Die perfekte Symphonie

Es gibt sie, diese Augenblicke, wenn nichts mehr Sinn ergibt, die Gedanken kreuz und quer gehen und einfach nicht Halt machen wollen. Gespräche setzen an. Setzen aus. In Märwald schrieb ich seinerzeit, dass ihm das Fragezeichen zu einem Tintenfleck gerinnt, weil er die Federspitze nicht weiterzuführen verstand. So wird aus einer angestrebten Gewissheit wieder nur, vielleicht sogar zum Glück, eine Ungewissheit, die alles und nichts für den Schreiber dieser Zeilen bereithält. Schließlich und endlich war es die Perfekte Symphonie, die mit einer Zeitspanne von 4 Minuten und 25 Sekunden die durchschnittliche Dauer eines gewöhnlichen Liedes aufweist und trotzdem beinahe zeitlos ins Unendliche griff. Später einmal wird man oder frau es nicht verstehen, was sich in dieser so kurzen Zeitspanne ereignet hat, vielleicht auch, weil der Moment, wie wir wohl nur zu gut wissen, sich nicht festhalten und damit erklären lässt und am Ende einer verblassenden Erinnerung weicht. Der Dichter, der Poet, der Schriftsteller, gar alle Künstler, sie sind bestrebt, diesen magischen Augenblick festzuhalten, mit den Mitteln und Gaben, die ihnen der Himmel einst schenkte. Ach, wie sehr mühten sie sich, völlig im Schmerz die einen, völlig im Rausch die anderen, das Unmögliche möglich zu machen, dabei die Götter drohend herauszufordern. Es dauerte nicht lange, dann mussten sie wohl oder übel einsehen, dass die Liebe und das Leben nicht ewig währt und sich der Moment niemals zur Ruhe setzt. Wahrlich, der Künstler, er muss aus seinem Innersten schöpfen, will er seiner Muse gefallen. Er hat sich auszuliefern. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Traum für Traum. Bis das Gefühl einem sonderbaren Achselzucken weicht. Bis er ein weiteres Mal in das helle Lachen einer Frau fällt, dieser verfällt. Und doch, er ahnt es, auch wenn er es nicht wahrhaben will, dass er erneut in einer musischen Illusion badet, die ihm alles schenkt, alles gibt, nur eines nicht, die Wirklichkeit. Erneut wird er sich also auf den Weg machen, hinauf zur Burg, hinunter zur Restauration, dabei immer in den Wald lauschend und Ausschau haltend nach diesem ihm unbekannten Burgfräulein, das vor gar nicht langer Zeit seinen Weg kreuzte und, da seufzt er still, trotz seines Minnesangs, wie vom Erdboden verschwand. Das Schicksal wollte es so. Ein Warum ist müßig zu fragen. Es ist, wie es ist. Realität. Deshalb begibt sich der Künstler so ungern dorthin, wo Kälte und Einsamkeit warten. Dabei vergisst er, eins ums andere Mal, dass jeder erlebte magische Moment ein Kind der Realität ist. Das Leben, er weiß es, natürlich weiß er es, gehört gelebt. Und ja, die Möglichkeit ist das schönste Produkt der Freiheit. Vor Jahrzehnten schrieb er es nieder. Aber es ist heute so wahr wie damals. Und so bleibt nur noch eines, nämlich einen Brief zu dichten, der in einer symphonischen Sprachmelodie erklingen soll. Perfekt mag es nicht werden, dafür wahrhaftig und ehrlich.

Das Foto zeigt den Schriftsteller und die Malerin vor der Albertina, bevor sie Dr. Sönnichsen die Aufwartung machen, im Mai 2024.

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