Gedanken zum Finale der Europameisterschaft in Frankreich 2016
PORTUGAL : FRANKREICH 1:0 n. V.
Kurios. Nach 13 Minuten humpelte Ronaldo nach einer ungestümen Attacke von Payet den Rasen hinauf und hinunter. Der Geist war willig, aber das geschundene Fleisch schwach – eine viertel Stunde später ließ sich der wohl beste portugiesische Spieler mit Tränen in den Augen vom Feld tragen. Armer Ronaldo, dachten die einen. Guter Payet, die anderen. Ja, Christiano polarisiert die Fans – damals wie heute.
Das Finalspiel selbst war, wie zu erwarten, eine laue, öde Partie. Die Portugiesen wollten nicht, die Franzosen trauten sich nicht. Die Nervosität der Spieler – hüben wie drüben – war ihnen im Gesicht abzulesen. Viel stand auf dem Spiel. Natürlich. Das haben Finalspiele so an sich, hier geht es um das große Ganze. Der zweite Platz ist genauso gut wie der letzte. Nur der Sieg zählt. Wir wissen es. Die Spieler dito. Deshalb beginnt und endet der Kampf im Kopf der Spieler. Wer mental die Oberhand behält, trägt gewöhnlich den Pokal nach Hause – kein Wunder also, dass es an diesem Sonntag in die Verlängerung ging und alles nach einem Elfmeterschießen aussah. Doch zehn Minuten vor dem Ende der Verlängerung nimmt sich der eingewechselte Eder ein Herz und zieht zwanzig Meter vor dem Tor ab. Der scharfe Schuss passte genau in die Ecke. Torhüter Lloris – und damit auch seine Mannschaft – war geschlagen. Dabei hätte Gignac – der für den farblosen Giroud kam – in der Nachspielzeit der regulären Spielzeit die Entscheidung herbeispitzeln können – aber die Stange hielt die Portugiesen – wie bereits gegen Kroatien – auch diesmal im Spiel.
Wie gesagt, über das Spiel selbst muss man nicht viele Worte verlieren. Es war kein Fußballspiel, vielmehr ein nervöses Abtasten. Dabei hätten die Franzosen nach ihrem überraschenden Sieg gegen den amtierenden Weltmeister Deutschland und mit dem Heimvorteil im Rücken allen Grund gehabt, mit Verve und élan vitale das Tor zu suchen. Statt dessen versagten Nerven und Beine der sonst so überragenden Spieler des Turniers: Payet, Pogba, Giroud, Griezman.
Man stelle sich vor, die Equipe Tricolore hätte gewonnen und würde in einem Atemzug mit den beiden außergewöhnlichen Siegermannschaften der EM 1984 und der EM 1998 genannt werden. Mon Dieu! Das hätte die besondere Aura der goldenen Generation von Platini & Co sowie Zidane & Co verpuffen lassen. Die Medien und Fans hätten Vergleiche mit der glorreichen Vergangenheit gezogen. Non! Seien wir demnach froh, dass es soweit nicht gekommen ist. Es mag schlimm genug sein, dass eine durchschnittliche portugiesische Mannschaft jenen Pokal nach Hause mitnehmen durfte, der eigentlich der goldenen Generation der EM 2004 gebührt hätte. Figo, Deco, Rui Costa, Maniche, Nuno Gomes, Boswinga usw., sie waren famose Fußballer und hatten das gewisse Etwas. Gerade dieses gewisse Etwas ist dem europäischen Fußball in den letzten Jahren abhanden gekommen. Vielleicht wird die Weltmeisterschaft 2018 das Ende der europäischen Vorherrschaft am grünen Rasen einläuten. Bereits bei der WM 2014 in Brasilien ließen die Newcomer Kolumbien, Chile und Costa Rica aufhorchen, wurde Dauerbrenner Mexiko nur durch ein umstrittenes Robben-Foul aus dem Achtelfinale gekickt, spielte die französische B-Elf der Algerier den späteren Weltmeister schwindlig und zeigten die Amerikaner (wie die Ungarn), dass sie auch bereit waren, mit wehenden Fahnen ins offene belgische Offensivmesser zu laufen. Was den nichteuropäischen Teams bisher gefehlt hat, war diese besondere Abgebrühtheit. Aus Erfahrung gut, kommt einem da in den werbeverseuchten Sinn.
Die diesjährige Europameisterschaft hat jedenfalls gezeigt, dass Einzelleistung vor Mannschaftsleistung ging. Ohne Payet hätte Frankreich die Gruppenphase wohl nicht als Sieger beendet und ohne Griezmann wäre es zu keinem Finalspiel gekommen. Im Übrigen bin ich noch immer der Meinung, dass die französische (genauso wie die englische und spanische) Nationalmannschaft kein funktionierendes Team ist. Beim amtierenden Weltmeister Deutschland liefen viele Spieler ihrer Form hinterher bzw. waren mental ausgebrannt. Gleiches gilt für den letzten Europameister Spanien.
Die beste Mannschaftsleistung gab es meiner Meinung nach von Kroatien und Italien. Hätten die Kroaten im Achtelfinale gegen Portugal nicht mit angezogener Handbremse gespielt, vielleicht würden sie nun den Pokal in Zagreb ausstellen. Und hätten die Italiener statt Zaza nur ein wenig Glück gehabt, würde ganz Italien ihren Fußballpensionisten zujubeln können. Gewiss, es ist müßig, jetzt über vergebene Elfmeter (Österreich!) oder unglückliche Stangenschüsse (Österreich!) zu sinnieren. Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht mehr zu ändern ist, wusste bereits Peter Alexander 1962 zu singen.
Diese Europameisterschaft wird man wohl alsbald vergessen. Erwähnenswerte Spiele gab es wenige. Am besten gefiel mir noch das letzte und entscheidende Gruppenspiel zwischen Albanien und Rumänien. Auf dem Papier hätte es eine müde Partie werden müssen – aber auf dem Rasen war einiges los und das Spiel ließ jedes Fußballherz höher schlagen. Sehenswert natürlich auch die übermotivierten Italiener, die den Spaniern die Grenzen ihres Ballherumgeschiebes aufzeigten. Trainer Löw dürfte so beeindruckt gewesen sein, dass er sich eine spezielle Taktik für Buffon & Co überlegte – dadurch machte er die Italiener (defensiv) stärker und die Deutschen (offensiv) schwächer. Der Schuss hätte demnach leicht nach hinten gehen können. Kurz, Löw hatte keine Eier in der Hose – auch wenn er es hin und wieder nachprüfte. Das Elfmeterschießen entwickelte sich freundlicherweise zum absoluten Thriller. Mon Dieu, was haben wir gelacht.