Schlagwort-Archive: globalisierung

Spekulationen eines aufgeklärten Bürgers #USA #COVID19 #Zukunft

Der gute Kant, der einer Aufklärung den Anstoß gab, schrieb, dass man den Mut haben soll, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Die Betonung liegt auf „Mut“ und nicht so sehr auf den eigenen Verstand, weil Kant voraussetzte, dass es den Menschen nicht an Verstand fehlen dürfte. Heutzutage sieht das natürlich anders aus. Die aufgeklärten Bürger sind von klein auf durch die verschiedenen Bildungseinrichtungen gegangen, haben sich beruflich weiterentwickelt und können auf viele Medienkanäle zurückgreifen, um sich einen Reim auf vergangene und gegenwärtige Ereignisse zu machen. Mit anderen Worten, der gewöhnliche Bürger ist einer steten Beeinflussung ausgesetzt und kann sich gar nicht mehr seines „eigenen“ Verstandes bedienen. Skeptische und kritische Gedanken, die sich gegen die Meinung der Allgemeinheit richten, werden bereits als „gefährlich“ gebrandmarkt oder als „völlig verrückt“ zur Seite geschoben. Hört man sich so um, muss einem angst und bange werden. Der gebildete Mensch ist nur noch ein hohles Gefäß, in das Medien und Propaganda-Einrichtungen ihre Botschaften füllen können und er verwandelt sich auf diese Weise zu einem verlängerten Arm des Establishments.

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BuchQuartier 2017 und ein Gespräch über Gott und die Welt

Das war es also, das BuchQuartier 2017. Der Markt der Independent- & Kleinverlage im Wiener MuseumsQuartier ist Geschichte. Samstag und Sonntag gesellte ich mich zu all den kleinen und kleinsten Verlagen mit einem Verkaufstisch in den sogenannten Freiraum, während die Platzhirschen der österreichischen Verlagsszene in der Ovalhalle Aufstellung nehmen durften. Es fühlte sich an, als würde man wieder zur Schule gehen. Dort die lässig coolen Maturanten, die bereits per Du mit der Lehrerschaft sind und da die Erstklässler, die bereits zufrieden sind, wenn sie von den Älteren nicht angepöbelt werden. So mag es auch nicht weiter verwundern, wenn auf der einen Seite der Rubel rollte, auf der anderen der Trubel sich trollte. Das Wortspiel dürfen Sie gerne mit nach Hause nehmen.

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Was der Frauenfußball über unsere Welt verrät

Frauenfussball

Die Fußballeuropameisterschaft 2017 der Frauen stand und steht ganz im Zeichen der Underdogs. Allen voran das österreichische Team, das als Außenseiter ins Turnier gestartet ist und es – unglaublich, aber wahr – bis ins Halbfinale schaffte. Mann und Frau dürfen sehr stolz auf die Töchter der Nation sein, die sich den 3. Platz mit England teilen. Das Finale bestreiten Dänemark und die Niederlande. Top-Favorit Deutschland – Europameister in Serie – scheiterte bereits überraschend im Achtelfinale an Dänemark. Auch das kommt mal vor.

In der Euphorie dieses kleinen oder großen Fußballwunders habe ich ein wenig über das Balltreten der Damen nachgedacht. In den Spielen der Österreicherinnen gegen Island und Dänemark ist mir die Homogenität der Teams – darf man überhaupt noch Mannschaft sagen? – aufgefallen. Hervorstechend – in jeder Hinsicht – die Dänin Nadja Nadim, deren afghanische Wurzeln nicht zu verleugnen sind. Wäre es nicht verpönt, würde ich mit dem Klischee einer orientalischen Prinzessin aus 1000 und einer Nacht aufwarten. Neben ihrer verspielten Fußballtechnik und den vorhandenen äußeren Reizen dürfte sie auch noch blitzgescheit sein – studiert sie doch Medizin. Ansonsten konnte ich keine Nadims in den Teams ausmachen. Warum eigentlich nicht?

Versuchen wir doch mal den Frauenfußball dazu zu verwenden, die Welt, in der wir gerade leben, zu erklären. Nennen wir es einfach eine fabelhafte Analogie.

Stellen Sie sich vor, gewissen Kreisen ist diese Homogenität in den Nationalmannschaften der Frauen ein Dorn im Auge. Sie wollen mehr Diversität, kulturelle, geschlechtliche und religiöse Vielfalt, auf dem Rasen sehen. Auf die Frage, warum, geben sie viele und auch keine Antworten. Europa, heißt es beispielsweise, müsse lernen, multikultureller und liberaler zu werden, einfach, weil es in der globalisierten und freien Welt nicht anders ginge. Und ehe man und frau sich versieht, werden Regelungen beschlossen, Gesetze verabschiedet und Quoten festgelegt. All das, liest man, geschehe im Zeichen der Humanität und eines grenzenlosen Europas.

Jene, die diesbezüglich ihre guten wie schlechten Einwände oder Anmerkungen haben, werden kurzerhand auf die rechte Außenposition gestellt und damit zum Schweigen gebracht. Eine breite Diskussion findet deshalb de facto nicht statt. Ein Armutszeugnis für jede demokratische Gesellschaft, wenn sie dem Gesetzgeber erlaubt, Rede- und Meinungsfreiheit zu relativieren, um politische Ziele durchzusetzen und abzusichern

Um der Diskussion Anstoß zu geben, könnte man zu folgender Frage greifen: Soll das Augenmerk der Frauenfußballnationalmannschaft in Zukunft auf dem Siegen oder dem Mitspielen liegen? Ist es der olympische Gedanke („Dabeisein ist alles“), der verfolgt werden soll, dann sind Quotenregelungen in Ordnung und vielleicht sogar wünschenswert. Ist es aber die ernsthafte Absicht, Spiele und Turniere zu gewinnen, dann muss diesem Ziel alles andere untergeordnet werden und Quotenregelungen sowie Einschränkungen (!) dürfen nicht zur Anwendung kommen.

Das eine, so würde ich es beschreiben, ist eine natürliche, das andere eine künstliche Erweiterung des Spielerinnenpools. Das eine führt (vermutlich) zu Integration und Verständigung, das andere (vermutlich) zu Gruppenbildung und Misstrauen. Aber was weiß ich schon. Am besten, Sie spielen das eine und das andere Szenario im Kopf durch und machen sich selbst ein Bild. Und dann, dann heißt es: Faites vos jeux, Mesdames et Messieurs. Aber laufen Sie mir ja nicht in die Abseitsfalle!

Übrigens, die Gehaltsschere zwischen Damen- und Herrenfußball ist enorm. So verdient eine niederländischen Spitzenspielerin beim FC Barcelona gerade mal € 200.000,- pro Jahr. Das streichen andere – bei den Männern – in der Woche ein. Ist das gerecht? Sollte hier nicht politisch interveniert werden? Sagen Sie bloß, es gibt gute Gründe, warum der eine um Häuser mehr verdient als die andere, schließlich spielen beide 90 Minuten Fußball und trainieren unter der Woche ihren Muskelkater. Die Zuschauerzahlen? Die TV-Rechte? Die Sponsorgelder? Kruzitürken, warum muss alles immer so kompliziert sein, wenn man sich in Details verliert.

 

Wenn der Manager zum Politiker wird

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Wirtschaft und Politik auf den Punkt gebracht!

In der ZIB2 vom 11.05.2016 wurde der Voestalpine Chef Wolfgang Eder gefragt, ob ein Manager auch Bundeskanzler werden kann. Seine Antwort:

»Von den Grundproblemen her ist es durchaus vergleichbar. Ein großes Unternehmen zu führen, heißt: zu organisieren, heißt: zu führen, heißt: Ziele zu definieren, heißt: Konzepte zur Zielerreichung zu erstellen und genau dasselbe muss mit einem Land, mit einem Staat passieren.«

Ehrlich gesagt, es ist schon zum Haare raufen, dass solch ein Kommentar widerspruchslos im öffentlich-rechtlichen TV hingenommen wird. In Zeiten von TTIP, Polit-Technokraten und Konzerngiganten mag es natürlich auf der Hand liegen, dass die politische Entwicklung weg vom Volkstribun führt und in Richtung Manager auf Zeit geht. All das ist natürlich im Sinne des Establishments, nicht des gewöhnlichen Bürgers.

Sehen Sie, ein Manager führt einen Betrieb, weil er von den Eigentümern dazu bestellt worden ist. Die Eigentümer sind niemals die Arbeiter und Angestellten eines Betriebes (nennen wir es Demokratie), sondern Strohmänner (Vermögensgesellschaften, die Mehrheitsanteile halten), deren Eigentumsverhältnisse einem gordischen Knoten ähneln (nennen wir es Oligarchie).

Ein Unternehmen muss in erster Linie profitabel sein und darf, ja muss sogar auf Kosten von Belegschaft und Konsumenten gehen. Share holder value, nennt sich das dann und bedeutet nichts anderes, dass der Manager schon mal ein paar Leutchen auf die Straße werfen lassen und die Preise (in Absprache mit der Konkurrenz) in die Höhe schrauben kann, wenn die Kennzahlen den Eigentümern nicht gefallen.

Ein Manager geht über Leichen. Dafür wird er bezahlt. Dafür wird er belohnt. Deshalb sehen wir immer mehr Technokraten in politischen Ämtern. Nicht demokratisch gewählt, nein, sondern von »oben« eingesetzt.Siehe Griechenland, das unter einer Last von Einschnitten stöhnt und sich gesundschrumpfen soll. Was das in Wirklichkeit heißt, wird einem nicht gesagt, aber am Ende geht es darum, die nicht-profitablen Teile des Betriebes – also der Gesellschaft – abzustoßen, das heißt, zu entfernen. Mit anderen Worten: Wer nichts zum BiP beiträgt, soll in der Versenkung verschwinden. Die Bilanz hat immer das letzte Wort. Punktum.

Wenn die Chose so weiterläuft, und daran kann niemand mehr ernsthaft zweifeln, dann wird früher oder später auch die Frage aufkommen, ob nicht ein Manager Papst werden könne. Schließlich ist die katholische Kirche ja eine der größten Unternehmungen der Welt.

Dass Manager und Wirtschaft nicht die Lösung, sondern vielmehr das Problem in einer funktionierenden Gesellschaft sind, das getraut sich keiner zu sagen. Moment, es gab mal einen! Sir James Goldsmith, der sich vom raubtierkapitalistischen Saulus zum globalisierungsfeindlichen Paulus wandelte, sprach in einer Rede vor dem US Senat am 15. November 1994 die folgenden prophetischen Worte:

[meine Übersetzung:] »Wir [Unternehmer] haben alles gemacht, was in einem sozialen Sinne falsch war: Wir haben die Menschen vom Land entwurzelt, wir haben sie förmlich aus ihrer Umgebung herausgerissen, wir haben sie in Städte abgeschoben, wir haben ihnen keine Jobs gegeben, dafür Ghettos und das Sub-Proletariat geschaffen; die Verbrechensrate ging genauso hinauf wie die Drogenabhängigkeit, während die Familien auseinanderfielen – und all das in Zeiten einer extremen Hochkonjunktur. Warum? Weil wir nur an wirtschaftlichen Kennzahlen interessiert waren. Wir vergaßen, dass der Zweck von Wirtschaft nicht jener sein sollte, ständig Kennzahlen zu verbessern, sondern der Zweck von Wirtschaft ist vielmehr, den Wohlstand zu erhöhen, sowie soziale Stabilität und gesellschaftliche Zufriedenheit zu gewährleisten. Und [das Freihandelsabkommen] GATT [heute: TTIP] ist ein typisches Wirtschaftsinstrument um die Profite der Unternehmen zu steigern. Das Ergebnis wird die Zerstörung der gesellschaftlichen Stabilität sein, das weitere Auseinanderbrechen der Familien, erhöhte Kriminalität und Verarmung und all die anderen Krankheiten, an denen wir heute leiden.«

Menasse und der feuchte Traum der Elite: die grenzenlose Welt

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Das Establishment dankt

Der Essay in der Beilage der linksalternativ-genossenschaftlich organisierten Berliner Tageszeitung TAZ mit dem Titel Grenzen abschaffen und laufenlassen ist an Naivität und Einfalt nicht mehr zu überbieten. Dass an diesem schlecht recherchierten und äußerst realitätsfremden Machwerk kein geringerer als Robert Menasse mitgewirkt hat, verblüfft und verblüfft auch wieder nicht, weil nun mal jedes Propagandawerk, soll es breite Wirkung erzielen, einen populären Namen vorzuweisen und ins Rennen zu schicken hat.

Der langatmige Artikel liest sich wie der Aufsatz einer 16-jährigen Streberin, die gut behütet im Villenviertel einer europäischen Metropole aufgewachsen ist und nun ein Privatinternat in der Schweiz besucht. Alles klingt so wunderbar, so romantisch, so weltoffen, so „die ganze Welt ist eine Familie“ – und die Fakten werden kurzerhand diesem Wunschbild angepasst. Erschreckend, dass solch ein irreführender Text veröffentlicht werden durfte – scheinbar gibt es in der ganzen TAZ-Redaktion keine Faktenchecker mehr.

„Denn Grenzenlosigkeit gab es in Europa die längste Zeit, vom Mittelalter bis weit ins 19. Jahrhundert hinein.“

Ich frage mich, wie man so einen falschen Satz überhaupt nur andenken kann. Im Brockhaus von 1838 lesen wir beispielsweise unter dem Stichwort Fremde: »Gegenwärtig sind in Folge der politischen Untersuchungen und der vielen in Folge derselben unstät sich herumtreibenden Flüchtlinge in den meisten Staaten die Paßverordnungen (s. Paß) so streng gehandhabt worden, daß dadurch dem Aufenthalte und dem Reisen der Fremden große Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden.«

Natürlich waren die damaligen Grenzen weder exakt definiert noch lückenlos kontrolliert – jeder konnte für gewöhnlich ungehindert „einreisen“ – aber das heißt nicht, dass diese „Grenzenlosigkeit“ auch Reisefreiheit bedeutete. Denn früher oder später wurde der Fremde im Landesinneren nach seiner Legitimation gefragt. Und ob sich ein Fremder für eine geraume Weile oder für immer in der Fremde niederlassen durfte, hat mit Grenze und Grenzkontrollen nichts, aber auch gar nichts zu tun. Vergleichsweise könnte man behaupten, weil ein Privatgrundstück keine Umzäunung (Grenzkontrolle) aufweist, könne man dort sein Auto abstellen.

„Vor 1914 hat man kein Visum gebraucht, um mit der Droschke von Paris nach Moskau zu reisen“

Im Brockhaus von 1838 heißt es unter dem Stichwort Paß: »Im eignen Interesse sollte jeder, der die deutsche Grenze auf kürzere oder längere Zeit überschreitet, sich in den Besitz eines Reisepasses oder mindestens einer Paßkarte setzen. Im Grenzverkehr mit Rußland wird eine 28 Tage gültige Grenzkarte, sogen. Halbpaß, ausgestellt. Besonders streng ist die Paßkontrolle in Rußland, der Türkei und Portugal.«

Und dass Stefan Zweig nicht nur ein berühmter Schriftsteller seiner Zeit war, sondern auch Erbe eines großen Vermögens, haben die Autoren unter den Tisch fallen lassen. Es ist nun einmal so, dass Reichtum und Berühmtheit noch jede Grenze wie von Zauberhand geöffnet hat.

„Man musste [vor 1914] damals auch kein Geld wechseln – die Gulden nicht und nicht die Taler – oder wäre gar ins „europäische Ausland“ gereist, wenn man die Postkutsche von Wien nach Lemberg nahm und zwischendurch in Budapest haltmachte.“

Vielleicht ist den Autoren entgangen, dass Wien, Lemberg und Budapest vor 1918 allesamt zu einem Staatsgebiet gehörten, nämlich dem Kaiser- und Königreich Österreich-Ungarn. Somit waren diese Orte nur Provinzen eines großen staatlichen Wirtschaftsraumes – der mit 1919 natürlich verschwand.

„Das, was wir heute unter einem Pass verstehen, gibt es erst seit dem 21. Oktober 1920.“

Mag sein, dass es den Pass, so wir ihn heute verstehen, erst sei 1920 gibt. Fakt ist aber, dass Pässe, Paßports, Passbriefe, Paßkarten usw. eine gefühlte Ewigkeit in Verwendung waren und die auch nichts anderes gewesen sind, als »ein schriftliches, von der Polizeibehörde ausgestelltes Zeugniß für Reisende, womit dieselben sich an fremden Orten über ihre Person und den unverdächtigen Zweck ihrer Reise legitimiren können«. So steht es im Pierers Universal-Lexikon von 1861. Und diese Definition ist auch der springende Punkt bei alledem: Die Behörden im Zielland des Reisenden müssen sich sicher sein, dass dieser kein Halunke ist, der Böses im Schilde führt. Verzichtet man auf diese Legitimierung, dann sind all den Räubergesellen Tür und Tor geöffnet. Bevor man mir das Wort im Mund umdreht, sei festgehalten, dass ich damit nicht sagen möchte, dass alle Reisende Verbrecher seien, sondern dass es eine Möglichkeit geben muss, die schurkische Spreu vom rechtschaffenen Weizen zu trennen. Aber wer weiß, vielleicht ist diese Unterscheidung für die Autoren bereits diskriminierend.

„Tatsächlich ist im europäischen Diskurs schon früher die Ambition verloren gegangen, die EU als Projekt zu sehen, dessen Gründungsabsicht es war, Europa wieder zu europäisieren und die Nationalstaaten zu überwinden.“

Also, jetzt mal ehrlich, hätten Sie damals für die Aufnahme Österreichs in die EU mit „Ja“ gestimmt, wenn Sie gewusst hätten, dass es die Absicht gibt, Österreich als Nationalstaat „aufzulösen“? Glauben Sie, dass osteuropäischen Staaten, die sich ihre staatliche Souveränität gegen Ottomanen/Türken und Stalinisten blutig erkämpft haben, ihre Grenzen für die Illusion einer 16-jährigen Streberin aufgeben würden?

Sollte diese „Gründungsabsicht“ tatsächlich bestanden haben, so wage ich zu behaupten, dass man diese seinerzeit mit Absicht verheimlicht oder relativiert hatte. Vor Jahrzehnten war es demnach der Elite noch nicht möglich, über die „Überwindung der Nationalstaaten“ offen zu sprechen – heutzutage dürften die europäischen Bürger dafür bereits „reif“ genug sein. Ist es nicht schockierend, mit welcher Chuzpe die Elitisten nun beginnen, die „Festung“ Europa, die in Wirklichkeit aus all den souveränen Staatsburgen bestehen, sturmreif zu schießen, um sie „weltoffener“ zu machen? Weltoffen für wen? „[d]erzeit sind 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht vor Krieg, Hunger und Misere“, geben uns die beiden Autoren die Antwort. Und sollten sich die Bürger dagegen wehren, sich verteidigen, nun, dann kommen wohl dunkle Zeiten auf sie zu – der Sturm einer eingeschlossenen und sich verteidigenden Stadt während des Dreißigjährigen Krieges hat an Gräuel alles zu bieten, was man sich gar nicht erst vorstellen mag. Stichwort: Magdeburgisieren. Im Brockhaus von 1839 lesen wir darüber:

„Der Kampf dauerte dabei noch in den Straßen der unglücklichen Stadt Magdeburg fort, welche drei Tage lang der grauenvollsten Verheerung durch Plünderung, Mord und Brand preisgegeben blieb, wovon der Sieger selbst an den Kaiser Ferdinand meldete: »Seit Trojas und Jerusalems Zerstörung ist keine solche Victoria gesehen worden.« Über 20.000 Einwohner jeden Standes, Alters und Geschlechts kamen dabei in den Flammen und unter allen erdenklichen Mishandlungen um, denen zu entgehen viele Jungfrauen den gemeinsamen Tod in der Elbe suchten; die wilden Soldaten zechten auf Leichenhaufen und nannten das die magdeburgische Hochzeit. Nur den Dom, eine andere Kirche und etwa 130 Häuser am Elbufer hatte der Brand verschont, und erst am vierten Tage wurden die etwa 4000 Menschen, welche sich in den Dom geflüchtet und eingeschlossen hatten, sowie die wenigen außerdem lebendig Gebliebenen ihres Daseins wieder sicher.“

Falls Sie sich also dann und wann mal fragen, wem daran gelegen sein könne, blühende Städte und ertragreiche Länder zu verwüsten und wehrhafte Bürger zu „entmannen“ – es gibt immer eine politisch-revolutionäre Gruppe, die von Befreiung und Gemeinwohl spricht, aber tatsächlich nur die Zerstörung und Vernichtung des Althergebrachten im Sinne hat – weil es dem Neuen und Revolutionären im Wege steht. Siehe diesbezüglich die Ausrottungsbestrebungen in der Vendée während der Französischen Revolution: »Der Befehl sieht vor, das aufständische Land in eine Einöde zu verwandeln: die Wälder abzubrennen, die Häuser in Brand zu setzen, das Vieh wegzutreiben, die Hecken abzuschneiden, die rebellische Region so zu behandeln, wie Ludwig XIV. mit der Pfalz verfahren war. Es handelt sich hier um eine Rhetorik der Ausrottung, die der Grausamkeit der Soldaten freie Hand gab und die einige Monate später zu einer grausigen Ernte organisierter Massaker führen sollte« [entn.: Kritisches Wörterbuch der Französischen Revolution: Die Vendée von Francois Furet, S.269ff, 1996]

„Wie wäre es, wenn Flüchtlinge in Europa Bauland zugewiesen bekämen, benachbart zu den europäischen Städten, aber in einem Abstand, der die Andersartigkeit wahrt.“

Ehrlich, wer kommt auf so eine wahnwitzige Idee? Vielleicht erinnern sich die Autoren nicht mehr, dass sogenannte Enklaven über die Jahrhunderte immer wieder zu großen politischen oder gesellschaftlichen Problemen führten – spätestens dann, wenn die Region ihre Souveränität und damit Loslösung vom Nationalstaat forderte. Siehe Kosovo und Serbien, anno 1999. Natürlich kann man naiv hoffen, dass sich die Menschen hüben wie drüben als Brüder und Schwester in die Arme schließen werden – mit anderen Worten, dass Integration funktioniert. Aber wie wir wissen, gibt es nun mal integrationsunwillige Menschengruppen – sei es aus tief religiösen, sei es aus traditionellen Gründen. Die jüdische Minderheit in Venedig hatte beispielsweise niemals die Absicht, sich zu integrieren, vielmehr nahm sie mit einem ihr zugewiesenen Stadtviertel vorlieb, wo sie nach ihren eigenen Gesetzen und Gebräuchen leben konnte. Aber spätestens dann, wenn jüdische und christliche Bürger in Streit gerieten, musste Recht gesprochen werden, aber nach welchem und in welcher Sprache? Wie solche Streitigkeiten gelöst wurden, kann man beispielsweise bei Shakespeare nachlesen.

„Europa ist groß (und demnächst leer) genug, um ein Dutzend Städte und mehr für Neuankömmlinge aufzubauen.“

Seltsam. So ähnlich hörte es sich an, als all die weltoffenen Revolutionäre über Palästina sprachen. Das Ergebnis kann sich heute sehen lassen: Grenzkontrollen,Straßen-Checkpoints, Ausweispflicht, Grenzmauer, Apartheid und das größte Open-Air-Gefängnis der Welt. Warum Herr Menasse nicht nach Israel reist, um dort für die Abschaffung von Grenzen und die Überwindung des Nationalstaates zu plädieren, entschließt sich mir nicht, geht es doch nur um ein einziges Land, eine einzige Regierung, eine einzige Behörde. Wie schwer kann das schon sein, im Gegensatz zum Vielvölkergemisch Europa?

Der Artikel von Menasse und Guérot kann nur als propagandistische Auftragsarbeit verstanden werden. Und obwohl es sich im Großen wie im Ganzen um ein erbärmliches Machwerk handelt, wird es trotzdem weiteres Öl ins visionäre Feuer der weltoffenen Revolutionäre gießen. Vae victis.