Die Tagebücher des Richard K. Breuer

„Scheiss drauf, mach’s einfach!“ – Die Illusion des Reisenden

„Scheiß drauf, mach’s einfach!“, sagte mir S. unverblümt am Küchentisch, damals, als ich mit Hundert und einer Sorge beladen mein Dilemma bejammerte. Es war das Lachen von S., das mich zu Bariccos Seide verführte und mich nur wenig später inspirativ deflorierte. Aus dieser musischen Bestäubung kam die Idee zu Azadeh oder Die 13 Tage des Leutnant Johann Gottfried von Märwald, das im Wien des Jahres 1899 spielen sollte. Die Geschichte zog mich in den Bann, konnte ich doch aus dem Innersten schöpfen. Die Entscheidung, den sicheren Brotjob zu quittieren, um von nun an der brotlosen Schriftstellerei zu dienen, fiel mir gar nicht leicht. Tag um Tag, Nacht um Nacht kamen Zweifel, Sorgen und Ängste. Da saß ich also bei S., die meine kummervolle Litanei ein weiteres Mal über sich ergehen lassen musste. Vermutlich war es ihr zu blöd, dieses Häufchen Elend in der Küche sitzen zu haben, hat draußen doch die Sonne gelacht, zeigte sich ein blauer Himmel. Ihr derber Fußtritt ist noch heute zu spüren.

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, lasse ich A. im neuen Roman sagen. Man könnte auch Schnitzler zitieren: „Am Ende gilt nur was wir getan und gelebt, nicht was wir ersehnt haben“. Oder aber, schlag nach bei Azadeh, wo ich als Erzähler anmerke, dass die Illusion den Reisenden alles gibt, nur nicht die Realität. Am Ende verdurstet er in der realen Welt. So ist das.

Hätte ich damals nicht getan, was getan werden musste, keines der Bücher wäre je geschrieben worden. Das Œuvre, das ich in den letzten bald 20 Jahren an den Tag legte, ist mit Sicherheit unerreicht und ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemals erreicht werden kann. Von romantischen Liebesgedichten, zarten Liebesbriefen, einem Jahrhundertwende-Roman, eine skurrile Science-Fiction-Komödie sowie ein 4-teiliges Historiendrama, das einen Hercule-Poirot-Kriminalfall beinhaltet, als auch die absurde Wiener Krimikomödie und die autobiographische Fiktion eines Fetischisten und schließlich das 600-seitige Sachbuch über die politische Welt mit 1200 Fußnoten. Von einem Theaterstück, Erotik-Büchlein, Parabeln, Fußball-WM/EM-Beiträge, allerlei Blogbeiträge aus 14 Jahren, sowie einer literarischen Versuchsanordnung ganz zu schweigen. Nebenbei habe ich die „Terroranschläge“ in Nizza und Las Vegas penibelst recherchiert und in einem Magazin veröffentlicht. Und schließlich und endlich ein Kasten voller Tagebücher. Man sage mir, ob es Vergleichbares gibt, geben kann?

Damit will ich nicht hochmütig die Götter herausfordern, vielmehr will ich zeigen, dass meine Entscheidung, die nur ein gedanklicher Funke gewesen ist, am Ende solch reale Schätze hervorbrachte, die für die Ewigkeit bestimmt sind.

Wenn einem die Muse mit einem Kuss belohnt, so ist dafür ein Preis zu zahlen. So durfte ich mich in musischen Traumwelten verlieren, mich als Herr über das geschriebene Wort erheben, immer den perfekten Satz suchend und hie und da findend, aber in der Wirklichkeit meines Lebens, so lächelte sie, sollte ich in Sehnsucht vergehen.

Ja, ein Preis ist immer zu zahlen.

Und ich zahlte.

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