man sich eine Weltmeisterschaft vor Augen führen, die wirklich und wahrhaftig sensationell gewesen wäre. Natürlich ist diese Auswahl rein subjektiv und jeder ist eingeladen, seine eigene Traum-WM in Gedanken zu skizzieren:

Schweiz : Ecuador (2:1) Beim Stand von 1:1 verstolpert Ecuador nicht die große Konterchance, sondern nutzt diese eiskalt aus. Resultat: Ecuador, nicht die Schweiz, steigt ins Achtelfinale auf.

Griechenland : Elfenbeinküste (2:1) In der letzten Minute, beim Stand von 1:1, getraut sich der Schiedsrichter keinen Elfmeter für Griechenland zu geben. Resultat: Elfenbeinküste, nicht Griechenland, steigt ins Achtelfinale auf.

Achtelfinale Brasilien : Chile (1:1  3:2 n. E.) Der Schuss des chilenen Pinillas in der 120. Minute geht nicht an die Latte, sondern ins Tor! Resultat: Chile, nicht Brasilien, steigt ins Viertelfinale auf.

Achtelfinale Niederlande : Mexiko (2:1) Der Schiedsrichter pfeift nicht Elfmeter für die Niederlande, sondern lässt weiterspielen. Resultat: Verlängerung mit einem unwahrscheinlichen, aber möglichen Sieg Mexikos und dem damit verbundenen Aufstieg ins Viertelfinale.

Achtelfinale Deutschland : Algerien (2:1 n. V.) Der algerische Stürmer Slimani lässt in der 9. Minute Torhüter Neuer durch einen angetäuschten Schuss ins Leere fahren. Resultat: Führungstreffer für Algerien, ein für längere Zeit verunsicherter Neuer und der Aufstieg Algeriens ins Viertelfinale. Man stelle sich vor, eine euphorisches Algerien trifft auf Rivale Frankreich. Dieses französische Derby würde die Grande Nation in einen Ausnahmezustand versetzen. Großes Kino!

Achtelfinale Belgien : USA (2:1 n. V.) Der amerikanische Stürmer Wondolowski schießt nicht der letzten Minute der regulären Spielzeit alleinstehend den Ball übers, sondern ins Tor. Resultat: Die USA, nicht Belgien, steigen ins Viertelfinale auf.

Finale Deutschland : Argentinien (1:0 n. V.) Torhüter Neuer wird nach der Sprungattacke gegen Higuain ausgeschlossen und Messi verwandelt den für das Foul ausgesprochenen Elfmeter in der abgeklärt kaltschnäuzigen Manier Zidanes. Resultat: Argentinien wird Weltmeister, Neuer der Buhmann der deutschen Nation und Messi der Liebling der Massen.

WM2014: Tag#25 Finale Deutschland : Argentinien

Weltmeister der Fußball WM 2014: Deutschland

Deutschland : Argentinien 1:0 n. V.

Na, das letzte Spiel dieser WM hatte es wahrlich in sich. Spannend bis zum Abwinken respektive Abpfiff. Man muss beiden Mannschaften zu ihrer Einstellung gratulieren. Deutschland, gleich vorweg, hat die überzeugendste Mannschaftsleistung aller Turnierteilnehmer geboten und ist deshalb für mich ein verdienter Weltmeister. Aber es hätte auch anders kommen können, im gestrigen Finalspiel. Ein fürchterlicher Rückpass von Kroos wird zu einer Maßflanke für Higuain, der plötzlich alleine vor Torhüter Neuer auftaucht. Nach 21 Minuten hätte Argentinien in Führung gehen müssen – aber Higuain, der seiner Form seit dem ersten Spiel hinterherläuft, trifft nicht mal das Tor. Als er dann doch ins Tor traf, stand er im Abseits. Sein Ersatzmann Palacio machte es in der Verlängerung auch nicht besser, als er eine gute Einschussmöglichkeit kläglich vergab. Und Messi? Auch er hatte den Führungstreffer am Fuß und man kann davon ausgehen, dass er das Tor gemacht hätte, wäre er in Form gewesen. Einzig Lavezzi überzeugte mich mit starken Antritten und forschem Pressing – warum ihn Trainer Sabella nach der Halbzeit gegen den rekonvaleszenten Agüero ersetzte, bleibt eines der Rätsel dieses Finalspiels und kostete vielleicht sogar dem argentinischen Team den Weltmeistertitel. Für mich steht fest, dass ein Lavezzi viel mehr Unruhe und damit Unsicherheit in die deutsche Hintermannschaft gebracht hätte. Wie dem auch sei, an diesem Tag, man muss es sagen, scheiterte Argentinien an ihren formschwachen Offensivkräften. Der Ausfall des in den Vorrunden so gut aufspielenden Di Maria schmerzt deshalb doppelt und dreifach.

Das deutsche Team hätte übrigens ein weiteres Mal mit ihrer Geheimwaffe – Standardsituationen – den Weg zum Sieg ebnen können, aber Höwedes traf nach einem Eckball nur die Stange. Apropos. Höwedes hatte Glück, dass der italienische Schiedsrichter Rizzoli sein derb-brutales Grätschfoul nur mit gelb ahndete. Über rot hätte sich keiner beschweren dürfen. Ja, und dann, in der 57. Minute wurde einem wieder bewusst, wie nah spielerisches Genie und brutaler Wahnsinn bei Torhüter Neuer zusammenfallen: um einen durchbrechenden Higuain vom Ball zu trennen, springt er mit angezogenem Knie seitlich gegen den Mann und streift dabei mit seinem Knie den Kopf von Higuain. Meine Güte. Diese Aktion erinnerte frappant an die WM 1982, als der deutsche Teamtorhüter Harald ‚Toni‘ Schumachers mit einer ungestümen Sprungattacke den Franzosen Battiston von den Beinen holte. Battiston, der dabei zwei Zähne verlor, musste bewusstlos vom Feld getragen werden. Dass der Schiedsrichter aber auf ein Stürmerfoul von Higuain entschied, ist völlig unverständlich – schließlich war er es, der den Ball führte und Neuer, der ihn förmlich angesprungen ist. Da sich das Ganze im Strafraum ereignete, wäre eine rote Karte für Neuer und ein Elfmeter für Argentinien nicht falsch gewesen. Kurz und gut: die Deutschen hatten gestern das Glück an ihrer Seite – oder war es schlicht und einfach das Glück des (spielerisch) Tüchtigen?

Ja, tüchtig war es, das deutsche Team, das von der ersten Minute an frech und mutig drauf los spielte, obwohl Löw den beim Aufwärmen verletzten Khedira vorgeben und durch den noch jungen und unerfahrenen Kramer ersetzen musste. Interessant, dass Löw bereits nach einer halben Stunde gezwungen war, den offensiveren Schürrle für Kramer zu bringen, da dieser nach einem Zusammenstoß sichtlich benommen war. Wurde somit Löw ein weiteres Mal – nach Mustafi – zu seinem goldenen Händchen gezwungen? Einen Begleitservice für Messi, der nur selten in Erscheinung trat, gab es nicht. Das Spiel avancierte zu einem fröhlichen Hin und Her – die größeren Spielanteile hatten natürlich die Deutschen, die versuchten, im Mittelfeld die Kontrolle zu übernehmen und ihr Offensivspiel vor dem gegnerischen Strafraum zu zünden. Trainer Löw perfektionierte für die deutsche Nationalmannschaft die Taktik Bayerns unter Gardiola, der ein vertikales Tiki-Taka forciert und bei Ballverlust ein geordnetes Pressing in der gegnerischen Hälfte verlangt. Die Verteidigungslinie steht deshalb sehr hoch und verlangt äußerste Konzentration von allen Beteiligten. Wie man im Spiel gegen Algerien gesehen hat, läuft man bei dieser Taktik Gefahr, mit Bällen, die hinter die Verteidiger gespielt werden, ins offene Messer zu laufen. Vor Nachahmung wird deshalb gewarnt (ich kann mich an ein Spiel der österreichischen Nationalmannschaft erinnern, viele Jahre muss es jetzt her sein, wo eine hohe Verteidigungslinie versucht wurde und grässlich endete). Am besten funktioniert diese offensive Ausrichtung natürlich dann, wenn der Gegner „aufmachen“, also offensiver werden muss. Die sich dadurch ergebenden Räume können spiel- und laufstarke sowie intelligente und disziplinierte Spieler tödlich ausnutzen – gut zu sehen beim Gruppenspiel der Deutschen gegen Portugal (4:0) und beim Halbfinalspiel der Deutschen gegen Brasilien (7:1).

Der Siegestreffer im gestrigen Finale fiel schließlich in der 113. Minute! Flanke von Schürrle auf Götze, der den Ball mit der Brust annimmt und aus spitzem Winkel mit seinem schwachen linken Fuß ins lange Eck einschießt. Respekt. Eigentlich hatte ich Götze ja schon als formschwach abgestempelt, aber wie man sieht, darf man keinen Spieler der deutschen Nationalmannschaft gänzlich abschreiben (mit Ausnahme vielleicht von Özil – andererseits reichte seine in diesem Turnier wohl nur durchschnittliche Leistung allemal). Thomas Müller, die personifizierte Torgefahr, fand gestern kaum Chancen vor – zu gut war das argentinische Bollwerk rund um Mascherano eingestellt. Wenn man die Leistung des deutschen Teams veranschaulichen möchte, dann reicht ein Blick auf Schweinsteiger, der 122 Minuten lang rackerte und rackerte und rackerte. Fast schien es, als würde er den Ausfall von Khedira alleine Wett machen und für zwei spielen wollen. Beeindruckende kämpferische, aber auch spielerische Leistung! Applaus. Vorhang.

WM2014: Tag #24 Kleines Finale Brasilien : Niederlande

Brasilien : Niederlande 0:3

Schlapperlot. Ist es wirklich denkbar, dass ein einziger Spieler den Unterschied ausmacht? Einen eklatanten Unterschied? In den letzten beiden Spielen der brasilianischen Nationalmannschaft fehlte Neymar. Ergebnis: zwei Niederlagen mit einem Gesamtscore von 10:1. Das gibt einem dann doch zu denken. Erinnern wir uns zurück: Gegen die mexikanische Mannschaft erreichte die Seleção in der Gruppenphase zwar nur ein torloses Remis, hatte aber mehr vom Spiel und hätte durchaus gewinnen können. Die Niederlande wiederum, die im Achtelfinale gegen Mexiko ran mussten, wäre beinahe gescheitert. Wie ist es also zu verstehen, dass das gestrige Spiel zwischen Brasilien und Niederlande so einseitig ausfiel? Waren es die psychischen Auswirkungen der 7:1-Schlappe, die das brasilianische Team hemmten? Oder war es am Ende tatsächlich die Absenz von Neymar, ihrem gehypten Superstar, der zum Team-Maskottchen erkoren wurde?

Kommen wir zum Spiel um den dritten Platz. Die Niederlande agierten befreiter, offensiver – vor allem, weil es die nötigen Räume dafür gab – die Brasilianer boten sie ihrem Gegner förmlich an. Es dauerte ganze zwei Minuten, bis Robben in eine Lücke der Verteidigung stoßen und aufs Tor sprinten konnte; Thiago Silva war es, der den enteilenden Robben mit einem leichten Zupfer am Trikot zu Fall bringt – außerhalb des Strafraums, aber Robben fiel in den Strafraum. Der algerische Schiedsrichter war mit dieser Situation überfordert: er entschied auf Elfmeter und zeigte Silva den gelben Karton. Hätte es nicht der rote sein müssen? War es nicht das Schulbeispiel eines Torraubs? Vielleicht versuchte der Schiedsrichter mit zwei Fehlentscheidungen eine richtige Entscheidung treffen: statt eines Freistoßes an der Strafraumgrenze und dem Ausschluss von Silva besser einen Elfmeter pfeifen und eine gelbe Karte geben. Wie dürfen nicht vergessen, dass es sich hier „nur“ um das kleine Finale, einer lästigen Pflicht für beide Mannschaften handelte. Mit dem Führungstreffer im Rücken, spielte es sich für die Niederländer natürlich noch leichter, während die Brasilianer erneut zwischen Verzweiflung und Selbstaufgabe pendelten. Einzig Oscar fand nach einer Weile ein wenig Selbstvertrauen, versuchte es mit Dribblings, mit der einen oder anderen Idee, aber es blieb im Ganzen nur Stückwerk. Die brasilianische Mannschaft war auch an diesem Tag völlig von der Rolle. David Luiz, man möchte es nicht glauben, stolperte sich von einem Fehler zum anderen, ja, legte dann sogar das zweite Tor für die Niederländer mustergültig auf. Unfassbar! Dass in der zweiten Hälfte die Brasilianer mit Härteeinlagen ins Spiel zurückfinden wollten, war an Erbärmlichkeit nicht mehr zu überbieten.

Die Schiedsrichterleistung war, leider, ebenfalls erbärmlich. So hätte in diesem Spiel Brasilien der eine oder andere Elfmeter zugesprochen werden müssen. Stattdessen ahndete der Schiedsrichter eine Schwalbe bzw. ließ nach einem Handspiel im Strafraum weiterspielen. Andererseits hätten zu diesem Zeitpunkt wohl nur noch 9 Brasilianer auf dem Feld stehen dürfen. Tja. Vielleicht hat sich ja am Ende alles wieder ausgeglichen, wer weiß, wer weiß. Die brasilianische Nationalmannschaft, so viel steht jedenfalls fest, ist ein Scherbenhaufen. Trainer Scolari hat auf die falschen Pferde gesetzt, hat hoch gepokert und ist tief gefallen. Trainer van Gaal hat vorgezeigt, wie man aus einer durchschnittlichen Mannschaft, mit einem Superstar in Bestform, das Maximum herausholt – vorausgesetzt, es verlässt einen nicht das Glück und die Schwalben.

Der klare Sieg der Niederländer über die Brasilianer zeigt, dass der Kantersieg der Deutschen so gut wie keine Aussagekraft besitzt. Weil, wäre es bei dem gestrigen Spiel um den Einzug ins Finale gegangen, hätten die Holländer mit Sicherheit diese desolate brasilianische Mannschaft aus dem Stadion geschossen. Dabei dürfte diese brasilianische Mannschaft noch die stärkere gewesen sein – war doch Thiago Silva wieder in der Mannschaft und wechselte Scolari die formschwachen Spieler aus. Bedenken wir weiters, dass Robben im Spiel gegen Argentinien ein einziges Mal in den Strafraum sprinten konnte – das war gegen Ende der regulären Spielzeit. Im Vergleich dazu brauchte es gestern nur zwei Minuten. Daran kann man schon erkennen, mit welchem Defensiv-Wasser die Argentinier gewaschen sind.

Jetzt warten wir mal aufs Finale …

WM2014: Gedanken zum kleinen und großen Finale

Heute Abend steigt die entnervte brasilianische Nationalmannschaft ein letztes Mal in den Ring. Ihr Gegner ist ein enttäuschtes niederländisches Team, das sich für die knappe Niederlage im Halbfinale mit einem dritten Platz entschädigen möchte. Vielleicht. Aber das große Fragezeichen sind die Brasilianer selbst – seien es die Spieler auf dem Rasen, seien es die Fans auf den Rängen. Wie werden die Spieler nach der desaströsen 7:1-Schlappe auftreten? Werden sie zu Hause ein fürchterliches Auswärtsmatch bestreiten müssen? Ausgebuht und ausgepfiffen von ihren eigenen Landsleuten, die sie noch vor einer Woche in den Himmel gejubelt und als kommenden Weltmeister gefeiert haben? Ja, so schnell kann es gehen, im Fußball. Ähnliches könnte den Löw-Mannen widerfahren, wenn sie – recht unwahrscheinlich – einen so gut wie sicher scheinenden Weltmeistertitel im letzten Spiel aus der Hand geben.

Aber wie hoch sind nun die Chancen Deutschlands auf einen Sieg im Finale gegen Argentinien wirklich? Sieht man sich die letzten Ergebnisse beider Mannschaften an, dann dürften die Löw-Mannen klar im Vorteil sein. Das Juwel des deutschen Teams ist das Mittelfeld mit Schweinsteiger, Khedira, Kroos und Müller – ein Besseres wird man gegenwärtig nicht finden und es erinnert bereits an die „gute“ alte Zeit, als Xavi, Iniesta und Alonso alle Gegner (und Zuschauer) mit Tiki-Taka zermürbten und die spanische Nationalmannschaft beinahe im Alleingang zum Welt- und Europameistertitel spielten. Und im Tor der Deutschen, gibt es da nicht noch einen Neuer, der in entscheidenden Momenten goldrichtig steht und die Nerven hat, Risiko zu gehen? Seine Abwehrleistungen, innerhalb und außerhalb des Strafraums, sind beachtlich. Und dann gäbe es da noch Routinier und Strafraumknipser Klose, der immer wieder für ein Tor gut ist. Er spielt unspektakulär, aber effektiv und kommt er von der Bank ist er sofort konzentriert und fokussiert. Jeder Trainer würde sich solch einen Stürmer wünschen. Über den Ausnahmespieler Lahm, einem der besten Außenverteidiger auf der rechten Seite, muss man nicht viel Worte verlieren, er kann ein Spiel lesen, weiß, wo er zu stehen, wohin er zu laufen hat und behält bei wichtigen Tacklings die Nerven. Innenverteidiger Hummels hat gerade gegen Frankreich gezeigt, dass er das Stellungsspiel beherrscht, ansonsten ist er noch nicht ernstlich geprüft worden. Wäre Hummels im Spiel gegen Algerien die bessere Wahl als Mertesacker gewesen? Die Indizien sprechen dafür – trotzdem sollte man nicht vergessen, dass Mertesacker in der englischen Liga seine Brötchen verdient und es da mit pfeilschnellen Stürmern zu tun bekommt. Boateng ist okay, Höwedes zuweilen überfordert und Özil (nicht zentral, sondern mit Höwedes auf der linken Seite) nimmt sich bewusst unbewusst zurück. Energiebündel Schürle kann der Mannschaft nötige Offensivimpulse geben, aber in seiner Chancenverwertung pendelt er zwischen Genie und Wahnsinn. Und Götze, oftmals als Wunderkind gepriesen, nun, er bringt gegenwärtig keinen Fuß auf den Fußballplatz, trotz seines Tores gegen Ghana – das wiederum, passend zu seiner momentanen Form, recht peinlich wirkte.

Die Argentinier können mit dieser individuellen Teamstärke freilich nicht mithalten. Beinahe ist man versucht zu glauben, dass die Argentinier – wie weiland das deutsche Team – als Mannschaft funktioniert, die sich von Spiel zu Spiel steigern kann. Messi dominiert nicht mehr wie früher das argentinische Spiel, jedenfalls nicht für 90 Minuten, aber er strahlt Gefahr aus. Das alleine reicht, um das Angriffsspiel des Gegners zu zügeln. Vergessen wir dabei nicht, dass er Argentinien beinahe im Alleingang ins Halbfinale brachte. Drei Schüsse, ein genialer Pass! Braucht es im gegenwärtigen Fußball tatsächlich nicht mehr, um bis ins Finale einer Weltmeisterschaft vorzustoßen? So einfach ist es freilich nicht. Natürlich braucht es jene „Wasserträger“, die den „Laden“ hinten dicht machen können. Dafür sorgen neben Ex-Bayern-Spieler Demichelis, Garay, Zabaleta und dem junge Rojo vor allem der defensive Mittelfeldregisseur und -rackerer Javier Mascherano von Barcelona. Hätte er im Halbfinalspiel nicht in letzter Sekunde Robben den Ball vom Fuß geholt – es würden wohl die Niederländer im Finale stehen. Eine positive Entdeckung ist Ezequiel Lavezzi – der linke Flügelstürmer, der nur durch die Verletzung von Superstürmer Agüero in die Mannschaft rückte, beeindruckte durch eine ordentliche Defensiv- und Offensivleistung und passt gut in das argentinische Defensivkonzept. Auf der anderen Seite ist ein fitter Agüero – neben Higuain – natürlich Gold wert. Man kann sich gut vorstellen, wie die Offensiv-Achse Agüero – Higuain – Di Maria und Messi jeden Gegner an die Wand spielt – vorausgesetzt, die Spieler sind fit und halbwegs in Form, was bei dieser WM leider nicht der Fall war und ist. Schade, schade. Während Löw keine Ausfälle zu beklagen hat, muss Sabella mit Di Maria einen der besten Offensivakteure vorgeben und kann den rekonvaleszente Agüero nur von der Bank bringen.

Das Spiel gegen Argentinien wird für das deutsche Team jedenfalls ein Geduldsspiel werden. Im Gegensatz zu übermotivierten Brasilianern dürften die Argentinier – wie in den vorangegangenen KO-Spielen – die Pferde im Stall lassen und vorerst nur mal den Mist wegräumen, heißt defensive Drecksarbeit verrichten. Jene Mannschaft, die das erste Tor macht, wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit den Pokal abholen dürfen. Das wissen beide Trainer nur zu gut, somit ist die Marschrichtung vorgegeben: Kontrollierte Offensive der deutschen Mannschaft (immer mit einem Auge auf Messi) und kontrollierte Defensive der argentinischen Mannschaft (immer mit einem Auge auf Messi). Man wird versuchen, dem Gegner keine Räume anzubieten und auf diese Weise versuchen, das gefährliche Kombinationsspiel vor dem eigenen Strafraum zu unterbinden. So lange kein Tor fällt, dürfen wir uns auf eine Wiederholung des Halbfinalspiels zwischen Argentinien und den Niederlanden gefasst machen. Sollte ein frühes Tor fallen, wird die andere Mannschaft an ihrer Spielweise noch nichts ändern und erst in den vielleicht letzten zwanzig Minuten das Spiel offensiver gestalten. Davon gehe ich mal aus.

Ich habe mir übrigens die erste Hälfte des Spiels respektive der Demütigung zwischen Brasilien und Deutschland ein weiteres Mal in aller Ruhe angesehen. Man konnte mit freiem Auge erkennen, dass zwei brasilianische Spieler äußert übermotiviert in das Spiel starteten – zum einen der linke Außenverteidiger von Real Madrid Marcelo und zum anderen der Innenverteidiger von Chelsea David Luiz. Marcelo legte von der 1. Minute eine offensive Spielweise an den Tag. Jeder weiß – auch Trainer Scolari -, dass die Stärke von Marcelo im Agriffsspiel liegt. In Kombination mit dem linken Flügelstürmer Hulk, der träge und defensiv überfordert war, musste ein Ballverlust von Marcelo am gegnerischen Strafraum gravierende Folgen haben. Im Besonderen, wenn der Gegner Deutschland heißt, das im Umschalten von Defensive auf Offensive weltmeisterlich ist. Da weder das defensive Mittelfeld der Brasilianer noch die beiden Innenverteidiger in der Lage waren, die Löcher auf der linken Seite zu stopfen, war ein Torreigen vorprogrammiert. Wie dem auch sei, ich würde das Halbfinalspiel auf rund 30 Minuten zusammenkürzen: Bis zum 2. Treffer in der 23. Minute und dann wieder von der 85. Minute bis zum Abpfiff. Somit wäre das Spiel 2:1 ausgegangen – was dem tatsächlichen Kräfteverhältnis recht nahe kommt. Alles, was in der einen Stunde, zwischen der 24. und 84. Minute passierte, sollte man einfach ausblenden, da die Löw-Truppe in keiner Weise gefordert wurde und sie mehr oder weniger ein Trainingsspiel absolvierte. Interessant ist bei alledem, dass Marcelo in den ersten Minuten tatsächlich gefährlich in den deutschen Strafraum eindringen konnte und nur durch ein perfektes Tackling von Lahm an einen Torschuss oder Pass gehindert werden konnte. Man stelle sich vor, Lahm wäre zu spät gekommen und hätte ein Foul gemacht! Wäre dann Scolaris „alles-oder-nichts“-Taktik aufgegangen? Denn für mich steht außer Frage, dass Scolari das Heil in der Offensive sah und seine Mannschaft anwies, auf dem Feld entsprechend zu agieren. Tja. Wer hätte auch ahnen können, dass die Mannschaft nach gerade einmal 10 Minuten wieder einmal durch eine Standardsituation erfolgreich sein würde? Das ist eigentlich ihre wahre Stärke und, wenn man so will, das Geheimnis ihres Erfolges.

Zurück zum Finalspiel, wo auffällt, dass beide Mannschaften so gut wie nie einen Rückstand aufholen mussten – Ausnahme ist das Gruppenspiel Deutschlands gegen Ghana, als sie etwa 8 Minuten einem Tor nachliefen. Im Gegensatz dazu waren die Niederländer Weltmeister, wenn es darum ging, ein Spiel noch umzudrehen (gegen Spanien, Australien, Mexiko). Auch schon was, nicht?