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Zwei Filme, eine Wahrheit: Ist das Leben nicht schön? vs. The Big Short

WonderfulLife-BigShort

Zugegeben, es war der Beitrag von nerdwriter über den »Weihnachtsfilm« It’s a wonderful life [Ist das Leben nicht schön?] aus dem Jahr 1946, der mich auf die richtige gedankliche Spur brachte. Den Film kennt vermutlich jeder. Um den 24. Dezember herum wird er im TV rauf und runter gespielt, weil er zeigt, wie schön das Leben sein kann, wenn man zur Weihnachtszeit all seine Freunde und Liebsten um sich hat und gemeinsam Auld Lang Syne (übrigens die einzige Melodie, die ich im Jugendalter für das Klavier einstudierte) singen kann. Dass ein Engel, ein Schutzengel versteht sich, im letzten Akt des Films auftritt und eine zentrale Rolle spielt, dürfte ebenfalls zur christlich-weihnachtlichen Feststimmung beitragen. Zu guter Letzt freuen wir uns mit Jimmy Stewart, wenn er seine Lebensfreude wiedergewinnt. Herz, was willst du mehr, an einem verschneiten Weihnachtsabend?

The Big Short hat nichts, aber auch gar nichts mit Weihnachten zu tun. Der Film will dem in großen Geldsachen unerfahrenen und naiven Kinogänger über die betrügerischen Hintergründe der Finanzkrise von 2008 aufklären. Ja, die Filmemacher gaben sich die größte Mühe, komplexe und unverständliche Sachverhalte des Wertpapier-Hypothekarkredit-Karussells einfach und simpel auf den springenden Punkt zu bringen. Und trotzdem grübelt man über das Gesagte und versucht, das bestehende, sozusagen eigene Finanzbild mit dem globalen in Einklang zu bringen. Natürlich versagt hier das menschliche Gehirn des einfachen und rechtschaffenen Mannes, wenn die Rede auf Millionen, Milliarden und schließlich Billionen kommt. Wie soll man diese Größenordnungen überhaupt verarbeiten können, wenn man selbst nur mit Tausenden von Euros oder Dollars zu leben hat? Meine Wenigkeit hatte vor vielen Jahren im Wertpapierbereich gearbeitet und dabei Milliarden, freilich noch in den guten alten Schillingen, von einem Konto auf ein anderes geschoben. Gelddisposition nannte sich das damals. Und ist heute nicht anders. Ich habe Kredit-Wertpapier-Finanzkonstrukte genauso wie all die Börsengänge der österreichischen Ent-Staatlichungsmaschinerie abgewickelt. Ich darf mit Fug und Recht behaupten, ein Gespür für die monetär-technischen Belange zu haben – und trotzdem ist der Knopf im Oberstübchen kaum aufzulösen. Es ist diese Abstraktion, die einem so schwer zu schaffen macht. Wer ist der Böse? Wer ist der Verantwortliche? Wie der Film am Ende aufklärt, wurden zwar Billionen von Dollars in der Krise „vernichtet“, aber ins Gefängnis ging dafür niemand. Nebenbei bemerkt, eine Krise „vernichtet“ nur Werte auf dem Papier, mit anderen Worten, das geflossene Geld fließt weiterhin – nur in die Tasche anderer Leutchen.

Zurück zu Frank Capras It’s a wonderful life. Der Film ist oberflächlich betrachtet eine hübsch sentimentale Weihnachtsgeschichte, die zeigt, dass die Community, die Gemeinde, die zusammenhält, gegen alle Widrigkeiten des (Wirtschafts- und Finanz-)Lebens gewappnet ist. Unter der Oberfläche zeigt der Film aber, wie eine Gemeinschaft gewöhnlicher Menschen von einem un-christlichen Finanzsystem in die Knie gezwungen wird. Während The Big Short sich mit allerlei Wall-Street-Vokabeln im Nebel der Abstraktion verliert, bleibt It’s a wonderful life der menschlichen Dramaturgie treu: Hier George Bailey, der rechtschaffen-christliche Sohn des Gründers einer kleinen Bausparkasse, dort Henry F. Potter, der alte geldgierige Spekulant, der den Hals nicht voll genug bekommen kann und alle Mitteln ausschöpft, um Buslinien, Geschäfte und Banken der Stadt an sich zu reißen. Es ist der oft verfilmte Kampf David gegen Goliath – und David gewinnt nur deshalb (vorerst) die eine Schlacht am Weihnachtsabend, weil die Gemeinschaft zusammenhält.

Doch Capras Film geht tiefer. Henry F. Potter ist nämlich nicht nur die Karikatur eines alten böswilligen Geizhalses, sondern er stellt das kapitalistische un-christliche Finanz- und Geldsystem dar. Der Film zeigt, was das System aus einer Gemeinde macht, die sich dem Diktat Mammons beugt – im letzten Akt sehen wir Jimmy Stewart/George Bailey, wie er durch seine ehemalige Heimatstadt Bedford Falls läuft, die sich ohne Widerstand in ein Sodom namens Potterville verwandelt hätte, in der jeder nur noch für sich lebt und wo alles erlaubt ist, so lange es Geld einbringt. Wer diesen Film mit offenen Augen betrachtet, ahnt im Stillen, dass wir längst in Potterville angekommen sind. Die heile Welt eines George Baileys anno 1947, nämlich eine gesunde und damit unbestechliche Gemeinde, die sich an christlichen Werten orientiert, wurde durch die Propaganda der Wall Street Tag für Tag lächerlich gemacht und in den Schmutz gezogen.

Wenn Sie also wissen wollen, wie es zu der globalen Finanzkrise von 2008, die in den USA ihren Anfang nahm, überhaupt kommen konnte, so gibt Frank Capras »Weihnachtsfilm« die Antwort: Es mussten über die Jahre nur all die politischen, medialen und wirtschaftlichen Schlüsselpositionen mit korrupten und geldgierigen, sozusagen un-christlichen Henry F. Potters besetzt werden, die von einem erstrebenswerten »Paradies« namens Sodom fabulierten, während die Gemeinde und der Einzelne Stück für Stück in die Knie gezwungen wurde: weniger Jobs, mehr Kredite, skrupellose Vertrauensleute, brachialer Medieneinfluss, leicht zugängliche Suchtmittel usw. George Baileys Monolog, der vermutlich gerne überhört wird (und in der deutschen Synchronfassung ein wenig entschärft wirkt), ist der Schlüssel zum Verständnis für all die „unvorhersehbaren“ Finanz- und Wirtschaftskrisen, die das Vieh ärmer und abhängiger und die Viehtreiber reicher und mächtiger gemacht haben.

[meine Übersetzung:] »Augenblick, Mr. Potter. Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass mein Vater kein Geschäftsmann war. Ich weiß das. Warum er überhaupt diese wertlose und kleinkrämerische Building and Loan (Hypothekenbank) gegründet hat, werde ich wohl nie mehr erfahren. Aber weder Sie noch irgendjemand anderes kann etwas gegen seinen rechtschaffenen Charakter sagen, weil er sein ganzes Leben … weil, in den 25 Jahren, seit er mit seinem Bruder, Onkel Billy, diese Sache gestartet hatte, dachte er kein einziges Mal an sich selbst. Stimmt’s, Onkel Billy? Er sparte nicht mal genug Geld, um (meinen kleinen Bruder) Harry oder mich aufs College zu schicken. Aber er half ein paar armen Leuten, um aus Ihren Elendsquartieren (Slums) herauszukommen, Mr. Potter, und was ist daran falsch? Sie hier … Sie sind alles Geschäftsleute. Machte mein Vater nicht aus all diesen armen Leuten bessere Steuerzahler? Machte er nicht aus ihnen bessere Kunden? Sie … Sie sagten … Was haben Sie vorhin gesagt, Mr. Potter? Diese Leute sollten warten und ihr Geld sparen, bevor sie überhaupt von einem neuen Heim sprechen. Warten? Wie lange sollen sie warten? Bis die Kinder erwachsen und sie selbst alt und gebrechlich sind? … Wissen Sie eigentlich, wie lange ein Arbeiter braucht, um den Preis für ein neues Heim anzusparen? Denken Sie doch darüber einmal nach, Mr. Potter, dass dieses Gesindel, wie Sie diese Leute nennen, der größte Teil der Gemeinde ist, der arbeitet und zahlt und lebt und stirbt. Ist es dann wirklich zu viel verlangt, wenn man diesen Leuten die Möglichkeit bietet, all ihr Arbeiten und Zahlen und Leben und Sterben wenigstens in ein paar ansprechenden Zimmern und einem Bad zu tun? Wie dem auch sei, mein Vater dachte jedenfalls nicht schlecht von ihnen. Die Leute waren für ihn menschliche Wesen. Aber für Sie, Mr. Potter, einem krummen, frustrierten alten Mann, für Sie sind diese Leute nur Vieh. Und in meinem Buch starb mein Vater viel reicher als Sie es je werden können.«

»Just a minute… just a minute. Now, hold on, Mr. Potter. You’re right when you say my father was no businessman. I know that. Why he ever started this cheap, penny-ante Building and Loan, I’ll never know. But neither you nor anyone else can say anything against his character, because his whole life was… why, in the 25 years since he and his brother, Uncle Billy, started this thing, he never once thought of himself. Isn’t that right, Uncle Billy? He didn’t save enough money to send Harry away to college, let alone me. But he did help a few people get out of your slums, Mr. Potter, and what’s wrong with that? Why… here, you’re all businessmen here. Doesn’t it make them better citizens? Doesn’t it make them better customers? You… you said… what’d you say a minute ago? They had to wait and save their money before they even ought to think of a decent home. Wait? Wait for what? Until their children grow up and leave them? Until they’re so old and broken down that they… Do you know how long it takes a working man to save $5,000? Just remember this, Mr. Potter, that this rabble you’re talking about… they do most of the working and paying and living and dying in this community. Well, is it too much to have them work and pay and live and die in a couple of decent rooms and a bath? Anyway, my father didn’t think so. People were human beings to him. But to you, a warped, frustrated old man, they’re cattle. Well in my book, my father died a much richer man than you’ll ever be!«

It’s a wonderful life
Frank Capra, 1946

 

Die Feinde einer stabilen Gesellschaft oder Wie Nixon die Welt sah

»Homosexualität, Drogen, Sittenlosigkeit im Allgemeinen. Dies sind die Feinde einer stabilen Gesellschaft.«

US-Präsident Richard Nixon im Jahr 1971 [meine Übersetzung]

Vor wenigen Tagen hat der US-Bezahl-Sender HBO die Doku Nixon by Nixon: In His Owen Words gezeigt. In den rund 70 Minuten wird dem (vermutlich unbedarften) Zuseher ein zynisch-realpolitischer Blick hinter die Kulissen des Oval Offices gewährt. Der damalige Präsident Richard Nixon (1969 – 74) ließ nämlich mehrere Amtsräume im Weißen Haus heimlich abhören und auf Tonband aufnehmen. Diese Tonbänder, die – dank des Watergate Skandals – in die Öffentlichkeit gelangten, sind nun zur Gänze public domain, also für jedermann und jederfrau einseh- und abhörbar. Starker Tobak, was wir da zu hören bekommen. Nichts für zarte Gemüter. Freilich, der gewöhnliche Bürger sollte längst wissen, dass jeder, der sich für die allerhöchste Politik entscheidet, mit Sicherheit eine – pardon – Schraube locker haben muss. In meinem Buch widmete ich Nixon und seinem Watergate Skandal jeweils ein großes Kapitel, vor allem deshalb, um dem Leser zu zeigen, was Macht mit Menschen anstellt und umgekehrt. Eine Ausnahme stellt Nixon in keinem Fall dar. Er ist die Regel eines Systems, das nur ein Ziel kennt: Kontrolle! Aber Nixon zu den bösen Halunken zu zählen, also, nein, so einfach ist es nicht. Bis dato bin ich noch nicht dahintergekommen, was es mit ihm und dem Watergate Skandal auf sich hat. Vermutlich bleibt es eines der größten Rätsel der hohen Politik der Nachkriegszeit. Hier nun eine ausgewählte Kostprobe Richard Nixons im O-Ton:

 »Homosexuality, dope, immorality in general. These are the enemies of strong societies. Goddammit,  we have got to stand up to these people. I do not mind the homosexuality. I understand it. Nevertheless, the point that I want to make is that goddammit, I do not think that you glorify the homosexuality. Any more than you glorify whores. Now we all know we have weaknesses and so forth and so on. But, goddammit, what do you think that does to kids? You know what happend with the greeks. Homosexuality destroyed them. Sure, Aristotle was a homo; we all know that, so was Socrates. You know what happend to the Romans? The last six Roman emperors were fags. You know what happend to the Popes? The Po-po popes were laying the nuns. That’s been going on for years, centuries. But when the Popes — When the Catholic Church went to hell it was homosexuality. And finally had to be cleaned out.« [HBO Documentary]

Es scheint, dass die Macher der Doku die Tonband-Aufzeichnungen ein wenig geglättet haben. Im Original (das ich nicht verifizieren konnte!) heißt es laut der NGO Common Sense for Drug Policy wie folg:

Nixon: »But, nevertheless, the point that I make is that God damn it, I do not think that you glorify on public television homosexuality. The reason you don’t glorify it, John, anymore than you glorify, uh, uh, uh, whores. Now we all know people who have whores and we all know that people are just, uh, do that, we all have weaknesses and so forth and so on, but God damn it, what do you think that does to kids? What do you think that does to 11 and 12 year old boys when they see that? Why is it that the Scouts, the, why is it that the Boys Clubs, we were there, we constantly had to clean up the staffs to keep the Goddamned fags out of it. Because, not because of them, they can go out and do anything they damn please, [unintelligible] all those kids? You know, there’s a little tendency among them all. Well by God can I tell you it outraged me. Not for any moral reason. Most people are outraged for moral reasons, I, it outraged me because I don’t want to see this country go that way. You know there are countries — You ever see what happened, you know what happened to the Greeks. Homosexuality destroyed them. Sure, Aristotle was a homo, we all know that, so was Socrates.«

Ehrlichman: »He never had the influence that television had.«

Nixon: »Do you know what happened to the Romes, Romans? The last six Roman emperors were fags. The last six. Nero had a public wedding to a boy. Yeah. And they’d [unintelligible]. You know that. You know what happened to the Popes? It’s all right that, po-po-Popes were laying the nuns, that’s been going on for years, centuries, but, when the popes, when the Catholic Church went to hell, in, I don’t know, three or four centuries ago, it was homosexual. And finally it had to be cleaned out. Now, that’s what’s happened to Britain, it happened earlier to France. And let’s look at the strong societies. The Russians. God damn it, they root them out, they don’t let them around at all. You know what I mean? I don’t know what they do with them. Now, we are allowing this in this country when we show [unintelligible]. Dope? Do you think the Russians allow dope? Hell no. Not if they can allow, not if they can catch it, they send them up. You see, homosexuality, dope, immorality in general: These are the enemies of strong societies. That’s why the Communists and the left-wingers are pushing the stuff, they’re trying to destroy us.«

May 13, 1971, between 10:30am and 12:30pm — Oval Office Conversation 498-5– meeting with Nixon, Haldeman and Ehrlichman [The President and his advisors were discussing a recent episode of „All in the Family,“ a television show on CBS. President Nixon was offended by the show’s favorable treatment of homosexuals.]

 

Untervögelt oder Warum sich im Web kein Schwanz für dich interessiert

New York Magazine - 14. Februar 1972: The Birth of New Journalism by Tom Wolfe

Okay. Diese Beitrag hat nichts mit Sex am Hut. Wirklich. Ist das jetzt enttäuschend? Andererseits, alles was wir tun und nicht tun hat am Ende doch mit Sex zu tun. Glauben Sie jetzt vermutlich nicht, weil Sie ein braver Spießbürger sind, wie? Na, wollen wir nicht wieder abschweifen, weil Zeit heutzutage ein kostbares Gut ist, das es nicht im Angebot beim Diskonter ums Eck gibt. Jedenfalls hätte ich es noch nicht gesehen. Sie vielleicht?

Gestern durch Zufall auf den wichtig(st)en Artikel in der Online Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit gestoßen: »Fanatiker des Augenblicks«. Der Titel ist jetzt ein wenig sperrig und muss erklärt werden. In diesem Artikel geht es um die Tyrannei des Augenblicks. Okay, das erklärt auch nichts. Dann zitiere ich mal frech.

Die Gegenwart wird zerlegt, in lauter adrenalinkickende Sequenzen, in Ereignis- und Erlebnisfolgen, die wir, wie die Soziologen Thomas Eriksen und Hartmut Rosa meinen, als »Tyrannei des Augenblicks« beschreiben könnten. Bei Eriksen bedeutet diese Tyrannei, dass die rasenden Überinformationen uns ratloser und uninformierter werden lassen. link

Da haben wir’s: Überinformation! Ja, das ist es. Schlagen Sie mal eine Zeitung auf. Oder am besten zwei (kosten ja heute nichts mehr). Dann hören Sie die Nachrichten im Radio. Gucken die News im TV, verfolgen dort eine Diskussion und schließlich, als Draufgabe, klicken Sie mal schnell ins Web, um sich zu informieren. Haha. Ein köstlicher Witz.

Noch nie in der Menschheit war der Einzelne so informiert wie heute und doch ist zu befürchten, dass er weniger versteht und so die falschen Schlüsse zieht. Wir gehen davon aus, dass ein Ereignis, ein Event, objektiv beschreibbar ist. Wir wollen wissen, was wirklich wirklich geschehen ist. Aber das ist nicht möglich. Gut, das sagen uns die Medien natürlich nicht – weil es ja ihr Geschäftsmodell ist, so zu tun, als hätten sie die alleinige Wahrheit gepachtet. Bullshit. Natürlich.

Gerade kocht die Volksseele in England. Weil der Medien-Tycoon Rupert Murdoch mit seinem Medien-Imperium daneben gegriffen hat. Das Boulevardblatt News of the World hat sich ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt und gesetzeswidrige Aktionen gestartet, um zu einer heißen Story zu kommen. Immer mehr Details blubbern gerade an die Oberfläche und schon sind wir in einem spannenden Polit-Thriller. Nebenbei wurde einer der Kronzeugen tot aufgefunden. Es soll ein natürlicher Tod gewesen sein. Freilich. Die Aufregung war bestimmt zu viel für ihn. Wollen wir uns da nicht in konspirative Theorien verstricken. Das ist peinlich und wird von der Wahrheits-GESTAPO mit Kopfschütteln bestraft.

Eine gute Zusammenfassung gibt Buchautor und Journalist Jeff Jarvis in seinem Google+ Profil ab. Und weil Google+ ja ein offenes Netzwerk ist (aber es nicht leiden mag, wenn sich jemand anonymisiert), können Sie seinen Senf samt den vielen Kommentaren seiner Kontakte lesen. Bitte sehr. Der gute Jeff Jarvis spricht in seinem Beitrag davon, dass ihm die enge Verquickung zwischen Medienleuten und Politiker schockiert hat und schließt mit den Worten, dass wahrer Journalismus als Plattform für die Öffentlichkeit (Volk) dienen muss (»true journalism will act as a platform for the public«).

Tja. Ich sage es ja immer wieder – aber wer hört schon auf einen Indie-Autorenverleger aus Habsburglandien? Eben. Also, ich meine, dass objektive Medienarbeit, soweit es überhaupt möglich ist, nicht im Einklang mit wirtschaftlichen Interessen stehen kann. Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht. So ist das. Bestens zu sehen, wenn man einen Blick auf Fox News in den USA wirft. Der Fernsehsender gehört zum Murdoch-Imperium (genauso wie das Wall Street Journal). Dort wird dem Skandal kaum Beachtung geschenkt, sozusagen heruntergespielt. Und in den Murdoch-nahen Printzeitungen stellt man es scheinbar so dar, dass die anderen Medienunternehmen es dem alten Murdoch heimzahlen wollen.

Jetzt kommt natürlich der springende Punkt meines Beitrages. Ich habe mich mit dem Murdoch-Skandal nicht wirklich beschäftigt. Ich habe nur ein paar Info-Schnipsel im Web gefunden und mir meinen Reim darauf gemacht. Ich zitiere Jeff Jarvis, weil er meine Sicht auf die Dinge bestätigt. Aber ich hätte genauso gut einen anderen Journalisten oder selbsternannten Medien-Guru zitieren können, der die Angelegenheit gänzlich anders berwertet. Das ist das schönschreckliche im Web: du findest immer die gerade passende  Meinung – hübsch formuliert und mit knackigen Verlinkungen versehen. Ja, so läuft das heute. Man hat zwar keine Ahnung, kann sich aber innerhalb von wenigen Minuten ein erstes Bild machen. Und eine Stunde später hast du alles in dich aufgesogen, was du gefunden hast, verarbeitest es (mit all deiner Erfahrung, Weltanschauung und Voreingenommenheit) und fabulierst es in dein Blog. Und je nach dem wie gut dein gestriger Sex war, bist du nett oder kratzbürstig, verfluchst du die Welt oder siehst sie mit rosaroten Augen. Naja, das ist überzogen, aber Sie wissen, was ich meine, oder?

Jetzt geht die ganze Chose aber noch weiter. Also, wir haben jetzt einen Kerl, der meint, er würde über ein Ereignis so gut wie alles wissen und markiert mit den gefundenen Info-Bits seine medialen Kanäle. Dank social Media kann ich heute innerhalb von Sekunden eine Vielzahl an interessierten Menschen erreichen. Wobei, diese Menschen sind natürlich auch Kerles oder Kerlinnen, die über ein Ereignis so gut wie alles wissen oder wissen wollen und nehmen deine halbgaren Info-Bits, setzen sie mit ihren gefundenen zusammen und posaunen nun die neuen Erkenntnisse stolz in die über-informierte Welt. Tja.

Das wäre vielleicht schon schlimm genug, wäre da nicht das Dilemma, dass Medienhäuser und Journalisten mit dieser über-informierten Welt zurecht kommen müssen. Mehr noch, da sie – mehr oder weniger – für ihre Tätigkeit bezahlt werden, müssen sie einen Mehrwert liefern. Wenn ich demnach als nichtbezahlter Kerl bessere (sic!) und interessantere Informationen zusammentragen kann – noch dazu schneller – wozu braucht es dann diese bezahlte Meute? Tja. Das ist eine gute Frage. Noch mehr, wenn man, wie zuvor erwähnt, davon ausgehen kann, dass die Hand, die diese Medienhäuser füttert, von ihnen auch nicht gebissen wird. Der Medien-Skandal in England zeigt, wie eng verwoben die elitären Strippenzieher agieren. Und natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass noch immer die Mehrheit der Bevölkerung ihre Info-Bits aus Zeitungen und den TV-Nachrichten bekommt.

Einen wunderbaren Artikel hat übrigens der ehemalige Associate Editor des Wall Street Journals Paul Craig Roberts auf das virtuelle Papier gebracht: Conspiracy Theory:

Eine Verschwörungstheorie bedeutet nicht mehr, dass es ein Ereignis gibt, das durch eine eventuelle Verschwörung erklärt werden kann. Nein, damit bezeichnet man heutzutage jeden Erklärungsversuch, auch bewiesene, die nicht auf einer Linie mit der Regierung und ihren Medien-Zuhältern liegen. // A „conspiracy theory“ no longer means an event explained by a conspiracy.  Instead, it now means any explanation, or even a fact, that is out of step with the government’s explanation and that of its media pimps.

Roberts spricht sich ordentlich den Frust von der Seele. Hin und wieder lese ich seine Beiträge im alternativen News-Portal Counterpunch. Ja, er ist ziemlich angepisst von den gegenwärtigen Zuständen. Das gefällt mir. Wobei, wie zuvor erwähnt, es gäbe hundert andere Roberts, die das Problem an Leuten wie mir festhalten, die keine Ahnung haben, worüber sie schreiben und ein funktionierendes (sic!), stabiles (sic!) System in Frage stellen oder anschwärzen.

Kommen wir nun langsam zum Schluss.

Zusammengefasst sieht es so aus, dass es im Web gegenwärtig ein heilloses Wirrwarr an Informationen, Gossip, Meinungen, Fakten, Beweise, Theorien, Anschauungen, Ideen und so weiter gibt. Hier den Durchblick zu behalten, als kleiner Schlurf, ist eigentlich nicht möglich. Trotzdem wollen wir im Konzert der Medienmacher mitspielen und ebenfalls tagtäglich eine Headline aus dem Hut zaubern. Und wenn nichts Wesentliches passiert ist? Dann bauschen wir eine unbedeutende Story eben auf. Das geht schnell und kostet nicht viel. Schwupp. Schon fühlt man sich gut, weil man meint, die Welt gerettet zu haben. Bis zur nächsten Headline.

Aber mit jeder aufgeblasenen Headline, die jeder Einzelne in das Webuniversum entlässt, füllt sich der Raum mit Info-Schrott. Bald können wir gar nicht mehr klar sehen. Wie denn auch? Wenn du meinst, dass ein Ereignis so und nicht anders zu interpretieren sei, prügeln drei andere Schlurfs auf dich ein und schreien, dass es ganz anders war – inklusive der Verlinkungen, die du geflissentlich ignoriert hast, weil sie ja deiner Interpretation ans Bein pinkeln. Tja. Wer hat nun recht? Schulterzucken. Wir blättern um und suchen uns die nächste Headline. Schließlich wollen wir ja Aufmerksamkeit generieren. Uups. Ach so ja, das ist ja der Grund, warum Social Media so eingeschlagen hat. Mit einmal bist du dein eigener Medien-Tycoon, dein eigenes Starlet, dein eigener investigativer Journalist. Und ne Trantröte bist du natürlich obendrein, aber das blenden wir besser aus. Will ja keiner hören.

Ach ja, die Nudelsieb-Debatte. Auch die hat es ja in die Headlines geschafft. Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung. Interessiert mich nicht die Bohne. Also, der Inhalt der Diskussion. Viel mehr interessiert mich die Meta-Ebene. Wer mischt sich warum mit welcher Intensität ein. Das ist für mich viel interessanter als das Geschwafel. Der Auslöser dieser Diskussion (ja, der Kerl mit dem Nudelsieb am Schädel), ein gewisser A., ist übrigens Gründer und Geschäftsführer einer Werbe-Marketing-Seifenblasen-Agentur, die auf ihrem Blog in freundlichen Worten schreibt:

Finden Sie auch, dass in diesem Land Einiges verkehrt läuft?“, nach diesem Konzept entwarfen Super-Fi und Martin Radjaby, Kampagnenleiter der Grünen, eine neue Sonderwerbeform.

Ich meine, verkehrt ist vielmehr die Einstellung, die wir zum gegenwärtigen System haben. Wenn Sie es also in Ordnung finden, dass Politik und Werbung und Medien Hand in Hand gehen dürfen, um ihre Massage (sic!) an den Konsumenten und Wähler (Bürger wurde bereits abgeschafft) zu bringen, dann kann ich Ihnen leider auch nicht helfen. Ach so, Ihnen will nicht geholfen werden. Stimmt. Bald ist uns allen nicht mehr zu helfen.

*

P.S.: Ist das jetzt ne Themenverfehlung? Ist mir doch blunzn. Ist ja meine Zeitung, die Sie da lesen. Und ich mache mir meine Headlines selber. Oh. Ich mach es mir also selber? Hm. Interessanter Wortwitz. Wenn Sie verstehen?