Rückblicke haben immer etwas melancholisches, beinah trauriges. Die Fußballeuropameisterschaft 2008 ist nun Geschichte, ist nur noch eine Zeile in Statistiken und Auflistungen. Derweil, erinnern wir uns, gab es viele spannende, emotionsgeladene, vielleicht auch öde Momente, bangten und hofften wir, freuten uns oder gingen enttäuscht nach Hause und ins Bett.
Davon wird bald nichts mehr zu spüren sein. Erinnerungen verblassen. Der Alltag deckt uns wieder zu. Freilich, wenn in zwei Jahren die Weltmeisterschaft in Südafrika vor der Türe steht. dann beginnt es wieder von neuem: diese Anspannung, dieses Mitfiebern und die Gewissheit, dass man Zeuge eines besonderen Ereignisses sein wird.
Am schönsten hat ein kurzer Videoclip der UEFA diese einzigartige Stimmung eingefangen. Er wurde gestern im ORF ausgestrahlt, dauerte keine fünf Minuten, und ist überwältigend. Warum? Weil die EM zurück- und in einer sehr konzentrierten Form wieder abgespult wird. Weil wir Trainer und Spieler und Fans sehen, als sie in freudiger Erwartung, in glänzender Hoffnung waren. Die Zukunft war noch nicht geschrieben. Heute kennen wir diese „Zukunft“, wissen wir um die Tragödien und Komödien der EM. Das Musikstück, mit dem der Videoclip unterlegt wurde, ist eine elegische, schicksalsschwangere Hymne, die perfekt zu den Bildern passt. Herrlich. Einfach nur herrlich. Gänsehautfaktor inklusive!
Kommen wir also zum Rückblick.
Zu aller erst geht es um die Österreichische Fußballmannschaft. Immerhin hätte keiner auch nur einen Cent auf sie gesetzt. Nicht nach den äußerst schwachen Leistungen in den Vorbereitungsspielen. Aber sie haben positiv überrascht. Allesamt. Dass ein Elfmeter knapp nach Beginn die ersten Hoffnungen zu nichte machen, dass wiederum ein Elfmeter die letzten Hoffnungen wecken würde, konnte keiner ahnen. Und erst ein Ballack-Freistoß, der „V2“ Eigenheiten aufwies (ja, Wernher von Braun hätte seine Freude daran gehabt) läutete (nein, hämmerte) uns aus den Träumen. Aber wir durften träumen. Die Lieblingsbeschäftigung der österreichischen Seele. Neben dem gemütlichen Verzehr von Alkoholika.
Der Offensivfußball erfreute sich größter Beliebtheit. Nicht nur bei den Fans, sondern auch bei den Trainern und ihren Mannschaften. Nachdem die EM 2004 in Griechenland und die WM 2006 in Deutschland ja nicht gerade für ihren Angriffsfußball bekannt waren, ist diese Entwicklung vielleicht ein wenig überraschend gekommen. Aber sehr, sehr, sehr zu begrüßen! Hoffe, dass es in dieser Tonart weitergeht. Auch auf Vereinsebene.
Es gab wunderbarste Fußballspiele zu sehen, die an Spielfreude oder Dramatik nicht zu überbieten waren. Allen voran natürlich die Niederländer, die Italien und Frankreich regelrecht an die Wand spielten. Allen voran die Russen, die Schweden und die Niederlande regelrecht an die Wand spielten. Und die Spanier spielten sowieso zumeist Katz und Maus mit ihren Gegnern. Die Türken sorgten vier Mal für eine Dramatik der besonderen Art. Beim vierten Mal schlug das Pendel aber den Ball in ihr Tor, statt in jenes, des Gegners. Und genau deshalb, darf man kein Spiel versäumen. Weil, wer das nicht livehaftig gesehen hat, er würde es heute nicht glauben.
Abgedroschene Fußballerregeln feiern fröhliche Urständ:
Dass die Deutschen eine Turniermannschaft seien, die sich mit jedem Spiel steigern können, hörte man im Vorfeld immer wieder. Und es bewahrheitete sich.
Dass ein Fußballspiel 90 Minuten dauert und am Ende die Deutschen gewinnen, soll Gary Lineker gesagt haben. Hätte die Löw-Truppe auch noch das Finale gewonnen, man müsste Gary Lineker mit dem „goldenen Nostradamus“ auszeichnen.
Portugal, um Christiano Ronaldo Superstar, wird gerne als Primaballerina bezeichnet. Das Viertelfinale gegen Deutschland bestätigte es eindrücklichst: „wenn die Gegner so nah stehen, dann kriegen wir Migräne“.
Dass die Österreicher einfach nicht gewinnen können, hat sich leider auch bewahrheitet.
Wo ein Hiddink ist, da wartet zumindest ein Achtel- oder Viertelfinale. Stimmt. Nach Australien und Südkorea, waren es die Russen, die er sogar ins Halbfinale führte. Respekt.
Ein Spiel ist erst dann aus, wenn der Schiedsrichter abpfeift, heißt es. Die Türken haben es auf eine unfassbare Art und Weise bestätigt. Die Deutschen freilich auch (und noch jetzt will man es nicht so recht glauben, dass die Türken in vier aufeinanderfolgenden Spielen ihre Tore in den Schlussminuten machten).
Die Tore, die man nicht schießt, bekommt man! Dieses „ungeschriebene Gesetz“ des Fußballs schmeckt den Wenigsten. Weil damit versucht wird, eine grobe Ungerechtigkeit zu erklären. Am eindrücklichsten sah man es bei Österreicher gegen Polen. Lassen 3 todsichere Chancen aus und kassieren wenig später ein Abseitstor. Oder die Schweizer, die zu dritt auf den türkischen Torhüter laufen, den Ball nicht an diesem vorbeibringen und im Gegenstoß das Tor bekommen und ihre Niederlage besiegeln. Oder die Tschechen, die locker ein drittes Tor hätten machen können. Gegen die Türken. Haben sie aber nicht. Was folgte? Die Strafe auf dem Fuß.
Auffällig: die Sieger aus der Gruppenphase (Portugal, Kroatien, Holland, Spanien), deren Stammspieler sich beim letzten Spiel ausruhen konnten (weil sie schon sicher im Viertelfinale waren und die Trainer natürlich ihre „B-Mannschaft“ spielen ließ), versagten allesamt. Nur Spanien rettete sich durch ein Elfmeterschießen. Scheinbar tut es den Spielern nicht gut, wenn man den Spielrhythmus unterbricht. Vielleicht war es aber auch eine ungesunde Portion Überheblichkeit und Selbstüberschätzung. Die Gruppensieger, die ihre Gegner in der Gruppenphase vollkommen beherrschten, dachten nicht im Traum daran, dass ihnen ein Zweitplatzierter gefährlich werden könnte. Anders gesagt: sie erwarteten sich vom Gegner keine besondere Gegenwehr. Am auffälligsten sah man es, als die Deutschen auf die ersatzgeschwächten „ich stell den dritten torhüter als stürmer auf“-Türken getroffen sind. Die Löw-Truppe, noch völlig berauscht von ihrem Kantersieg gegen die als EM-Favorit geltenden Portugiesen, wusste nicht, wie ihnen geschah: die Türken zeigten sich in keiner Weise eingeschüchtert, ja, mehr noch, sie spielten das Spiel ihres Lebens, während die Deutschen eine mäßige Figur machten.
to be continued …