Die einzig richtige Weltanschauung oder Wie sich die sozialen Medien verändert haben

Karl May hätte sich hier seine Inspiration holen können.
Karl May hätte sich hier seine Inspiration holen können. Wien, anno 2015.

Ich weiß nicht, was mehr zu fürchten ist – Straßen voller Soldaten, die ans Plündern gewöhnt sind, oder Dachkammern voller Schreiberlinge, die ans Lügen gewohnt sind.

Samuel Johnson [1709-1784]
zit. n. Freda Utley in
Kostspielige Rache [The High Cost of Vengeance], S. 13.
H. H. Nölke Verlag, Hamburg 1952

Es ist bemerkenswert, dass die Hoffnungen und Visionen der Humanisten des 15. Jahrhunderts heutzutage in Erfüllung gegangen sind: der Mensch kann schreiben und lesen, er hat Zugriff auf Bücher und wissenschaftliche Publikationen, er kann sich an jeden Diskurs beteiligen und seine Meinung nicht nur frei äußern, sondern diese auch – ohne begütert sein zu müssen – veröffentlichen. Erasmus von Rotterdam (1466-1536) würde sicherlich begeistert sein, vom Web 3.0. Warum, fragt man sich dann, hat sich die zivilisierte Welt nicht in ein Paradies verwandelt? Ich befürchte, die altehrwürdigen Philosophen waren zu naiv, zu blauäugig. Sie konnten nicht im Geringsten ahnen, dass in ferner Zukunft die Obrigkeit imstande sein würde, eine gebildete und belesene Masse auf einfache Art und Weise zu manipulieren und zu indoktrinieren. Die Ingredienzen dafür sind Zuckerbrot, Peitsche und die Kenntnis des Herdeninstinkts.

Social Media hat sich verändert. Ist es Ihnen auch aufgefallen? Immer mehr Leutchen tummeln sich auf den Medienkanälen und suchen nach Aufmerksamkeit. Immer mehr Leutchen wollen dir etwas verkaufen. Immer mehr Leutchen wollen ihre Weltanschauung, die einzig richtige, in die Welt posaunen – begleitet von Pauken und Trompeten. Es ist kaum mehr möglich, diesen teils idealistischen, teils professionellen Heilsverkündern zu entgehen, die meinen, die alleinige Wahrheit gepachtet zu haben. Sie glauben sich aufgeklärt und frei, dabei werden sie nach Strich und Faden von der „vernünftigen Minderheit“ [intelligent few] manipuliert. Ohne es auch nur im Geringsten zu ahnen, gehören Sie längst zur Fußtruppe der elitären Machthaber. Auf ein Foto, auf ein Wort hin „magdeburgisiert“ dieser politisch korrekte Heerhaufen jede Gesprächsbasis. Dem ideologischen Feind wird der „schwedische Trunk“ in die Kommentarzeile gespült. Auf dass seine Erklärungen elendiglich ersticken. Wir haben es hier mit einem virtuellen Kreuzzug der wahren Gläubigen zu tun, die jeden Heiden bekehren möchten. Misslingt es, wird der Frevler mit Spott und Häme ins Jenseits, pardon, gesellschaftliche und berufliche Abseits befördert, wo er langsam vor die Hunde zu gehen hat. Vergebung gibt es für den Gefallenen nur dann, wenn er zu Kreuze kriecht und Abbitte leistet. Gnade wird nicht gewährt. Wehe den Besiegten.

Die bewusste und kluge Manipulation von Verhaltensweisen und Meinungsbildern der Masse ist ein wesentliches Element in einer demokratischen Gesellschaft. Jene, die diese verborgenen gesellschaftlichen Mechanismen manipulieren, stellen eine unsichtbare Regierung dar, die in unserem Land die wahre herrschende Macht ist. Wir werden regiert, unsere Gedanken und Geschmäcker geformt, unsere Ideen vorgedacht, hauptsächlich von Männern, von denen wir noch nie etwas gehört haben. Das ist das logische Ergebnis der Art wie unsere demokratische Gesellschaft organisiert ist. Eine gewaltige Anzahl an menschlichen Geschöpfen muss auf diese Weise miteinander auskommen, wenn sie gemeinsam in einer reibungslos funktionierenden Gesellschaft leben möchte. […] Wie immer man auch darüber denken mag, es bleibt eine Tatsache, dass wir in so gut wie allen Aspekten unseres Lebens, sei es in politischen oder wirtschaftlichen Angelegenheiten, sei es in unserem Sozialverhalten oder in unserem Moralverständnis, von einer relativ kleinen Gruppe (angesichts der 120 Millionen [Einwohner der USA] nur ein unbedeutender Bruchteil) dominiert werden, welche die Denkvorgänge und die sozialen Verhaltensmuster der Masse verstehen. Diese Gruppe ist es, die die Fäden zieht, welche die öffentliche Meinung steuern, diese Gruppe ist es, die sich alte gesellschaftliche Zwänge nutzbar macht und neue Wege findet, um die Welt zusammenzuhalten und zu führen.

Propaganda [1928]
Edward Bernays [1891-1995]
Doppelneffe von Sigmund Freud
meine Übersetzung, Seite 9f.

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