
House of Cards ist eine vom amerikanischen Internet-Streamingdienst Netflix produzierte TV-Serie, die sich um den von Kevin Spacey gespielten Kongress-Abgeordneten Francis Underwood dreht. So authentisch und anders sich die Serie auch anfühlt und so viel Applaus sie auch erhält, am Ende bleibt sie doch ein Kind Hollywoods. Mit anderen Worten, House of Cards badet in Hollywood-Klischees. Grund genug, sich die 11 größten genauer anzusehen.
11) Verschwörungen sind überschaubar
House of Cards und Hollywood vermitteln den Eindruck, dass es Verschwörungen nur im shakespearschen Sinne gibt: Hier ein Caesar, dort ein Brutus, der sich gegen den Mächtigen verschwört, um ihn zu beerben. Über all die Einfädler, Strippenzieher, Hintermänner hüllt man sich – damals wie heute – in gefälliges Schweigen. Der Zuschauer soll im Glauben gelassen werden, dass die blutige Tat eines Brutus oder der Verrat eines Judas nur dem Ehrgeiz bzw. der Gier eines Mannes geschuldet ist. Simple as that. Tatsächlich aber sind Kräfte am Werk, für die Brutus oder Judas nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe sind. Die Männer und Frauen an der Spitze, so mächtig sie für den gutgläubigen Bürger auch scheinen, sind immer ersetzbar, immer austauschbar. Damals wie heute heißt es nicht umsonst: Wer zahlt, schafft an.
Als Francis Underwood das Garagentor schließt und damit seinen ersten Mord begeht, ist der Tiefpunkt der ersten Staffel erreicht. Aus dramaturgischer Sicht ist es vielleicht ein notwendiges Spannungselement, aber die Ernsthaftigkeit bleibt dabei auf der Strecke. Mag es denn tatsächlich vorstellbar sein, dass ein erfahrener Politiker, ein alter Hase wie Underwood, sich zu solch einer Tat hinreißen lässt? Innerhalb weniger Tage hätte man ihn mit diesem Verbrechen konfrontiert respektive erpresst. Er würde sich nie sicher sein können, nicht doch noch erwischt zu werden – vor allem dann, wenn er nicht bereit ist, zu kooperieren. Und ja, das perfekte Verbrechen gibt es nicht.
Ein vorgetäuschter Selbstmord? Klingt nach Hollywood, kommt aber im wahren Leben öfter vor als Sie sich vorstellen wollen. Es gibt Beispiele, in unserer Wirklichkeit, von Leuten, die suicided, sozusagen geselbstmordet, wurden. Bestes Beispiel ist der vermeintliche Selbstmord eines gewissen Roberto ‚Bankier Gottes‘ Calvi, der 1982 nach London flüchtete und drohte, über illegale Machenschaften der italienischen Hausbank des Vatikans erzählen zu wollen. Wenig später baumelte seine Leiche von einer britischen Brücke. Erst durch die Ermittlungen eines Privatdetektivs, beauftragt von der Familie des Ermordeten, wurde der Fall neu aufgerollt. Es brauchte zwanzig Jahre bis ein Londoner Gericht zur Erkenntnis gelangte, dass es sich um einen Auftragsmord handelte. Zwar konnte die Staatsanwaltschaft vier Beteiligte ausforschen, aber die Täter, Hintermänner und Auftraggeber wurden nie gefasst. Siehe Artikel im Guardian.
Einen Mord zu begehen, ist eine Sache. Ihn als Selbstmord darzustellen und die Faktenlage zu verdrehen, eine ganz andere. Es braucht diesbezüglich Einfluss bei der Polizei, dem FBI, bei der Staatsanwaltschaft, beim Justizministerium, bei Lokalpolitikern und bei der Presse. Nur dann ist gewährleistet, dass ein Selbstmord auch einer bleibt.
Dass Underwood gleich zu Beginn der ersten Staffel seinen zweiten Mord begeht, ist dann ja wohl die Spitze der Lächerlichkeit. Zugegeben, es gibt Gerüchte, wonach Lyndon B. Johnson in Morden verwickelt gewesen sein soll. LBJ war ein schlimmer, kaltblütiger Finger und ein äußerst gut vernetzter Machtmensch aus Texas. Vielleicht hat er sogar Gefallen darin gefunden, Menschen Leiden zu sehen, wer weiß. Aber die Verbrechen, so es welche gab, ließ er in seinem „Garten“, in seinem Machtbereich verüben, in Texas. Dass JFK in Dallas sein Ende fand, ist natürlich reiner Zufall.
10) Die Medien sind unabhängig
House of Cards und Hollywood vermitteln den Eindruck, dass Medienkonzerne keine profitorientierten Unternehmen wären, die nur ihren Aktionären bzw. elitären Eigentümern verantwortlich sind. Wahrheit und Gerechtigkeit haben in Medienkonzernen noch nie eine Rolle gespielt – auch wenn PR-Abteilungen und Kinofilme uns vom Gegenteil überzeugen möchten. In der ersten Staffel führen die Drehbuchschreiber die Herausgeberin des (fiktiven) Washington Herald ein: eine ältere Dame, die resolut über Inhalt und Mitarbeiter der Zeitung entscheidet. Man könnte meinen, bei ihr ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Aber auch eine Zeitungsverlegerin muss sich nach der Decke strecken und sie würde niemals die Hand beißen, die sie füttert. Sie ist genauso ein kleines Rädchen im großen Getriebe – auch wenn es so nicht dargestellt wird. Vermutlich dachten die Macher der Serie an die Washington Post Herausgeberin Katherine ‚the Great‘ Graham, die ihren Ehemann 1963 beerbte und ihn um 38 Jahre überleben sollte. Dass sich ihr Ehemann scheiden lassen wollte, möchte ich der Vollständigkeit halber erwähnen. Wenig später verübte er, ja, Sie ahnen es, Selbstmord. Katherine Graham ließ sich übrigens von Henry Kissinger ins Kino ausführen – jener Henry Kissinger, der einmal meinte, dass Macht das ultimative Aphrodisiakum sei.
Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die Medienkonzentration in letzter Zeit ungesunde Ausmaße angenommen hat. Gab es beispielsweise zu Beginn der 1980er Jahre in den USA noch fünfzig TV-Anstalten, die sich den Markt teilten, so sind es gegenwärtig gerade einmal sechs. Im Printbereich sieht es nicht besser aus – immer mehr Zeitungen und Magazine fusionieren oder werden vom Markt genommen. Der wirtschaftliche Druck verstärkt die Abhängigkeit von Kooperationspartnern und Geldgebern.
Und dann ist da natürlich noch der Gründungsmythos von Medien-Imperien. Ist es wirklich glaubhaft, dass ein Tellerwäscher, mit Nichts in der Tasche, innerhalb kurzer Zeit, die einflussreichsten Medienhäuser erwirbt? Die Biographien der Medien-Tycoons Maxwell, Ican oder Murdoch verschweigen die besonderen Beziehungen – die Beziehungen zur Geld- und Geheimdienst-Elite. Geheimdienst? Ja, Sie haben richtig gehört.
9) Journalisten wollen die Wahrheit herausfinden
House of Cards und Hollywood vermitteln den Eindruck, dass es in den großen Medienhäuser investigative Journalisten gibt, die auf eigene Faust und gegen alle Widerstände einer guten Story nachjagen. Sie wollen mit allen Mitteln die Wahrheit ans Licht bringen, die Schuldigen überführen und der Gerechtigkeit genüge tun. Es ist der oft besungene Watergate-Mythos, der dem gutgläubigen Bürger zeigen soll, dass auch zwei kleine, unbedeutende Journalisten den (vermeintlich) mächtigsten Manne im Staate herausfordern und ihn zu Fall bringen können. Ist die Feder nicht mächtiger als jedes Schwert? Nope. Die Realität – damals wie heute – ist keine David-gegen-Goliath-Klischee-Show. Wer sich mit den Ereignissen in den 1970ern rund um den Einbruch in das Watergate-Gebäude befasst, dürfte bald bemerken, dass die Journalisten keinen Skandal aufdeckten, sondern vielmehr Komplicen eines coup d’États, eines Staatsstreiches, waren. Nehmen wir Bob Woodward, einer der beiden „Aufdecker-Journalisten“ im Watergate-Skandal. Der Yale-Absolvent und Verbindungsoffizier im Nachrichtendienst der Marine wird 1970 bei der Washington Post vorstellig. Obwohl er keinerlei journalistische Erfahrung hat (in seinen eigenen Worten: „zero“), stellt ihn der Chefredakteur Harry Rosenfeld als Reporter an. Was glauben Sie, wie viele junge und ambitionierte und erfahrene Schreiberlinge damals davon träumten, bei der Washington Post, einer der renommiertesten Zeitungen des Landes, anzuheuern?
Falls Sie wissen möchten, wie es einem echten investigativen Journalisten ergeht, der an einer großen Sache dran ist und der Obrigkeit ans Bein pinkelt, dann sehen Sie sich den Film Kill the Messenger an. Sie werden erfahren, wie ein unbequemer Reporter mittels Schmutzkampagne diskreditiert, wie er bedroht und unter Anklage gestellt wird und wie man ihm seine Lebensgrundlage entzieht. Was hat Gary Webb so Fürchterliches herausgefunden? Dass amerikanische Behörden und die CIA Drogen in die USA schmuggeln ließen. Ja, nichts ist, wie es scheint.
Die echten Wahrheitssucher werden ins gesellschaftliche Abseits gestellt und so lange unter Druck gesetzt, bis sie daran zerbrechen. Selbstmord ist die logische Folge – ob beauftragt oder nicht, sei mal dahingestellt. Deshalb ist der Lackmus-Test für Whistleblower sehr einfach: ist er tot bzw. wurde er mundtot gemacht, dürfte er richtig gelegen sein (siehe Gary Webb, Aaron Swartz, Sean Hoare, Michael Hastings oder David Kelly). Alle anderen spielen nur ein Spiel und gaukeln Ihnen eine Wahrheit vor, die keine ist.
8) Politiker sind unabhängig
House of Cards und Hollywood vermitteln den Eindruck, dass Politiker und deren Stab von äußeren Einflüssen weitestgehend unabhängig sind. Die Grabenkämpfe erfolgen primär im Kapitol oder Weißen Haus, bei Abstimmungen und bei Meetings. Man könnte meinen, der amerikanische Präsident hätte weitreichenden Einfluss und würde seine Entscheidung aus innerer Überzeugung treffen. Wenn er elitäre Schlüsselspieler ins Weiße Haus holt – eine Andeutung ist im Selfmademan-Milliardär Tusk zu sehen -, dann nur, um deren Ratschläge zu hören. Doch wenn man sich kurz vor Augen führt, wie teuer ein Wahlkampf ist – egal auf welcher Ebene – dann muss man skeptisch werden. Woher nehmen die zukünftigen Abgeordneten das Geld? Woher kommt die mediale Unterstützung?
Vergessen wir eines niemals: Ein junger Politiker mag ambitioniert und wortgewandt sein, vielleicht ist er charmant und hübsch anzusehen, aber Geld und Beziehungen hat er nicht, kann er nicht haben. Bestes Beispiel dafür ist Jimmy Carter, der von David Rockefeller protegiert und zum Präsidenten gemacht wurde. Dabei spielte der Thinktank Rat für auswärtige Angelegenheiten (Council on Foreign Relations) und die damals neu gegründete Trilaterale Kommission (Trilaterale Commission) eine zentrale Rolle. Sieht man sich beispielsweise die erste Regierungsmannschaft von Barack Obama an, bemerkt man, dass jeder von ihnen Mitglied im Rat für auswärtige Angelegenheiten ist. Hier geht es nicht um eine Weltverschwörung, hier geht es schlicht und einfach um ein elitäres Netzwerk. Und wir sollten doch wissen, dass eine Hand die andere wäscht.
Apropos. Erinnern Sie sich vielleicht noch an die 40-minütige Rede, die der israelische Premierminister vor dem US-Kongress am 3. März 2015 hielt? Während der Rede applaudierten die amerikanischen Abgeordneten 39 Mal – ganze 23 Mal waren sie sogar dermaßen hingerissen, dass sie dem Politiker eines fremden Landes stehende Ovationen darbrachten. Könnte die ausufernde Begeisterung der unabhängigen Politiker vielleicht damit zusammenhängen, dass die pro-israelische Lobby-Gruppe American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) zu den finanzstärksten und einflussreichsten in Washington gehört und gerne das Füllhorn über kooperative Abgeordnete ausschüttet? Fred Reed brachte es süffisant auf den springenden Punkt: „If Israel nuked Chicago, Congress would approve.“
7) Lobbyisten sind nur eine Randnotiz
House of Cards und Hollywood vermitteln den Eindruck, es gäbe in Washington nur wenige Lobbyisten; tatsächlich sieht es aber so aus, dass offiziell auf jeden Abgeordneten rund 20 Lobbyisten kommen. Ein einflussreicher Politiker wie er von Underwood dargestellt wird, würde von Konzern-Geiern umschwärmt und jeder Wunsch würde ihm von den Augen abgelesen werden. Wer sich für die offizielle Seite dieser erlaubten politischen Einflussnahme interessiert, kann sich bei opensecrets.org einen Überblick über wer, was, wie viel verschaffen. Bedenken Sie aber, dass die Auflistungen nur auf offiziell gemeldete Daten basieren. Informelle Versprechen – beispielsweise die Zusicherung eines Aufsichtsratsposten nach der aktiven Polit-Karriere (revolving door/Drehtüreffekt) oder der Zugang zu einem elitären Zirkel – spielen mit Sicherheit eine Rolle im Abstimmungsverhalten der Abgeordneten.
Hören wir, was der ehemalige Senator Gary Hart vor kurzem darüber zu sagen hatte:
Am schlimmsten von alledem ist der Umstand, dass das Heer an Lobbyisten, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts relativ klein war, nun zu einem riesigen Bataillon aus Anwaltskanzleien und Lobby-Agenturen angewachsen ist. Und diese gigantische, wenn nicht sogar reptilienartige Industrie holt nun ehemalige House– und Senats-Abgeordnete sowie deren Stabsmitarbeiter mit an Bord. Und sie werden dabei alle fabelhaft reich. // Worst of all, the army of lobbyists that started relatively small in the mid-twentieth century has now grown to big battalions of law firms and lobbying firms of the right, left, and an amalgam of both. And that gargantuan, if not reptilian, industry now takes on board former members of the House and the Senate and their personal and committee staffs. And they are all getting fabulously rich. [Time / meine Übersetzung]
6) Es gibt nur ein schwarzes Schaf in der Familie
House of Cards und Hollywood vermitteln den Eindruck, dass es nur bad apples sind, die von einem gesunden Baum fallen. Tatsächlich ist längst der ganze Baum verrottet. In den Worten des ehemaligen Senators Gary Hart „the American Republic is massively corrupt“ (Time). Paul C. Roberts schreibt „Amerika ähnelt den letzten Tagen Roms, als verschiedene Fraktionen darum kämpften, ihre Marionette auf den Thron zu setzen“ // America is like the last days of Rome when contenting factions fought to put their puppet on the throne“ (blog).
Sehen Sie, es ist ganz einfach. Würde der Baum gesund sein, würde ein Ereignis wie die Ermordung John F. Kennedys oder der Anschlag von 9/11 bis zum letzten Punkt recherchiert und die Ergebnisse bekannt gemacht werden. Statt dessen wurden (und werden) Ermittlungen von verschiedenen Behörden verzögert, Unterlagen vernichtet, Zeugen beeinflusst, Tatorte bereinigt, Kritiker als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, wichtige Fragen ignoriert, Dokumente aus Gründen der Staatssicherheit weggesperrt und Untersuchungskommissionen eingesetzt, die am Ende völlig wertlose Berichte veröffentlichten. Gäbe es tatsächlich nur ein paar faule Äpfel, dann hätten früher oder später die gesunden Äpfel in Politik und Medien begonnen, unangenehmen Fragen zu stellen – immer und immer wieder. Aber das ist nicht geschehen. Damals wie heute stimmt der Mainstream in den Chor der Behörden ein.
5) Nur ein einziger Mann fürs Grobe
House of Cards und Hollywood vermitteln den Eindruck, dass ein machiavellischer Strippenzieher wie Underwood nur einen einzigen Mann fürs Grobe hat. Doug Stamper erledigt jeden Job – mag er auch noch so durchtrieben oder illegal sein. Er ist für die Drehbuchschreiber die Eierlegendewollmilchsau. Aus dramaturgischer Sicht macht es Sinn, nur einen Mann die viele Schmutzarbeit machen zu lassen. In der Wirklichkeit, in der ich und Sie leben, würde Stamper Zugriff auf eine Vielzahl junger und motivierter Stampers haben. Er würde koordinieren, er würde telefonieren (pre-paid-Mobilkarte), er würde sich aber niemals in eine prekäre Situation begeben, die ihn – und damit Underwood – belasten könnten. Warum sollte er sich für ein kurzes vertrauliches Gespräch mit dem Polizeichef mitten in der Nacht in einer dunklen Ecke der Stadt treffen? Oder eine Ex-Prostituierte in seinem Auto mitnehmen? Ist das nicht alles äußerst verdächtig? Im Übrigen weiß der Polizeichef selbst, was zu tun ist. Und falls nicht, wird er seinen Vorgesetzten um Rat fragen.
Politik und Verbrechen sind – wie Polizei und Militär – organisiert. Nur die kleinen Fische, die Anfänger, die Hobby-Akteure, werden erwischt. Oder man lässt die Handlanger, die Knechte und Mägde, die ihre Schuldigkeit getan haben, über die Klinge springen. Warum glauben Sie, hat man Al Capone nur wegen Steuerbetrugs belangen können? Weil es die Organisation verstand, Spuren zu verwischen. Und Sie können sicher sein, dass Al Capone nur deshalb „erwischt“ wurde, weil es Kräfte im Hintergrund so wollten. Bandenkrieg auf hohem Niveau, wenn man so will. Übrigens, ein gerne übersehenes Detail Hollywoods ist der Umstand, dass die Mafia keine rein italienische Angelegenheit war. Vielmehr war es eine jüdisch-italienische. Nick Tosches schreibt in der Vanity Fair Ausgabe vom April 1997 unter dem Titel The Man Who Kept The Secrets:
„Hollywood war größtenteils die Schöpfung osteuropäischer jüdischer Immigranten und deren Söhne. Das organisierte Verbrechen des 20. Jahrhunderts in Amerika war primär ein jüdisch-italienisches Bündnis, der die ethnische Reinheit der wahren sizilianischen Mafia fehlte, aber dessen Mitglieder das selbe Verständnis hatten. In Amerika waren Unterwelt und Mafia eins, und es war das organisierte Verbrechen, das den Mythos des großen amerikanischen Schmelztiegels wahr werden ließ. Organisiertes Verbrechen in Amerika war Demokratie in Reinkultur.“ [meine Übersetzung] // „Hollywood was largely the invention of Eastern European Jewish immigrants and their sons. Twentieth-century organized crime in America was a primarily Jewish-Italian coalition that shared the sensibilities but lacked the ethnic purity of the true Sicilian Mafia. In America, Unterwelt and Mafia were one, and it was in organized crime that the myth of the great American melting pot became reality. Organized crime in America was democracy in action.“
4) Selfmademan-Milliardäre sind von Politikern abhängig
House of Cards und Hollywood vermitteln den Eindruck, dass einflussreiche Milliardäre von Politikern abhängig sind. Der Charakter Raymond Tusk taucht zum ersten Mal in der vorletzten Folge auf. Er wird als älterer, bescheidener, aber ehrgeiziger Selfmademan-Milliardär gezeichnet, der mit dem Präsidenten befreundet ist. Vermutlich dachten die Schreiberlinge an Richard Nixon und Bezos, vielleicht auch an Jimmy Carter und Rockefeller. Der Punkt ist, die Bezos und Rockefellers sind es, die die Politiker machen, nicht umgekehrt. Dabei geht es aber nicht um den einen oder anderen Familiennamen, sondern primär um jene Mächte, die im Hintergrund die Fäden ziehen.
House of Cards und Hollywood überschütten den Zuseher förmlich mit der Gewissheit, dass in Washington alles nach Plan der Gründerväter läuft – und es keine Schattenregierung gibt. Präsident Nixon sah es anders:
„Wir haben hier eine Schattenregierung [countergovernment] und wir müssen sie bekämpfen. Mir ist verdammt noch mal egal, wie es gemacht wird.“
Es ist, als würde man eine TV-Serie über einen Biobauernhof machen und so tun, als wäre dieser die Regel, nicht die Ausnahme in einem System der industriellen Landwirtschaft. So lange der Zuseher daran glaubt, wird er die Intrigen des Stallknechts und die Bosheiten des alten Bauers zwar nicht für bare Münzen, aber sie doch für möglich halten. Die Biobauernhof-Serie – genauso wie House of Cards – würde das Weltbild des Zusehers niemals in Frage stellen. Deshalb wird Raymond Tusk als Selfmademan dargestellt, bescheiden und weltmännisch, ehrgeizig, aber nicht sonderlich gefährlich. Man stelle sich vor, man hätte Tusk durch den Sprößling einer aristokratischen Familie ersetzt, deren Wurzeln zu den ersten Gründerväter zurückgehen. Das bestehende Netzwerk dieser Familie, sei es verwandtschaftlich, sei es freundschaftlich, sei es unternehmerisch – neben dem immensen Vermögen, würde Ihnen vermutlich Ihr Weltbild rauben. Vor hundert Jahren zählten beispielsweise die Mellons, McCormicks, Morgans, Archbolds, Rogers, Bedfords, Cutlers, Flaglers, Pratts, Benjamins neben den bekannten Rockefellers, Du Ponts, Vanderbilts und Fords zu den reichsten Familien der USA. Seltsam, dass man von den einen viel, von den anderen nichts hört, meinen Sie nicht auch?
3) Politiker sind ehrgeizig, aber kein Psychos
House of Cards und Hollywood zeichnen Politiker für gewöhnlich in allen Charakter-Schattierungen. Da gibt es die Unterwürfigen, die Schwachen, die Starken, die Impulsiven, die Ehrgeizigen, die Skrupellosen, die Mitläufer und so weiter. Aber eine Spezies Mensch blenden sie mit Absicht aus: die des Psychopathen. Kriminalpsychologe Prof. Robert Hare klärt uns auf:
„Ein Psychopath ist eine Person, der Einfühlungsvermögen und Gewissen fehlt, jene Qualitäten, die uns leiten, wenn wir zwischen gut und böse, moralisch und unmoralisch wählen. Die meisten von uns sind konditioniert, Gutes zu tun. Psychopathen hingegen nicht. Ihr Einfluss auf die Gesellschaft ist enorm, obwohl Psychopathen gerade einmal ein Prozent der Bevölkerung ausmachen.“
Underwood ist scheinbar der einzige Politiker, der skrupellos seine Karten spielt, um an sein Ziel zu gelangen. Dabei schreckt er auch nicht vor Mord, Erpressung und Drohgebärden zurück. Dass es gerade Psychopathen sind, die ganz nach oben kommen, liegt auf der Hand. Möchten Sie verstehen, wie Spitzenpolitiker ticken, dann empfehle ich Ihnen, die aufgezeichneten Gespräche von Richard Nixon anzuhören. Als Präsident ordnete er an, die Amtsräume im Weißen Haus heimlich zu verwanzen und die Gespräche, seien sie mündlich oder telefonisch, aufzuzeichnen. Hier eine Kostprobe von Präsident Richard Nixon:
„Washington is full of Jews. … Most Jews are disloyal. Bob, generally speaking, you can’t trust the bastards. They turn on you. Am I wrong or right?“, fragt Nixon seinen damaligen Stabschef Bob Haldeman im Sommer 1972; zit. n. Richard Reeves, President Nixon, Simon & Schuster, New York 2001, S. 343
Hier ein Gespräch zwischen Nixon, Kissinger und dem Pressesprecher Ziegler im April 1972:
nixon: »Wie viele haben wir in Laos getötet?«
ziegler: »Vielleicht zehntausend – fünfzehn…?«
kissinger: »In der laotischen Sache haben wir etwa zehn, fünfzehn…
getötet.«
nixon: »Schaut mal, diesen Angriff, den wir im Norden [Vietnams]
vorhaben … auf Kraftwerke, was da auch immer noch übrig ist, Ölraffinerien, Werften … Und ich denke, wir sollten die Deiche [Dämme] bombadieren. Würden dabei Menschen ertrinken?«
kissinger: »Etwa zweihundertausend Menschen.«
nixon: »Nein, nein, nein … da benutze ich besser die Atombombe.
Hast du das verstanden, Henry?«
kissinger: »Das, denke ich, würde dann doch zu viel sein.«
nixon: »Die Atombombe, bekümmert dich das? Ich möchte doch nur, dass du im großen Stil denkst, Henry, Herrgott noch mal! Die einzige Stelle, an der wir unterschiedlicher Meinung sind, hat mit der Bombardierung zu tun. Du bist so gottverdammt besorgt um die Zivilisten und mich scheren die einen Dreck. Die sind mir egal.«
kissinger: »Ich bin um die Zivilisten [deshalb] besorgt, weil ich nicht
möchte, dass sich die Welt gegen dich als Schlächter mobilisiert.«
2) Der Geheimdienst spielt keine Rolle
House of Cards und Hollywood vermitteln den Eindruck, dass der Geheimdienstapparat in der Politik nur eine untergeordnete Rolle spielt. In der ersten Staffel der Serie wurde der Name CIA kein einziges Mal erwähnt – und doch sind es die verschiedenen Nachrichtendienste, die im Hintergrund sensible Daten und Informationen ermitteln und aufbereiten. Das ist die eine, die offizielle Seite. Die inoffizielle Seite ist hässlich, schmutzig und nicht kontrollierbar, da der größte Teil der Arbeit im Geheimen abläuft. Staatssicherheit, wenn Sie verstehen? Es mag nicht verwundern, dass John F. Kennedy von diesem Moloch CIA genug hatte und den damaligen Chef Allen Dulles feuerte. Die Ironie ist, dass wenige Jahre später genau dieser Mann in die Warren-Kommission berufen wurde, um den Mord an JFK aufzuklären.
Der amerikanische Geheimdienstapparat ist ein Fass ohne Boden: Im Jahr 2008 gab es offiziell 1.271 staatliche Organisationen und 1.931 private Unternehmungen, die an über 10.000 Orten an Programmen arbeiteten, die in Verbindung mit Terrorismusbekämpfung, Staatssicherheit und Nachrichtenbeschaffung standen. Man schätzt, dass etwa 854.000 Personen eine top-secret-Sicherheitsfreigabe besitzen, mit der sie Zugang zu Millionen von geheimen Akten und Projektunterlagen
haben. [allein 2011 wurden von US-Behörden in Summe 92.064.862 Dokumente als geheim
eingestuft, davon 26.058.678 als topsecret]. Die »zivilen« Geheimdienste der USA (wie zum Beispiel CIA oder NSA) erhielten im Fiskaljahr 2010 offiziell ein Budget von etwa 52 Milliarden Dollar und die militärischen Nachrichtendienste 27 Milliarden Dollar. [Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt Kroatiens liegt bei etwa 60 Milliarden Dollar]
Der Einfluss des Geheimdienstapparats – lokal genauso wie global – ist enorm. Die CIA ist in Drogen- und Waffengeschäften involviert, fördert(e) moderne Kunst, schleust(e) Journalisten und Reporter in Medienhäuser ein (Mockingbird), forschte an einer Bewusstseinskontrolle (mind control – MK Ultra), kooperiert(e) mit dubiosen Finanzinstitutionen (BCCI), führt(e) Staatsstreiche durch (PB Success, Ajax), heuert(e) Spitzel, Attentäter und Terroristen an (Osama bin Laden), infiltriert(e) alle Bereiche der Gesellschaft, sei es in der Wirtschaft, sei es in der Politik und vieles, vieles mehr.
Sehen Sie, die NSA scannt täglich Milliarden von E-Mails, Telefongesprächen und Web-Transaktionen. Natürlich interessiert sich niemand für Sie, niemand für mich. Aber stellen Sie sich doch nur mal vor, eine (geheime) Abteilung greift alle Transaktionen der US-Politiker und ihrer Kontakte ab, ordnet und speichert sie. Aus all den Informationen kann ein Dossier erstellt und Interessierten zur Verfügung gestellt werden. Wer somit Zugang zu diesen Dossiers hat, hat die Macht. So einfach ist das. In der Realität, in der Sie und ich leben, würden Underwoods schmutzige Geheimnisse längst fein säuberlich dokumentiert sein. Doch wer sind jene Leute, die auf diese Daten Zugriff haben?
1) Wer Macht hat, steht in der ersten Reihe
House of Cards und Hollywood vermitteln den Eindruck, dass mächtige Menschen im Rampenlicht stehen müssen, um zu wirken. Die Hintermänner in Polit-Thrillern wiederum werden am Ende des Films immer entlarvt und erhalten die gerechte Strafe. Das ist natürlich Unsinn. Macht liegt in der Anonymität. Politiker oder Forbes-Reiche haben deshalb niemals Macht. Sie können in kürzester Zeit diskreditiert, belangt und somit entmachtet werden. Zum Abschluss hören wir uns den Politiker und Unternehmersohn Walther Ratenau an, der 1909 einen Brief an die österreichische Tageszeitung Freie Presse schrieb:
»Geehrte Herren! Sie fragen nach meiner Ansicht über Art und Wert unseres geschäftlichen Nachwuchses. Ich will gern versuchen, Ihnen zu antworten, denn die Frage scheint mir wichtig und der Erwägung bedürftig; […] Auf dem unpersönlichsten, demokratischsten Arbeitsfelde, dem der wirtschaftlichen Führung, wo jedes törichte Wort kompromitieren, jeder Mißerfolg stürzen kann, wo das souveräne Publikum einer Aktionärsversammlung satzungsgemäß über Ernennung und Absetzung entscheidet, hat im Laufe eines Menschenalters sich eine Oligarchie gebildet, so geschlossen wie die des alten Venedig. Dreihundert Männer, von denen jeder jeden kennt, leiten die wirtschaftlichen Geschicke des Kontinents und suchen sich Nachfolger aus ihrer Umgebung. Die seltsamen Ursachen dieser seltsamen Erscheinung, die in das Dunkel der künftigen sozialen Entwicklung einen Schimmer wirft, stehen hier nicht zur Erwägung. Hier soll zunächst die Frage beantwortet werden, um wen es sich handelt: es handelt sich um den Nachwuchs städtischer Herkunft, normaler Bildung, bürgerlichen Standes, kurz, um die zweite oder dritte Generation der Erwerbenden und Leitenden.«
Zwei Jahre später erinnerte sich der mit Rathenau befreundete Schriftsteller Frank Wedekind an den zuvor genannten Artikel und stellte die Frage in den Raum, ob man nicht einen „Almanach der Dreihundert“ veröffentlichen könne. Rathenau antwortet ihm in einem Brief:
»Mein lieber und sehr verehrter Herr Wedekind! Ihre geistvolle Anregung hat mich aufs Lebhafteste interessiert. Aber lassen Sie mich vertraulich Ihnen sagen: mein Ausspruch war eine Art Indiskretion. Die wirklichen ›300‹ haben die Gewohnheit und Vorsicht, ihre Macht abzuleugnen. Wenn Sie sie aufrufen, so werden sie Ihnen sagen: wir wissen von nichts; wir sind Kaufleute wie alle anderen. Dagegen werden nicht 300, sondern 3 000 Kommerzienräte sich melden, [die] mit Strümpfen oder Kunstbutter wirken und sagen: wir sind es. Die Macht liegt in der Anonymität; ich kenne unter den Bekanntesten – nicht unter den Bedeutendsten – einen, den überhaupt niemand zu sehen bekommt, außer seinem Barbier. Ich kenne einen, der fast arm ist und die gewaltigsten Unternehmungen beherrscht. Ich kenne einen, der vielleicht der Reichste ist, und dessen Vermögen seinen Kindern gehört, die er haßt. Einer arbeitet für das Vermögen der Jesuiten, ein anderer ist Agent der Kurie. Einer als Beauftragter einer ausländischen Vereinigung ist mit einem Besitz von 280 Millionen Konsols der größte Gläubiger des preußischen Staates. Alles dies vertraulich. Aber sie sehen, diesen Menschen ist auf gewöhnlichen Wegen nicht leicht beizukommen. Und den gewöhnlichen Weg dieses Appells lehnen sie ab.«