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Drei Tage auf der SPIEL’19 in Essen

In diesem Moment öffnen noch einmal die Tore zur SPIEL’19 in Essen und ich sitze bereits in Wien, im Café und versuche all die vielen bunten Eindrücke der letzten Tage aufs virtuelle Papier zu bringen. Keine einfache Sache, bemerke ich eine aufkommende Müdigkeit, die jeden Gedankengang verlangsamt. Messeauftritte, so viel ist mir in den letzten Jahren klar geworden, fordern Körper und Geist, will man die innere Spannung über die gesamte Dauer aufrecht erhalten. Wer möchte sich schon vor aller Augen eine Blöße geben, nicht?

Spielmessen unterscheiden sich von Buchmessen dahingehend, dass die Besucher Brett- und Kartenspiele vor Ort, an vielen Tischen, ausprobieren können. Die Lautstärke und die Energie sind damit um vieles höher als auf Messen, die das gedruckte Wort präsentieren. Die Leipziger Buchmesse kommt der SPIEL wohl am nächsten – beide sind Publikumsmessen, die sich bei den Konsumenten im In- und Ausland großer Beliebtheit erfreuen.

Im Neuheiten-Pavillon der SPIEL’19 entdeckte ich die amüsant anmutende Wirtschaftssimulation WongaMania: Banana Republic. Als ehemaliger Banker und stetiger Systemkritiker sprach mich das Spiel des Verlages Capital Gains Studio (Singapur) natürlich an. Kurzerhand besuchte ich deren Stand und nach einem kurzen Gespräch gab man mir eine Review Copy mit auf den Weg. Einem Probespiel steht also nichts im Wege und vielleicht ist es gut geeignet, dem gewöhnlichen Bürger die ausgeklügelten (und unausgewogenen, zuweilen unfairen) Finanz- und Wirtschafts-Mechanismen auf einfache Art und Weise, sozusagen spielerisch, näher zubringen.

Es ist schön, zu sehen, dass Brett- und Kartenspiele nichts von ihrer großen Faszination verloren haben. Das gemeinsame Spielen stärkt bekanntlich das Zusammengehörigkeitsgefühl und ist (gerade für kinderreiche Familien) ein kostengünstiges Vergnügen – in wirtschaftlich angespannten Zeiten kein unbedeutender Faktor. Natürlich konkurrieren die realen mit den virtuellen Spielen – und je mehr die gesellschaftliche Vereinzelung voranschreitet, um so mehr Zuwachs gibt es bei den Bit- und Byte-Games. Wobei mehr und mehr Brettspiele erscheinen, die auch bzw. nur solo gespielt werden können. Sollten die geeigneten Spielpartner fehlen, können Clubs und Vereine aushelfen (u.a. in Wien: Spielekreis). Vielleicht ist eine facebook-Gruppe (sah ich nicht letztens im Kino eine Werbung dafür?) genau das Richtige, um Gleichgesinnte zu finden. Freilich, die Chemie kann am Monitor nicht festgestellt werden, aber gut Ding braucht Weile.

Erwähnenswert ist der Umstand, dass kleine Spielverlage Beachtliches leisten können. Es wärmt einem das Herz, sieht man diese sprühende Begeisterung in den Augen der jungen Verlagsgründer und deren loyalen Mitarbeitern. Viel Herzblut steckt in den kleinen und großen Spieleschachteln und ich fühle mit ihnen, wenn es Lob und Tadel regnet. Aber man sollte niemals jene Kreativen vergessen, die all das erst ermöglichen: auf der einen Seite die Autoren, die selten im Rampenlicht stehen (im Gegensatz zu ihren Bücherkollegen) und auf der anderen die (für gewöhnlich freiberuflichen) Illustratoren, die es beide nicht leicht haben, auf ihre Rechnung zu kommen. Am Ende des Tages wird nämlich abgerechnet und in einem System, in dem die Münze, nicht Herz, Trumpf ist, müssen alle Tricks und Kniffe angewendet werden, um überhaupt einen Stich machen zu können.

Ich denke, so lange es junge Menschen gibt, die die Welt als Chance wahrnehmen, sich nicht unterkriegen lassen und ihren eingeschlagenen Weg konsequent gehen, so lange dürfen wir auf eine vielversprechende Zukunft hoffen. Und ist das Spiel nicht die Vorbereitung auf das Leben? Vielleicht, wer weiß, ist alles doch nur Spiel. Die Spielregel such ich freilich noch.

8. Mai 1945: Ende eines Anfangs und Anfang eines Endes

Der in Deutschland stationierte amerikanische Generalmajor Robert McClure, Chef der psychologischen US Kriegsführung  (ICD), schreibt im Mai 1945 an seine Frau:

»Die Kampfhandlungen hier sind vorbei! Gestern [die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht] unterschrieben. Jetzt, wo die eine Phase vorbei ist, stecke ich bis zum Hals in der Kontrollphase. Wir werden alle Zeitungen, Filme, Theater, Radio, Musik, etc. in Deutschland eisern kontrollieren! Meine Abteilung publiziert in Deutschland im Moment 8 Zeitungen mit einer Auflage von 1 Million Exemplare und versendet jeden Tag mit Luftpost über 2 Millionen Zeitungen in verschiedenen Sprachen für Flüchtlinge und Kriegsgefangene. Der größte Zeitungsverlag der Welt.« [meine Übersetzung]

Rund ein Jahr später schreibt er: »Wir kontrollieren nun 37 Zeitungen, 6 Radiostationen, 314 Theater, 642 Kinos, 101 Magazine, 237 Buchverlage, 7 384 Buchhändler und Druckereien, und führen rund 15 Meinungsumfragen pro Monat durch, weiters geben wir eine Zeitung mit einer Auflage von 1 500 000 und 3 Magazine heraus, wir führen die Associated Press of Germany (DANA) und leiten 20 Zentralbibliotheken. Die Unternehmung ist enorm.« [meine Übersetzung]

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Der ungarisch-amerikanische Historiker John Lukacs (geb. 1928) schreibt in seinem Sachbuch Hitler of History – erschienen im Verlag Random House New York, 1997 – auf Seite 97:

»In den Jahren 1938 und 1939 verzeichnete Deutschland die höchste Heiratsrate in ganz Europa. […] Der phänomenale Anstieg der deutschen Geburtenrate in den 1930ern war sogar steiler als der Anstieg der Heiratsrate. Es wäre unsinnig, würde man diese Ziffern mit dem (alleinigen) Hinweis auf Hitlers Familienpolitik abtun. Natürlich hat er große Familien unterstützt und ihnen soziale und finanzielle Begünstigungen angeboten. Aber kein Staatsmann kann Väter dazu zwingen, Kinder zu zeugen (oder Mütter, diese zur Welt zu bringen); und Zuversicht in die Zukunft [Optimismus] hatte viel mehr mit den Perspektiven des Heimatlandes zu tun als mit Wirtschaftszahlen. […] Zwischen 1932 und 1939 ist die Anzahl an verübten Selbstmorden von unter 20-Jährigen innerhalb der ersten sechs Jahre um 80 % gefallen.« [meine Übersetzung]

»In 1938 and 1939 the highest marriage rates in all of Europe were registered in Germany … The phenomenal rise of the German birthrate in the thirties was even steeper than the rise of the marriage rate. It is unreasonable to slur over these figures by simply referring to Hitler’s populationist policies. Of course he encouraged large families, and offered social and financial benefits to them. But not national leader can force fathers to beget children (or mothers to bear them); and confidence in the future had much more to do with national perspectives than with economics.[…] From 1932 to 1939 the number of suicides commited by Germans under twenty dropped 80 % during the first six years.«

 

 

BuchQuartier 2017 und ein Gespräch über Gott und die Welt

Das war es also, das BuchQuartier 2017. Der Markt der Independent- & Kleinverlage im Wiener MuseumsQuartier ist Geschichte. Samstag und Sonntag gesellte ich mich zu all den kleinen und kleinsten Verlagen mit einem Verkaufstisch in den sogenannten Freiraum, während die Platzhirschen der österreichischen Verlagsszene in der Ovalhalle Aufstellung nehmen durften. Es fühlte sich an, als würde man wieder zur Schule gehen. Dort die lässig coolen Maturanten, die bereits per Du mit der Lehrerschaft sind und da die Erstklässler, die bereits zufrieden sind, wenn sie von den Älteren nicht angepöbelt werden. So mag es auch nicht weiter verwundern, wenn auf der einen Seite der Rubel rollte, auf der anderen der Trubel sich trollte. Das Wortspiel dürfen Sie gerne mit nach Hause nehmen.

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e-Book, Piraterie und der Mythos vom Autor, der von seinen Büchern leben kann

»Wir alle, die wir uns auf irgendeine Weise mit der Wissenschaft, die man in diesem Zusammenhang Literatur nennen kann, beschäftigen, wachsen auf in dem Gedanken, daß die Betriebsamkeit mit derselben ein Glück sei, ein Vorteil, eine ehrenvolle Auszeichnung unseres gebildeten und philosophischen Zeitalters … – aber gerade jene Betriebsamkeit des literarischen Marktes hat es ertötet, verkehrt und herabgewürdigt, so daß der Geist davon verflogen ist …«

JOHANN GOTTLIEB FICHTE
»Über das Wesen des Gelehrten und seine Erscheinungen im Gebiete der Freiheit«
10. Vorlesung (1805). Zit. nach Rietzschel: Gelehrsamkeit, S. 39f.
entnommen: »Archiv für Geschichte des Buchwesens, Band 30«
Walter de Gruyter, 1988

Zwei wunderbare Artikel gelesen, die ich nur empfehlen kann. Der eine behandelt das Thema der Urheberschaft von Texten und der mythischen Schlussfolgerung, dass die Autoren vom Verkauf  ihrer Bücher leben könnten. Der andere Artikel beschäftigt sich mit der Piraterie von ebooks und der Frage, ob man weg vom DRM und hin zu einer Flatrate für Buchdownloads gehen sollte.

Wer kann eigentlich von seinen Bücherverkäufen leben?

Können also Autoren vom Verkauf ihrer Bücher leben? Für eine Minderheit gilt das natürlich – und diese kennt man sehr gut. Die üblichen Verdächtigen, wenn man so will, die sich in den Top-Ten-Charts gut eingerichtet haben. Studien zeigen ja, dass diese Bestseller-Autoren in England rund 60 % (in Deutschland rund 40 %) der Gesamteinkünfte der Buchverkäufe einstreichen (und mit ihnen natürlich ihre Verlage). Während also die restlichen 99,9 % sich um die verbliebenen 40  % prügeln. Kurz gesagt: die Hälfte der Autoren darbt, die andere hält sich über Wasser. Trotzdem wird von der Buchindustrie die Parole ausgegeben, ebook-Piraterie würde die Existenz der Autoren gefährden. Aha. Genauso gut könnte man natürlich die Ignoranz des Lesepublikums dafür verantwortlich machen. Oder rigorose Zugangsbestimmungen am physischen Buchmarkt, der verstärkt auf Schnelldreher und Bestseller aus ist. Oder die exorbitanten Werbemaßnahmen von großen Publikumsverlagen, um Bücher „in den Markt zu drücken“ – und damit alle Aufmerksamkeit auf diese wenigen Bücher lenken. Da bleibt für andere kaum Luft zum Atmen. Blubb.

Die Piraten kommen!

Für wen ist also die Piraterie eine Gefahr? Für den darbenden Autor, der seinen Lebensunterhalt mit einem Brotjob verdient? Wohl kaum. Eher könnte es sogar – sarkastisch betrachtet – eine Chance für ihn darstellen. Würden nämlich viele illegale Kopien seines Buches im Umlauf sein, würde es dem Markt anzeigen, dass hier ein Potenzial vorhanden ist, das ausgeschöpft werden muss. Große Verlage würden dann nicht zögern, dem wenig bekannten Autor einen lukrativen Vertrag anzubieten – oder sein Buch würde stärker beworben werden. Illegal heruntergeladene Kopien sind genauso ein Indikator wie die verkauften Kopien. Das ist ja eigentlich schon wieder die Ironie der Geschichte. Weil der Markt diese Bestseller-Listen als eines der wirksamsten Verkaufsmaßnahmen adoptiert und in den Kopf des Konsumenten verpflanzt hat. Was »alle« lesen, muss jeder gelesen haben. Punkt. Durch diese Manipulation (de facto trägt der Konsument seinen eigenen Anteil daran, weil er ja einer großen Gruppe angehören will) ist der Wunsch, das Produkt zu besitzen, so stark, dass der Konsument vieles in Kauf nimmt. Dummerweise wählt er den einfachsten und schnellsten Weg. Wer erinnert sich an den Film-Klassiker Wargames?

Am Beginn des Filmes blättert der junge Matthew Broderick in einem Prospekt, das ein ultimatives Computer-Spiel anpreist, das aber nur vage angedeutet wird. Broderick ist sofort Feuer und Flamme. Er will es JETZT und nicht warten, bis das Spiel in die Läden kommt. Also versucht er sich in das System des Software-Unternehmens zu hacken, um das Spiel herunterzuladen (Telefon-Modem, you know?).

Auch dürfen wir nicht vergessen, dass nur ein Bruchteil der illegalen Kopien auch gekauft worden wären. Und wie viele am Ende überhaupt gelesen werden, auch das steht auf einem anderen Blatt Papier. Wie dem auch sei, der Artikel ist in jedem Fall lesenswert – auch wenn er vermutlich polarisiert (weil er den großen Verlagen den Schwarzen Peter zuschiebt).

Verlage fischen im Netz nach Manuskripten

Apropos Verlage. Vermehrt tauchen nun Communitys auf, die angehenden Autoren eine Plattform bieten, ihre Manuskripte einzustellen und von der Gemeinschaft bewerten zu lassen. Der Buchreport berichtet hier. Die besten Texte werden dann von Lektoren bekannter Verlage auf Publikationsfähigkeit untersucht und – wenn der Autor Glück hat – ins Programm genommen. Sowohl in Deutschland wie in den USA gibt es bereits gute Beispiele dafür. Eigentlich liegt es auf der Hand, dass hier ein Verlag seine Pluspunkte ausspielen kann. Einerseits haben große Publikumsverlage noch immer ein besonderes Flair, mit dem sich Autoren gerne brüsten, andererseits können die Verlage damit zukünftige Konsumenten an sich binden. Man wird sehen, was den Verlagen hier noch einfallen wird. Einfach wird es sicherlich nicht für sie. Weil jede Community ihr Eigenleben hat und es dadurch zu Konstellationen kommt, die nicht im Sinne des Erfinders sind. Will heißen: Neid und Eifersucht werden auf diesen Plattformen genauso eine Rolle spielen, wie Talent und Erfahrung oder Charme und Persönlichkeit. Für eine Psychologie-Studie wäre das jedenfalls ein empfehlenswertes Feld.