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Über den Verlust der Schönheit und die seelische Abstumpfung

Hillman_youtube

Bevor heute Abend die Europameisterschaft in die Endphase geht, noch schnell ein paar Zeilen über die Gedanken des US-Psychologen James Hillman (1926-2011). Auf youtube können Sie eine Vielzahl an Vorträgen, Interviews und Gespräche abrufen. Sie werden erstaunt sein, was Sie da zu hören bekommen.

Für Hillman war der Mensch in erster Linie ein politisches Lebewesen – Aristoteles prägte seinerzeit den Begriff Zoon politikon. Mit anderen Worten, der Mensch ist aktiver Teil der Gemeinschaft, hat Anteil an den äußeren Umständen und – dies ist der springende Punkt – leidet an der gesellschaftlichen Dysfunktion. Die Psychotherapie, so Hillman, würde sich nur auf die innere Befindlichkeit des Patienten konzentrieren und dabei äußere Zustände außer Acht lassen. Hilmann wollte den Menschen aus seiner Realitätsverweigerung aufrütteln, ihn von der seelischen Abstumpfung (psychic numbing) befreien und ihn empfindlicher gegenüber Dysfunktionen machen.

Sehen Sie, würden wir ein politisches Lebewesen sein, das ein ausgeprägtes ästhetisches Empfinden hätte, würden wir beispielsweise all die Architekten, Städteplaner, Geldgeber und Eigentümer (genauso eine Vielzahl moderner Künstler) mit nassen Fetzen aus ihren Villen in die Gosse prügeln. Sehen Sie sich um. Nichtssagende Mietshäuser reihen sich an seelenlose Bürotürme. Schauen Sie sich den Sozialbau der 1920er und 1930er Jahre an und vergleichen Sie sie mit jenen der 1950er bis heute. Der kalte Ekelschauder läuft einem dabei den Rücken hinunter. Und keiner, der auch nur mit der Schulter zuckt. Weil Funktion vor Schönheit und Ästhetik gestellt wurde und wird. Aber darf man sich dann wundern, wenn wir keine freien Menschen, sondern nur noch funktionierende Lebenserhalter haben, die sich mit allerlei künstlichen Mitteln der unschönen und unästhetischen Welt zu entziehen versuchen? Warum blicken all die Leutchen auf ihre Smartphones und flüchten in virtuelle Welten, wenn sie unterwegs sind? Weil sie nicht sehen wollen, wie hässlich die Stadt um sie herum geworden ist. Instinktiv spüren sie, dass die Außenwelt aus den Fugen geraten ist – aber da wir uns nicht mehr als politisches Lebewesen verstehen, welches Einfluss nehmen und so das Fehlerhafte korrigieren kann, stecken wir unsere Köpfe in den Sand.

Die Demokratie hat uns ironischerweise weniger politisch gemacht, weil sich der Bürger zum Wähler degradieren hat lassen und der Zusammenhalt der Gemeinschaft durch die Ich-Bezogenheit aufgeweicht wurde und wird. All diese gesellschaftlichen und weltlichen und politischen Auswüchse beeinflussen unsere Psyche und machen uns krank. Aber je mehr wir unser Hauptaugenmerk nach innen richten – im Glauben, auf diese Weise zu gesunden -, um so mehr vernachlässigen wir die politische Welt, die uns krank macht (›The more we internalise, the more we neglect the political world‹)

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