
Spieltag 9 der Europameisterschaft in Frankreich 2016
BELGIEN : IRLAND 3:0
Sind die Belgier jetzt endlich in Frankreich angekommen? Gehören sie jetzt wieder zum Favoritenkreis? Zugegeben, wenn man den technisch versierten belgischen Spielern den Raum lässt und sie förmlich zu Kontern einlädt, darf man sich nicht wundern, wenn es drei Mal klingelt. In der ersten Hälfte haben die Iren ihr Defensivkonzept gut zur Entfaltung gebracht, konnten die Belgier zwar das Spielgeschehen kontrollieren, fanden aber nur zu einer zwingenden Torchance. Kurz nach der Pause änderte sich das Bild. Weil im Gegenangriff De Bruyne zwei Gegenspieler stehen ließ und an der Strafraumgrenze Lukaku perfekt bediente; der Stürmer schlenzte den Ball überlegt ins lange Eck. Mit dem Führungstreffer löste sich die Verkrampfung der Belgier. Irland, man merkte es die längste Zeit, hatte nicht die spielerischen Mittel, um Belgien in Gefahr zu bringen, ja, das irische Spiel mit nur einer Spitze war generell ideenlos und vorhersehbar.
Dieses Match zeigte erneut, dass sich Mannschaften mit Defensivkonzept schwer tun, nach einem Rückstand in eine kontrollierte Offensivphase umzuschalten. Oftmals geben sie ihre Ordnung auf und geraten bei Ballverlust in arge Bedrängnis – siehe die Türkei gegen Spanien oder Belgien gegen Italien oder Österreich gegen Ungarn. Besser machten es da die Ukraine oder Albanien, die auch nach dem Führungstreffer des Gegners weiterhin bei ihrem Defensivkonzept blieben, aber kontrollierte schnelle Vorstöße unternahmen. Ein weiteres, kräfteraubendes Konzept ist den Gegner in der eigenen Hälfte durch Pressing unter Druck zu setzen und ihn somit am Spielaufbau zu hindern und Ballverluste zu erzwingen. Die Polen praktizierten, wenigstens hin und wieder, solch ein überfallsartiges Pressing gegen Deutschland und kreierten dadurch gefährliche Strafraumszenen.
Kurz und gut: Die Belgier haben mit dem Sieg wieder ein Ausrufezeichen gesetzt. Aber im letzten Spiel gegen Schweden müssen sie Nervenstärke beweisen, würde doch eine Niederlage die Heimreise bedeuten. Auf dem Papier sollten die Belgier keine Probleme gegen ungefährliche Schweden haben. Aber wie man bereits im Spiel gegen Italien gesehen hat, tun sich die Belgier schwer, eine Betonabwehr zu knacken. Es wird demnach ein Gedulds- und Glücksspiel – mit Stürmerstar Ibrahimovic als Zünglein an der Waage.
Die irische Mannschaft und ihre Fans haben gezeigt, wie sympathisch der internationale Fußball sein kann. Spielerisch können die Iren mit den großen Mannschaften freilich nicht mithalten und ein Sieg gegen Italien wäre ein Wunder. St. Patrick hilf. Amen.
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ISLAND : UNGARN 1:1
So sieht es also aus, wenn zwei Defensivmannschaften aufeinandertreffen und keine der beiden so richtig gewillt ist, das Spiel zu machen. Nun, sagen wir, die Ungarn waren von Beginn an bemühter, eine Entscheidung herbeizuführen. Aber die Isländer wissen, wie man Angriffe bereits im Ansatz unterbindet und deshalb gab es kaum gefährliche Strafraumszenen für die Ungarn. Auf der anderen Seite, es war eine halbe Stunde gespielt, vergab Gudmundsson alleinstehend vor Jogginghose-Goalie Kiraly, der den Schuss parieren konnte. Fünf Minuten vor dem Ende der ersten Halbzeit stand erneut Kiraly im Brennpunkt: Nach einer Ecke konnte er den Ball nicht festhalten – das folgende Gestocher im Strafraum führte schließlich zu einem Foul und Elfmeter. Sigurdsson behielt die Nerven und verwandelte eiskalt. So ist Fußball2.0: die eine Mannschaft macht das Spiel, die andere schießt das Tor.
In der zweiten Hälfte machten die Isländer den Laden dicht und mauerten mit Mann und Maus. Die Lust, eine Offensivaktion konsequent abzuschließen, sozusagen ein wenig Risiko zu nehmen, hatten sie freilich nicht. Es genügte ihnen, mit einem Tor in Führung zu liegen und diese Führung abzusichern. Die Ungarn waren nicht sonderlich gefährlich, fehlten ihnen doch die spielerischen Mittel, den isländischen Abwehrriegel in Verlegenheit zu bringen. Aber wie so oft, wenn sich eine Mannschaft auf ihren Vorsprung ausruht, passiert eine Unachtsamkeit mit Folgen: Ungarn kombinierte sich Minuten vor Schluss in den Strafraum – den folgenden scharfen Querpass von Nikolic konnte der isländische Verteidiger Saevarsson nur ins eigene Tor klären. Ausgleich! Die Isländer, darüber verärgert, warfen noch einmal alles nach vor – und siehe da, in der Nachspielzeit ließ sich ein Ungar zu einem dummen Foul an der Strafraumgrenze hinreißen. Der isländische Freistoß sollte – nach Herzog-Manier – unter der hochspringenden Mauer hindurch gehen – dummerweise wollte aber keiner der Ungarn hüpfen. Der von der Mauer abgeprallte Ball fiel ausgerechnet Routinier Gudjohnson vor die Füße, doch sein scharfer Schuss wurde von einer Vielzahl ungarischer Beine abgelenkt und ging nur knapp neben das Tor. Wir sehen, auch Fußballzwerge können ein Match am Ende noch äußerst spannend gestalten.
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PORTUGAL : ÖSTERREICH 0:0
Was für ein Spiel! Was für eine Abwehrschlacht! Die Nerven flattern noch Stunden nach dem Schlusspfiff, der sicherlich von 8 Millionen Österreichern sehnlichst herbeigewünscht wurde. Ja, das österreichische Team hatte ne Menge Schwein gehabt, an diesem Abend. Die Portugiesen, die alles versuchten, fast alles richtig machten, scheiterten am Ende, weil Robert Almer das beste Spiel seiner Karriere ablieferte und zwei Mal die Stange für ihn rettete. Dabei gab es mit dem Elfmeter in der 78. Minute die größte Chance für die Portugiesen, das Match zu gewinnen – aber Ronaldo knallte den Ball an die Stange und der Nachschuss eines Portugiesen ging in die Abendwolken. Fünf Minuten vor Schluss köpfte Ronaldo schließlich doch noch ins Tor – glücklicherweise stand er bei der Freistoßhereingabe im Abseits. Wie man es auch dreht und wendet, Ronaldo und seinen Kollegen klebte das Pech an den Schuhen. Nach dem verpatzten Auftakt gegen eine defensiv perfekt eingestellte isländische Mannschaft reichte es gegen Österreich wieder nicht zum Sieg. Im Finalspiel gegen Ungarn geht es dann wohl um alles oder nichts – aber ist es auch nur annähernd vorstellbar, dass die Portugiesen an Kiraly & Co scheitern könnten? Nope. Unvorstellbar.
Die Österreicher haben diesmal brav und beherzt gekämpft. Spielerisch konnten sie mit ihrem gestrigen Gegner natürlich nicht mithalten, trotzdem gab es immer wieder den einen oder anderen Lichtblick, in Ballsicherheit, Zusammenspiel und Vorwärtsbewegung – auch wenn sie an einer Hand abzuzählen sind. Aber es war eine definitive Steigerung gegenüber dem ersten Match zu bemerken. Apropos. Wie bereits gegen Ungarn, hätte das Spiel auch hier in den ersten Minuten einen ganz anderen Verlauf nehmen können: Harnik köpfte aus drei Metern eine Maßflanke von Sabitzer neben das Tor. Das wäre ein Auftakt gewesen. Aber so kam, wie es zumeist kommt: Die Österreicher zeigten Nerven, verloren aber gottlob nicht Ordnung und Orientierung. Die portugiesischen Edeltechniker zeigten ein ums andre Mal, was sie mit dem Ball am Fuß können und ließen dabei so manchen Gegenspieler alt aussehen. Zwei wunderbar schnell gespielte Kombination im Strafraum – die österreichische Abwehr wusste gar nicht, was los ist – endeten einmal bei Torhüter Almer, das andere Mal an der Stange. Überhaupt Robert Almer! Eine Weltklasseleistung. Auch wenn seine oftmals misslungenen Abschläge den Puls der Zuschauer in die Höhe trieb. Die Slapstickeinlage, als er Hinteregger aus zwei Metern über den Haufen schoss, beruhigte nicht gerade die Nerven der Spieler und der Fans. Ja, das Nervenflattern hörte bei den österreichischen Spielern eigentlich nie auf. Sogar der sonst so abgeklärte Alaba – er besetzte die für ihn ungewohnte offensive Junuzovic-Mittelfeldposition – fand nicht zur Ruhe und leistete sich eine Reihe von unnötigen Fehlpässen. Nach einer Stunde nahm ihn Trainer Koller für Alessandro Schöpf vom Feld.
War es tatsächlich die veränderte Aufstellung – mit Martin Harnik als Solospitze, Marcel Sabitzer am rechten Flügel und Alaba im offensiven Mittelfeld – die am Ende den glücklichen Punkt nach Hause holte? Zugegeben, die Leistungssteigerung von Harnik und Sabitzer überraschte mich. Auch wenn Harnik, abgesehen vom Kopfball in der 3. Spielminute, zumeist allein auf weiter Flur stand, so beschäftigte er doch die beiden altgedienten portugiesischen Innenverteidiger Pepe und Carvalho. Sabitzer am rechten Flügel leistete eine ansehnliche Defensivarbeit und war hin und wieder bereit, offensive Aktion einzuleiten. Sein Gegenüber auf der linken Seite, Marko Arnautovic, fand eigentlich nie richtig ins defensive Spiel und so musste sich Christian Fuchs immer wieder allein mit Quaresma herumschlagen, der mit ihm machte, was er wollte. Glücklicherweise waren die Hereingaben des Portugiesen zumeist ungefährlich. Alaba war mit seiner neuen Position sichtlich überfordert. Vielleicht wäre es besser gewesen, Trainer Koller hätte ihn auf die linke Abwehrseite gestellt. Fuchs hätte dann die Arnautovic-Position und Arnautovic die Alaba-Position eingenommen. Mit Alaba und Fuchs auf der linken Seite hätte Quaresma sicherlich seine Probleme gehabt und Arnautovic hätte sich offensiver betätigen können. Freilich, solch eine Umstellung – von einem Spieltag auf den anderen – ist immer ein Risiko. Da fragt man sich natürlich, warum solche Experimente nicht im Vorfeld versucht worden sind. Alaba – einer der weltbesten Linksverteidiger – in der gestrigen Abwehrschlacht frühzeitig vom Feld zu nehmen grenzte eigentlich an Wahnsinn – auch wenn er eine der schwächsten Leistungen im Nationalteam an den Tag legte.
Nun kommt es zum Finalspiel gegen Island. Wie schon gegen Ungarn sind die Österreicher gezwungen, das Spiel zu machen. Die Isländer – sie haben es in den letzten beiden Begegnungen gezeigt – sind unangenehme robuste Gegner, die vor Selbstbewusstsein nur so strotzen. Die Österreicher werden sich gehörig steigern müssen, wenn sie Island in die Knie zwingen wollen. Ist Alessandro Schöpf – spielstark, technisch versiert, schnell – eine mögliche Option im offensiven Mittelfeld? Alaba zurück ins defensiv-zentrale Mittelfeld, neben Baumgartlinger? Harnik an die rechte Seite und – so er fit ist – Janko in die Spitze? Andererseits würde mir die defensive Doppel-6 mit Baugartlinger und Ilsanker gefallen – beide sind von ihrer Physis in der Lage, sich gegen die Isländer zu stemmen. Prödl würde mir dahingehend auch besser gefallen und sollte neben Dragovic spielen.
Eine weitere interessante Überlegung: Arnautovic als Solospitze – mit seiner physischen Präsenz, seinem selbstbewussten Auftreten, seiner Technik und seiner Unberechenbarkeit, wäre er ein lästiger Unruheherd im isländischen Strafraum -, Alaba und Fuchs ziehen links, Klein und Harnik rechts auf, Schöpf als zentraler Ballverteiler, während Baumgartlinger und Ilsanker aus dem Rückraum kommen und so dem österreichischen Spiel die nötige Stabilität verleihen. Sollten die Isländer nämlich in Führung gehen, würde es ganz, ganz schwer werden, das Spiel noch zu drehen. Koller sollte aus der Auftaktniederlage gegen Ungarn gelernt haben, dass ein offensiv-emotionales Hopp oder Dropp ziemlich ins Auge gehen kann. So braucht es zu allererst Ordnung und Stabilität – die spielerische Qualität kommt dann von ganz allein. Freilich, ein wenig Glück werden wir in jedem Fall brauchen, wollen wir als Sieger vom Platz gehen. Also, Daumen drücken!